Touristen laufen über die Bühne und schauen sich die hochaufragenden Fassaden des Papstpalastes an. Ein Audiokommentar erinnert an die politischen Verwicklungen im Europa des beginnenden 14. Jahrhunderts. Ein banales Bild führt dem Publikum zu Beginn dieses "Infernos" am hehren Spielort des legendären Sommertheaters die profane Ganzjahresbestimmung des gotischen Bauwerks vor Augen: Es ist vor allem Objekt zum Bestaunen für den globalen Tourismus. Dann erscheint Romeo Castellucci auf der riesigen Bühne, stellt sich namentlich vor, steigt in einen Schutzanzug und lässt sich vor drei abgerichteten Hunden anfallen, die ihn zu Boden stürzen, an Armen und Beinen zerren. Und dann klettert ein drahtiger kleiner Mann in atemberaubender Akrobatik langsam die etwa 30 Meter hohe Fassade hoch, erklimmt gotische Fenster, klammert sich an die Lücken im Mauerwerk, um auf dem Dach angekommen, einen Basketball auf die Bühne zu werfen. Ein kleiner junge hat derweil mit rotem Farbspray den Namen "Jean" an die Fassade gesprüht. Nur wenige Minuten sind vergangen und schon hat uns Castellucci weg von Dantes großer Dichtung in die Welt starker, stummer und suggestiver Bilder geführt, und unzählige Fragen aufgeworfen.
"Die Göttliche Komödie" ist ein unmögliches Projekt, weil das Werk eigentlich nicht aufführbar ist. Ich muss also ständig über eine unaufführbare Wahrheit nachdenken. Aber in letzter Konsequenz ist das einzig interessante, was das Theater zeigen sollte, eben genau das Unaufführbare.
Es sind also nicht die 33 Gesänge des Inferno, es ist nicht Dantes Höllenreise unter der Anleitung des Vorbilds Vergil, die hier gezeigt wird, sondern Träume, Allegorien, Metaphern eines mehr von der Geschichte der bildenden Kunst als von Theatertraditionen geprägten zeitgenössischen Künstlers. Fast Hundert stumme Akteure - Amateure in einfacher Alltagskleidung, unter ihnen auch Kleinkinder - gruppiert Castellucci in starken, fast erbarmungslosen Bildern, projiziert plötzlich die Titel von Kunstwerken der amerikanischen Pop-Art auf die Fassade des Ehrenhofes und lässt schließlich Andy Warhol selbst auftreten, der aus einem verkohlten Autowrack aussteigt. In dieser Gegenwartshölle werden keine Betrüger, Verräter oder Gottlosen von kleinen Teufeln gepeinigt, hier hat die Herrschaft der Bilder jede Hoffnung vertrieben, spätestens seit sie unseren Blick von göttlicher Anschauung auf das Erscheinungsbild der Massenprodukte gelenkt hat, von der Lichtsuche also hinunter in die Niederungen unserer eigenen Produktion, so wie sie die Kunst der 60er und 70er Jahre präsentiert. Einmal stellt Castellucci einen alten Mann allein auf die Bühne, mit dem Blick nach oben und den Worten "Wo bist Du?" auf den Lippen. Am Ende erscheint auf einer Serie von Fernsehern in den Fenstern des letzten Stockwerks der Schriftzug "étoiles", Sterne, das Wort also, mit dem Dante sowohl die "Hölle", als auch den "Läuterungsberg" und das "Paradies" in seiner Dichtung enden lässt. Einige dieser Fernseher erlöschen und stürzen dann mit lautem Krach auf die Bühne, Drei bleiben übrig und bilden das Wort "toi" - Du". Castellucci hat zu Beginn seiner Dante-Trilogie in Avignon eine äußerst starke, zeitgenössische und doch auch zutiefst katholische Bilderwelt entfaltet und den Papstpalast als Material für die Kunst völlig neu erschlossen.
Die andere Eröffnungspremiere des zweiten künstlerischen Beirats in diesem Jahr - der Schauspielerin Valérie Dréville - führt geradezu in die entgegengesetzte Richtung. Direkt ins Herz der Sprache, und heraus aus der Welt der Bilder. Paul Claudes "Partage de Midi" hat sie in der Rolle der lebenshungrigen Ysé an der Seite von ihren drei Mitakteuren so ganz ohne die Leitung eines Regisseurs erschlossen. Eine Schauspielerarbeit also, die der einigermaßen modischen Idee folgt, das sich des Dichters Wort so ganz ohne Regie und unverfälscht im Mund des Akteurs entfalten soll.
Tatsächlich gelingt Valérie Dréville und ihren Mitstreitern in dem imposanten Boulbon-Steinbruch auf einem simplen Bretterpodest und mit einigen wenigen einfachen aber wirkungsvollen Dekorideen die poetische Sprache des Claudelschen Quartetts zum klingen zu bringen. Aber starke und schwache Szenen wechseln sich ab, der dramaturgische Leitfaden fehlt und das Spiel ermattet in etwas willkürlichen kunstvollen und demonstrativen Posen. Beim Beginn des diesjährigen Festivals haben die zwei leitenden Künstler zwei Extrempositionen des Spannungsfeldes besetzt, im dem Theater heute stattfinden kann. In ihrer Mitte agiert Toneelhuisdirektor Guy Cassiers, der mit Videobildprojektionen und ausgezeichneten Akteuren, mit einem intelligenten Text und den klassischen Mitteln der Regie einer dreifachen Agonie der Macht nachgespürt hat: Lenin, Hitler und der japanische Kaiser Hirohito auf einer Bühne, in miteinander verwobenen Szenen am Ende ihrer Macht, konfrontiert mit den bösen Nachrichten vom Verfall ihrer Reiche. Auch Cassiers wird ebenso wie Romeo Castellucci in Avignon eine Trilogie zum Abschluss bringen. Nach dem manchmal etwas beliebigen Allerlei zeichnet sich in diesem Jahr also ein Konzentration des Festivals auf große Projekte ab.
"Die Göttliche Komödie" ist ein unmögliches Projekt, weil das Werk eigentlich nicht aufführbar ist. Ich muss also ständig über eine unaufführbare Wahrheit nachdenken. Aber in letzter Konsequenz ist das einzig interessante, was das Theater zeigen sollte, eben genau das Unaufführbare.
Es sind also nicht die 33 Gesänge des Inferno, es ist nicht Dantes Höllenreise unter der Anleitung des Vorbilds Vergil, die hier gezeigt wird, sondern Träume, Allegorien, Metaphern eines mehr von der Geschichte der bildenden Kunst als von Theatertraditionen geprägten zeitgenössischen Künstlers. Fast Hundert stumme Akteure - Amateure in einfacher Alltagskleidung, unter ihnen auch Kleinkinder - gruppiert Castellucci in starken, fast erbarmungslosen Bildern, projiziert plötzlich die Titel von Kunstwerken der amerikanischen Pop-Art auf die Fassade des Ehrenhofes und lässt schließlich Andy Warhol selbst auftreten, der aus einem verkohlten Autowrack aussteigt. In dieser Gegenwartshölle werden keine Betrüger, Verräter oder Gottlosen von kleinen Teufeln gepeinigt, hier hat die Herrschaft der Bilder jede Hoffnung vertrieben, spätestens seit sie unseren Blick von göttlicher Anschauung auf das Erscheinungsbild der Massenprodukte gelenkt hat, von der Lichtsuche also hinunter in die Niederungen unserer eigenen Produktion, so wie sie die Kunst der 60er und 70er Jahre präsentiert. Einmal stellt Castellucci einen alten Mann allein auf die Bühne, mit dem Blick nach oben und den Worten "Wo bist Du?" auf den Lippen. Am Ende erscheint auf einer Serie von Fernsehern in den Fenstern des letzten Stockwerks der Schriftzug "étoiles", Sterne, das Wort also, mit dem Dante sowohl die "Hölle", als auch den "Läuterungsberg" und das "Paradies" in seiner Dichtung enden lässt. Einige dieser Fernseher erlöschen und stürzen dann mit lautem Krach auf die Bühne, Drei bleiben übrig und bilden das Wort "toi" - Du". Castellucci hat zu Beginn seiner Dante-Trilogie in Avignon eine äußerst starke, zeitgenössische und doch auch zutiefst katholische Bilderwelt entfaltet und den Papstpalast als Material für die Kunst völlig neu erschlossen.
Die andere Eröffnungspremiere des zweiten künstlerischen Beirats in diesem Jahr - der Schauspielerin Valérie Dréville - führt geradezu in die entgegengesetzte Richtung. Direkt ins Herz der Sprache, und heraus aus der Welt der Bilder. Paul Claudes "Partage de Midi" hat sie in der Rolle der lebenshungrigen Ysé an der Seite von ihren drei Mitakteuren so ganz ohne die Leitung eines Regisseurs erschlossen. Eine Schauspielerarbeit also, die der einigermaßen modischen Idee folgt, das sich des Dichters Wort so ganz ohne Regie und unverfälscht im Mund des Akteurs entfalten soll.
Tatsächlich gelingt Valérie Dréville und ihren Mitstreitern in dem imposanten Boulbon-Steinbruch auf einem simplen Bretterpodest und mit einigen wenigen einfachen aber wirkungsvollen Dekorideen die poetische Sprache des Claudelschen Quartetts zum klingen zu bringen. Aber starke und schwache Szenen wechseln sich ab, der dramaturgische Leitfaden fehlt und das Spiel ermattet in etwas willkürlichen kunstvollen und demonstrativen Posen. Beim Beginn des diesjährigen Festivals haben die zwei leitenden Künstler zwei Extrempositionen des Spannungsfeldes besetzt, im dem Theater heute stattfinden kann. In ihrer Mitte agiert Toneelhuisdirektor Guy Cassiers, der mit Videobildprojektionen und ausgezeichneten Akteuren, mit einem intelligenten Text und den klassischen Mitteln der Regie einer dreifachen Agonie der Macht nachgespürt hat: Lenin, Hitler und der japanische Kaiser Hirohito auf einer Bühne, in miteinander verwobenen Szenen am Ende ihrer Macht, konfrontiert mit den bösen Nachrichten vom Verfall ihrer Reiche. Auch Cassiers wird ebenso wie Romeo Castellucci in Avignon eine Trilogie zum Abschluss bringen. Nach dem manchmal etwas beliebigen Allerlei zeichnet sich in diesem Jahr also ein Konzentration des Festivals auf große Projekte ab.