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Theater in Schwarz-Weiß

Der Ostflügel des Berliner "Haus der Kulturen" verwandelt sich derzeit in die legendäre ivorische Vergnügungsmeile Rue Princesse. Fremdheit und Verstehen, das sind die großen Themen, die die Veranstalter, das Künstlerduo Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, sich vorgenommen haben.

Von Elisabeth Nehring | 04.09.2010
    "In Abidjan machen wir Punkte. Wenn wir in Abidjan jemanden sehen, der mit einem Weißen irgendwo langgeht, wissen wir, der hat Erfolg und der hat Glück; und du weißt auch selber, wenn du dabei gesehen wirst, dann denken alle, du hast Erfolg und du hast Glück und deswegen tust du so, als ob du mit jemandem sprichst, dass alle denken, du bist mit dem Weißen befreundet – das sind Punkte! Und wenn du mit einer weißen Frau da lang gehst..."

    .... machst du definitiv die meisten Punkte. So geht es zu auf der Rue Princess, der legendären Ausgehmeile, deren schnelles, hoch-energetisches und aufgeladenes Flair die Kompanie um Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen verbreitet. Die Eröffnungsshow 'Trucs des blancs' ist selbst eine große Party; unter ständiger Musikbeschallung wird erzählt, getanzt und gesungen, Körper ausgestellt und angegeben, was das Zeug hält. Die Performer aus Afrika sind in ihrer Heimat auch Musiker, Entertainer oder Showmaster, groß geworden in der Coupé-Decalé Kultur, die als variantenreicher Musik- und Tanzstil das schnelle, nicht ganz legale Geldmachen mit dem protzigen, für alle sichtbaren Geldausgeben verbindet.

    Ob man dieses Spiel mit Machismen, Dandytum und Glamour mag oder nicht – der ungebremste Hedonismus kann das Haus der Kulturen der Welt, das schon so viele gut gemeinte, aber nicht gut gemachte afrikanische Festsituationen gesehen hat, zumindest für diesen Moment in ein Reich mit eigenen Gesetzmäßigkeiten verwandeln.

    Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen haben dieses Festival auch schon in Abidjan inszeniert.

    "In Abidjan funktioniert es (...) anders, hier muss man die Leute erst über das Programm informieren, und die denken dann auch, dass das, was auf dem Programm steht, das wollen sie dann auch sehen. Während in Abidjan liest niemand das Programm, sondern wir stellen sehr helles Licht auf, an dem Ort, den wir wollen, und dann kommen die Leute (...) man muss gar nicht so viel Vorarbeiten leisten, sondern die Leute merken, da ist was und sie strömen zusammen. Und dann spielt man vor einer Menge plötzlich, die selber auch in das Geschehen öfter eingreifen will – das unterscheidet sich schon stark. Wir haben ja gesagt, wie machen Politik, Showbiz, Religion – darum geht es viel. Oder auch Musik, Tanz, Theater (...), dort konnten wir es jeweils in die Szene genau reinplatzieren."

    Genau das aber fehlt – über den gesamten Zeitraum gesehen – der Berliner Version. Im schon räumlich ziemlich isolierten Haus der Kulturen der Welt vermisst man die Interventionen von außen, das spontane Dazukommen und Dazwischenagieren eines gemischten und zufälligen Publikums. Das würde auch den einzelnen Stücken entgegenkommen, ihrer Improvisiertheit und Unfertigkeit – die springt einem in einem 50er-Jahre-Konferenzraum nämlich ganz anders in Auge als auf der Straße oder in einem Club.

    Die Performance 'Die Gesellschaft des Bösen' ('La société du mal') clustert Themen wie Magie, die Frage nach Gut und Böse und wie man einen Menschen wirklich tötet (nämlich zwei mal), während die Inszenierung 'Das misslungene Opfer' ('Sacrifice raté') Text- und Bewegungs-Bruchstücke um Revolution, Krieg und Martyrertum versammelt – beide in einer gänzlich unstringenten, assoziativen Weise. Die Vermittlung ist vor allem Hauke Heumann zu verdanken. Der deutsche Schauspieler ist die zentrale Figur aller Vorstellungen, er hält die Abende großartig zusammen; ohne seine pausenlosen Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche und umgekehrt, ohne seine kurzen Erläuterungen und sein Stirnrunzeln wären Zuschauer, die das afrikanische Land nicht kennen, im Wust der spezifischen Themen, der gesellschaftlichen Chiffren und unausgesprochenen Codes rettungslos verloren.

    Und doch würde man sich mehr Reibung zwischen den Kulturen wünschen – und im Gegenzug – auch mehr Vermittlung, selbst wenn sie scheitern mag. Die deutschen und ivorischen Performer wirken in manchen Momenten wie eine eingeschworene Clique, die man bei ihren Riten gerne zwischendurch mal unterbrechen würde, um Fragen zu stellen. Aus diesem Muster völlig raus fiel das kurze Gespräch zwischen einer jungen, weißen, feministisch angehauchten Performerin und dem afrikanischen Tänzer und Entertainer Franck Edmon Yao, die komplett aneinander vorbei redeten – in diesem kurzen Moment zeigte sich die eigentliche Stärke der Arbeit von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen, nämlich dass sie Fremdheit nicht verschleiern und die Grenzen der Annäherung und des Verstehens nicht krampfhaft überwinden wollen.