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Theater morgen: Wie Theater geht

Karin Fischer: Im letzten Jahr hat Antje Vollmer das Theatersystem in Deutschland wegen seiner einzigartigen Vielfalt sogar als UNESCO-schützenswertes Weltkulturerbe vorgeschlagen; für uns war auch das ein Ansporn, um in einer Reihe von Gesprächen die Dramaturginnen und Dramaturgen der maßgeblichen deutschen Bühnen zu fragen: Wenn wir das Theater, so wie es heute existiert, weiter brauchen, welches Theater brauchen wir dann? Zum ersten Gespräch in dieser Reihe ins Studio gekommen ist Heike Frank, Chefdramaturgin des Schauspiels Köln, und ihr Haus steht wahrscheinlich exemplarisch für viele andere Häuser, es sollte und soll ihm nämlich an den Kragen gehen. Die Stadt wollte soviel einsparen, dass man tatsächlich über die Abwicklung der ganzen Sparte Schauspiel nachgedacht hat. Letzten Endes wird der Zuschuss um 3,5 Millionen jährlich gekürzt werden, die Konsequenz war, eine der wichtigeren Außenspielstätten, die Halle Kalk auf der gegenüber liegenden Rheinseite, zu schließen, ein Ort, an dem Experimentelles und auch viele Gastspiele stattfanden. Auch das läuft andernorts ähnlich ab. Heike Frank, ist die so genannte "Reduktion auf das Kerngeschäft", wie das dann immer schönfärberisch heißt, eigentlich kontraproduktiv oder hilft es doch auch der Konzentration?

Moderation: Karin Fischer |
    Heike Frank: Das ist ganz schwer gegeneinander aufzurechnen so was. Der Verlust der Halle im Moment ist natürlich erst einmal außerordentlich schmerzlich, weil in dieser Halle eine andere Art von Theater möglich ist als sie in der Schlosserei, die wir noch als Spielstätte haben, oder auf der Schauspielhausbühne möglich ist. Weil, wenn 100 in der Halle sind, ist es angenehm besucht, 100 im Schauspielhaus würden sich verlieren. Zusätzlich ist es, mal abgesehen davon, was wir verlieren am Theater, in Wirklichkeit ein großer Verlust für die Stadt, eigentlich müsste die Stadt ein starkes Interesse daran haben, dass unser Schauspiel dort in der Halle Theater macht, dass da jeden Abend die Lichter angehen und dass ein bürgerliches Publikum dort hin und her geht, also rein und raus geht, hinfährt und wieder wegfährt, denn, wie ja jedermann weiß, ist das ein Stadtteil, der durch Gewalt, Kriminalität und alles mögliche ziemlich gefährdet ist und sofern müsste es in höchstem Interesse der Stadt stehen, dass es dort nicht dunkel ist, sage ich einfach mal.

    Fischer: Lassen Sie uns auf die Situation des Schauspiels Köln genauer kommen. In der vorletzten Spielzeit, um das noch mal zu rekapitulieren, hatte die Intendanz gewechselt, Marc Günther war gekommen, er sollte das Kölner Schauspiel aus der Bieder- und Langeweile-Ecke holen, Sie mit ihm, das wurde auch versucht, aber die Kritiken waren, um es mal vorsichtig zu sagen, nicht gut. Inzwischen hat sich die überregionale Kritik fast schon wieder aus Köln verabschiedet. Wie würden Sie Ihre Programm-Arbeit skizzieren und das Kölner Schauspiel positionieren zwischen den Erwartungen eines nicht gerade progressiven Publikums und dem Anspruch von Kritik und Kulturpolitik, so ein Haus doch bitte wieder in die erste Liga zu beatmen?

    Frank: Wir sind in einer schwierigen Situation. Wir haben tatsächlich in der ersten Spielzeit auch Fehler gemacht, die haben damit zu tun, dass man die Stadt nicht wirklich kennt und dass man auch ein Theater erst kennen lernen muss. Gleichwohl ging das ziemlich schnell mit dem öffentlichen Generalurteil, das wird hier nichts. Was uns angeht, so haben wir versucht aus unseren Erfahrungen zu lernen und ich glaube, dass uns das ziemlich gut gelungen ist, dass wir die öffentliche Aufmerksamkeit so schnell verloren haben, ist das Fatalste, was einem Theater passieren kann. Wir sind in der wirklich sehr unglücklichen Lage, dass über uns wahnsinnig viel geredet wird und wahnsinnig wenig hingeschaut wird. Die zweite Spielzeit ist künstlerisch viel ergiebiger und vom Publikumszuspruch auch ertragreicher gewesen als die erste und besonders jetzt in der zweiten Hälfte haben wir mit "Gespenstern" von Albrecht Hirche, mit den "Erdbeerfeldern" von Erik Gedeon und mit Thalheimers "Familie Schroffenstein" drei super gute Produktionen und die laufen auch sehr gut und wir können melden, dass wir mit den "Erdbeerfeldern für immer " inzwischen auch noch den letzten Stehplatz verkaufen, was sehr viel Spaß macht, wenn gleich man sagen muss, dass ein voll ausgelastetes Theater auch nicht immer das Allerbeste ist.

    Fischer: Wie würden Sie Ihr Programmkonzept der nächsten Spielzeit vielleicht von dem der letzten absetzen oder überhaupt definieren?

    Frank: Man arbeitet manchmal viel unbewusster an Themen als man im ersten Moment vielleicht denkt. Wir haben zwei ziemlich deutliche Schwerpunkte im Spielplan. Der eine ist eine Beschäftigung mit Amerika, weil, so katastrophal die Politik ist, so glänzend ist die Literatur im Moment und wir haben gleichzeitig den Versuch, uns auf eine komplizierte Weise mit Religion zu beschäftigen, da das ein Thema ist, um das man nicht mehr herumkommt. Augenblicklich befindet sich ja unsere Gesellschaft und sagen wir mal die westliche Gesellschaft als Ganzes in einer Konfrontation, die sie zunächst einmal nicht gesucht hat oder nicht gemerkt hat, dass sie sich aufbaut. Wie auch immer, auf alle Fälle findet man sich einem Gegner gegenüber, der sich selber als religiös motiviert beschreibt und der einen Fundamentalismus in der Welt versucht zu realisieren, der sich als feindlich unserer Lebensform gegenüber empfindet. Das, was die Fundamentalisten an der westlichen Gesellschaft nicht zu mögen scheinen, beschreibt die westliche Gesellschaft immer als Toleranz. Toleranz besteht nach meiner Meinung darin, dass man ein möglichst ausgebildetes Differenzierungsvermögen hat und das Differenzierungsvermögen und die Differenziertheit sind Dinge, die Fundamentalisten nicht schätzen. Jetzt kann man feststellen oder sich fragen, was ist es denn, was nun dieses Differenzierungsvermögen ausbildet, auf das die westliche Gesellschaft so irrsinnig stolz ist und dann wird man feststellen, dass es ja wohl nicht der Primat des Geldes ist sondern dass es tatsächlich Kunst und Kunstbeschäftigung ist, dass es Theater sind, Bibliotheken, Museen, die das Differenzierungsvermögen üben. Das sind die einzigen Institute, in denen wir das üben können, worauf wir offenbar am stolzesten sind und es ist außerordentlich rätselhaft, dass eine Gesellschaft ausgerechnet daran so heftig herumsägt. Dieses erkennend haben wir in unserem Spielplan Stücke, die sich im weitesten Sinne mit Religion beschäftigen, die beginnen mit "Tartuffe", was 350 Jahre alt ist und von Molière bekanntlich und enden mit Lukas Bärfuss' "Der Bus", was ein vollkommen neues Stück ist und diese Stücke tasten verschiedene Dimensionen von Religion und der Sehnsucht nach Religion ab. Vor allen Dingen der Sehnsucht nach Religion und den Gründen für die Sehnsucht nach Religion.

    Fischer: Ich möchte noch mal ein bisschen konkreter werden, denn, und das macht ja auch Ihre Rolle so prekär, beim Theater kommt es ja nicht darauf an, was man sich vorher alles so Schönes ausdenkt, sondern, um es einmal salopp zu formulieren, was hinten herauskommt. Deswegen lassen Sie uns noch mal über Stücke reden. Der Othello zum Auftakt der Marc Günther Spielzeit ist von der sehr jungen Regisseurin Ola Mafaalani inszeniert worden, sozusagen ins Wasser gefallen, es gab heftige Proteste als die Braut minutenlang ersäuft wurde. In der nächsten Spielzeit steht es weiterhin auf dem Spielplan. Heißt das, es gibt noch weiteren Diskussionsbedarf?

    Frank: Nein, Othello war gewissermaßen der absolute Idealfall einer Eröffnung, weil es diese Proteste gab, es gab aber auch rockkonzertartigen Jubel am Ende, den gab es in der Premiere und den gab es immer wieder in den Vorstellungen. Die Leute haben auf den Sitzen schier gestanden und "Bravo" gebrüllt. Das liegt auch in der Natur der Sache, dass diejenigen, denen es nicht gefällt nach einiger Zeit natürlich auch nicht mehr kommen. Das heißt, in der Premiere von der Sie gerade sprachen, also in der allerersten Vorstellung, die wir überhaupt in Köln gehabt haben, war es tatsächlich ein Idealfall. Während es stattfand, habe ich es natürlich erst mal schrecklich gefunden, weil es furchtbar ist, wenn die Leute "aufhören" rufen und protestieren und so und gerne den Regisseur erschießen möchten und was es da noch an Freundlichkeiten gab, die da laut gerufen wurden. Aber es dauerte auch nicht ewig bis dann andere Zuschauer, die es sehen wollten, diejenigen Zuschauer, die dazwischen gerufen haben, um Ruhe gebeten haben und am Ende gab es halt wirklich rockkonzertartigen Applaus und das ist dann ziemlich ideal.

    Fischer: Ein nächstes Beispiel könnte die Interpretation von Kleists "Familie Schroffenstein" durch Michael Thalheimer sein, der ja sowieso für den "ganz anderen" Umgang mit den Klassikern steht, den immer mehr Theater heute ja gerne üben. Kann das sozusagen der Ausweg aus der Langeweile-Falle sein?

    Frank: Michael Thalheimer ist jemand, der fast immer eine sehr radikale Schneise durch ein Stück schlägt und sich sehr deutlich für ein Thema in einem Stück interessiert. Das war auch bei der "Familie Schroffenstein" der Fall und das Thema, das ihn offensichtlich interessiert hat, ist, was der Krieg mit den Menschen macht. Wovon das Stück handelt? Das Stück handelt von einer Feindschaft zwischen zwei Familien, die den Hintergrund hat, dass, wenn der eine Zweig der Familie ausstirbt, dann der andere alles erbt. Man lernt in dem Stück, dass man nicht so sehr einen Feind als viel mehr ein Bild vom Feind braucht und dass es sich sehr viel angenehmer und leichter anfühlt, sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen, als zu versuchen, auch nur ein minimales Verständnis für die andere Seite aufzubringen. Thalheimer hat sich sehr stark dafür interessiert, welchen schrecklich geschlossenen Kreislauf Gewalt und Dummheit miteinander eingehen können. Man sieht Leute, die sich in einem schon lange, lange dauernden Krieg befinden, deren Anfang schon keiner mehr weiß und in den die Kinder hineingeboren sind. Thalheimer zeigt, dass nach einer gewissen Zeit des Krieges jeder einzelne, der daran beteiligt ist auf dem intellektuellen Niveau von Lynndie England endet, das war die Soldatin, die man auf dem Foto gesehen hat in dem Abu Ghraib Gefängnis im Irak.

    Fischer: Die Schauspieler agieren auf einer schrägen, sehr glatten Bühne, sehen ein bisschen aus, wie wenn sie tagsüber unter den Brücken schlafen würden und natürlich lautete die Kritik auch an dieser Klassikerzuspitzung, wo ist der Kleist geblieben? Deswegen die Frage noch mal, soll man heutzutage die Klassiker einfach radikal zuspitzen auf das Heute oder ist der pflegliche Umgang mit der Sprache des Dichters, mit dem, was er damals an Inhalt für sich sozusagen gewonnen hat, nicht auch ein Pfund, mit dem man noch wuchern kann?

    Frank: Es ist ein sehr pfleglicher Umgang mit Kleist und es ist ein außerordentlicher Wille, dem Geist Kleists gerecht zu werden, der hinter dieser Aufführung steckt. Selbstverständlich muss man sie befragen die Texte auf ihre Gültigkeit für heute. Die Klassiker sind deswegen Klassiker, weil sie eine Energie aufgespeichert haben, die jede Zeit für sich befreien kann und sollte. Wenn man hinter dem Zorn und der Wut zurückbleibt, die die Dichter bewegt haben als sie geschrieben haben, dann tut man ihnen keinen Gefallen, man wird ihnen auch nicht gerecht.

    Fischer: Kultur schafft Differenzierungsvermögen, haben Sie vorher gesagt. Heißt das, das Provokation der Ausweg ist? Soll Theater weh tun? Oder was antworten Sie den bürgerlichen Zuschauern, die nach einem leckeren Abendessen sich auch mal, und das für nicht wenig Geld, unterhalten lassen wollen?

    Frank: Ich möchte immer gerne die Leute unterhalten. Komischerweise denke ich, dass man die Leute nicht immer unterschätzen sollte. Ich glaube, dass intellektuelle Unterforderung eigentlich das Schlimmste ist, was man den Leuten antun kann. Übrigens halte ich es auch für außerordentlich arrogant mit dem Argument, man gäbe den Leuten was sie gerne wollten, ihnen immer dummes Zeug vorzumachen. Deshalb glaube ich, dass man sich immer um das kümmern muss, was die Leute lehren kann. Tatsächlich kann die Absicht auch nicht sein, zu provozieren. Provokation ist niemals ein Ausgangspunkt für eine künstlerische Äußerung, glaube ich, das halte ich für einen infantilen Grundsatz, dass man provozieren will. Es kann geschehen, plötzlich, es geschieht dann, wenn man unter Umständen zu einem Ausdruck gelangt, der paraphrasiert heißt: hier stehe ich, ich kann nicht anders. Was man übrigens immer versuchen sollte anzustreben.

    Fischer: Wie Theater geht. Heike Frank war das, Chefdramaturgin des Schauspiels Köln, vielen Dank.