Freitag, 17. Mai 2024

Archiv


Theater morgen: Soziokultur und Klassiker im Theaterhaus Jena

Köhler: Darum geradewegs drauf zugefragt, Rainald Grebe, Sind Sie ein Antiklassiker? Denn Kleist, Schiller, Büchner ist nicht Ihr Ding, oder?

Moderation: Michael Köhler | 23.08.2004
    Grebe: Das stimmt nicht. Das hat aber auch etwas mit den überregionalen Kritikern zu tun, die kommen ja eigentlich nur bei Uraufführungen in die Provinz, sage ich mal, aber wir haben eigentlich jede Spielzeit einen oder auch zwei Klassiker auf dem Tablett stehen gehabt. Das stimmt also nicht, wir haben sogar angefangen mit Woyzeck/Baal, einem Doppelabend.

    Köhler: Aber vom Naturell her waren Sie eben geständig, Sie haben gesagt, Sie sind kein Tragiker, sondern Komiker.

    Grebe: Ich kann da keine Trennung vollziehen.

    Köhler: "Kritik der Spaßgesellschaft" ist ja ein Projekt gewesen, mit dem Sie vielleicht auch angetreten sind zu Beginn. Sie haben doch mal ein Projekt gemacht über zwei Spielzeiten, das hieß "Bastard Deutschland".

    Grebe: Das ist richtig.

    Köhler: Reicht das sozusagen als dramaturgisches Prinzip zu sagen, wir machen jetzt nur Deutschlandkritik und verabschieden uns ein bisschen von der Kunstinterpretation und von den feinsinnigen Ausleuchtungen irgendwelcher Seelenregungen?

    Grebe: Das geht, glaube ich, ein bisschen vorbei an dem, was wir da gemacht haben. Also in Jena haben wir, weil das Haus das auch zulässt, weil es ein sehr kleines Haus ist und mit acht Schauspielern und drei Leuten in der Leitung haben wir uns sehr stark mit diesen Spielzeitmotti beschäftigt und die sehr ernst genommen. Das ist glaube ich bei großen Häusern nicht möglich, wenn man da 20 Premieren hat. Hier haben wir wirklich versucht, dass eigentlich fast jedes Stück und auch die ganzen Nebenreihen sich aufreihen an einem bestimmten Thema und das von ganz verschiedenen Seiten beleuchten.

    Köhler: Das ist ja aufgegangen das Rezept, also Theater Heute hat Ihre Stücke sehr gelobt, Sie werden regelmäßig auch eingeladen, wenn ich das richtig weiß.

    Grebe: Ja, wir waren in Mühlheim, bei Stücke oder Impulse haben wir gewonnen. Also regelmäßig eigentlich die Autorenförderung, die wir gemacht haben – klein aber fein möchte ich sagen – also man nimmt es wahr, das finde ich das Schöne. Es ist nicht einfach so, dass man sagt, Spielzeitmotto ist Blut oder Liebe oder irgendwas, wo man dann vielleicht mal ein Stück dran aufhängt oder ein Wochenendkongress oder so, sondern bei uns läuft es wirklich über eine ganze Spielzeit, dass man sich damit beschäftigt.

    Köhler: Das Publikum macht das mit? Das goutiert das? Auf mich klingt das so ein bisschen wie, ich suche mir jetzt ein Thema und das ziehe ich durch. Das ist ja nicht ganz einfach, auch ästhetisch, das dann auf die Bühne zu bringen.

    Grebe: Das ist aber so, man hat ja unterschiedliche Regisseure. Es ist letztlich so, dass der Zuschauer das glaube ich weniger wahrnimmt vielleicht, weil er in einem Stück sitzt und das muss ihm gefallen oder nicht. Ich glaube, dass der weniger sagt: "Das ist ja interessant, dass sich das so durchzieht.", sondern der muss einfach begeistert werden an dem Abend selbst, muss das Stück gut finden. Letztlich mündet auch alles in einen sinnlichen, geilen Theaterabend - hoffentlich. Für uns ist es wichtig in der Dramaturgie, dass man einen Faden findet, dass es nicht ganz beliebig ist, was man macht.

    Köhler: Wenn ich in irgendeiner rheinland-pfälzischen Kleinstadt Dramaturg wäre, was würden Sie mir raten mit Ihren Erfahrungen in Jena jetzt nach diesen vier oder fünf Jahren, die Sie da waren?

    Grebe: Kann ich glaube ich gar nicht, denn Jena ist so speziell, das ist nicht vergleichbar mit anderen Häusern, weil es eben keine Abonnenten hat, was für uns ein großer Vorteil war. Wir sind künstlerisch frei gewesen, konnten machen, was wir wollten.

    Köhler: Sie sind klein und beweglich.

    Grebe: Ganz genau. Das ist dieses Modell Jena. Das war mal ein Stadttheater und ist jetzt eine GmbH, es ist auch nur ein halbes Haus, die Leute sitzen im Zuschauerraum, auf der Bühne, ist also auch da sehr flexibel, es gibt keine Abonnenten, wir müssen kein Weihnachtsmärchen spielen und wir müssen keine Klassiker spielen. Können wir aber. Es ist ein junges Haus, das kommt auch noch dazu, dass Anfänger da losstarten können.

    Köhler: Wer folgt Ihnen in Jena, wie sieht es mit der Zukunft aus? Leipzig als Stadt hat Zuzug, die Innenstadt expandiert und blüht, wie es um Jena steht, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.

    Grebe: Ich muss sagen, dass es eine sehr schöne Stadt ist. Es sind 100.000 Einwohner und 20.000 Studenten und das ist erst mal ziemlich genial. Für eine Stadt in der Größe ist da ziemlich viel los und das ist auch hauptsächlich unser Publikum gewesen. Was das jetzt mit dem Theater gibt - da ich die neuen nicht kenne, die werden es auf jeden Fall jetzt erst mal sehr schwer haben, weil wir da einiges vorgelegt haben und die Leute sehr traurig waren, dass wir gehen. Wir haben es geschafft, den Shakespeare dauernd auszuverkaufen, wir haben, das muss man dazusagen, bei normalen Vorstellungen nur 150 Plätze. Und die haben wir dann auch voll gekriegt.

    Köhler: Haha, das ist etwas leichter, als zum Beispiel das Stadion von Bayer Leverkusen zu füllen.

    Grebe: Ganz genau. Ich habe auch gehört, dass es im Schauspielhaus Hamburg manchmal Vorstellungen vor 40 Leuten gibt. Das ist ja furchtbar. Dann lieber klein, direkt an der Rampe und voll.

    Köhler: Sie sind vom Naturell her kein Theoretiker. Es gibt ja Dramaturgen, die haben links unterm Arm die Psychoanalyse und rechts die französische Medientheorie. So einer sind Sie nicht?

    Grebe: Nein. Ich habe ja eine ganze Menge gemacht. Von der Ausbildung her bin ich Puppenspieler, dann war ich Schauspieler und jetzt bin ich Dramaturg geworden und das Schöne daran ist, dass mir die Schauspieler vertrauen, weil ich aus der Praxis komme und ich kann sehr genau beschreiben und auch sehr konkrete Vorschläge machen, was möglicherweise manche Dramaturgen, die ja Theaterwissenschaftler sind, nicht können, die dann eher mit dem französischen Philosophen kommen und dann so von außen beschreiben und dann zusätzlich noch, wenn ein Schauspieler von der Bühne fällt, springe ich eben ein. Das ist aber auch jenaspezifisch, weil das eben da, da muss man eben mehr belastbar sein, als in größeren Häusern.

    Köhler: Wenn Claus Peymann sagt: Grebe, kommen Sie, machen Sie mal einen Baal von Brecht für mich, würden Sie dann ja oder nein sagen?

    Grebe: Ich würde mich mal mit ihm treffen, glaube ich.

    Köhler: Reinhard Grebe vom Theaterhaus Jena mit einem kleinen Team, die es sich leisten können, ein Spielzeitthema ganz durchzustehen.