"Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" ist ein Stück ohne Worte. Es spielt vermutlich in der Gegenwart auf dem zentralen Platz einer nicht näher bestimmten kleinen Stadt. Zunächst geschieht gar nichts. Die Lichtstimmung deutet an, es könnte noch früh am Morgen sein. Dann geht jemand über den Marktplatz. Später ein anderer.
Ein alltäglicher Vorgang - Peter Handke interessieren Unterschiede. Je mehr Leute den Platz überqueren, desto deutlicher hebt sich ab, ob jemand zielbewusst geht, ob er schlendert, rennt oder humpelt. Ein Herr in mittleren Jahren geht ganz anders als eine vom Alter gebeugte Greisin. Der Jüngere hat keinen Blick für die Zeitgenossen und bemerkt gar nicht, wie gut es ihm geht. Handke schärft das Bewusstsein.
Ganz im Sinne des Dramatikers hat Mel Mercier eigentlich keine Bühnenmusik geschrieben, wie im Programmheft angekündigt, sondern eine akustische Kulisse zusammengestellt:
"Der Stunde, da wir nichts voneinander wussten' fehlt nicht nur der Dialog, es fehlt auch die Handlung. Aber das macht nichts - wenn da jemand schnell läuft und von jemand anderem verfolgt wird, wenn ein Paar auftritt, das von Begierde so erfasst wird, dass es übereinander herfällt, kann der Zuschauer sich die Geschichte selber denken, kann sie erfinden."
Genau das ist die Absicht Handkes. Er will nicht sein Publikum, wie üblich, mit einer Geschichte unterhalten, er will sein Publikum aktivieren.
James Macdonald folgt mit seiner Inszenierung genau dieser Wirkungsabsicht. Der britische Regisseur hat am Royal Court gearbeitet, der Avantgardebühne Londons, er hat auch in Deutschland schon inszeniert, "Die Kopien" von Caryl Churchill an der Schaubühne in Berlin. Macdonald hat es als Vertreter er Avantgarde nicht leicht mit der "Stunde, da wir nichts voneinander wussten", das Publikum im National Theatre ist an traditionelle Stücke mit ausgefeilten Dialogen gewöhnt, mit einem spannenden Plot - dieser radikale Paradigmenwechsel, den Handke seinen Zuschauern zumutet, ist ein Wagnis.
Aber Handke hat auch für Abwechslung gesorgt: 27 Schauspieler stellen 450 Figuren dar - schon die Fülle der Kostüme ist eine Augenweide. Die Vielfalt ist Ausdruck für den immensen Reichtum des Alltags, Grund für Lebensfreude im emphatischen Sinn. Hier wird das Gefühl deutlich, das auch Handkes neueste Erzählung, "Die Morawische Nacht" prägt.
Die teilweise sich überlappenden Szenen ergeben Steinchen für ein Mosaik: Der Betrachter kann sich, wenn er will, ein Ganzes zusammensetzen, wichtige Elemente des Lebens.
In Macdonalds Inszenierung werden entscheidende Momente von Handkes Dramaturgie unaufdringlich herauspräpariert. Wenn die Worte fehlen, so ist dies kein Mangel, sondern eine Hilfe. Worte und Handlung lenken davon ab, was die Körpersprache auszudrücken vermag, was dem szenischen Arrangement abzulesen ist. Der Zuschauer kann sich viel besser konzentrieren, wenn das, was ihm wichtig scheint, fehlt. Hinter der Entscheidung, den Dialog wegzulassen, verbirgt sich natürlich auch Handkes radikale Skepsis den Worten gegenüber - vom Anfang seines literarischen Schaffens an hat er die Sprache als Bestandteil jenes Verblendungszusammenhangs angesehen, den er mit seiner Literatur und seinem Theater aufbrechen will.
James Macdonald hebt überdies mit Witz und Selbstkritik in seiner Inszenierung hervor, wie viele Bühnenkonventionen es gibt, die bis zur Fadenscheinigkeit abgebraucht sind - aber, wenn sich die Schauspieler vom Alltag inspirieren lassen, können sie neues, interessantes Material hinzugewinnen.
Es gibt immer wieder kleine Szenen, die nur Sekunden dauern, die aber geradezu begeistern. Eine Dame in den besten Jahren gibt sich einen Ruck, legt ihren Mantel ab, darunter trägt sie ein Abendkleid mit einem atemberaubenden Ausschnitt. Dieser Ruck, den sie sich gibt, erzählt eine ganze Geschichte. Oder ein anderes Paar legt die Mäntel ab, darunter kommt die Uniform eines europäischen Prinzen hervor, seine Gemahlin trägt große Robe, Staatsempfang - das Paar geht nicht, es schreitet.
Die neue Dramaturgie funktioniert: es macht einfach Spaß zu beobachten, jene Haltung gesteigerter Aufmerksamkeit einzunehmen, die Handke anstrebt. Der Dramatiker lädt ein zu einem intensiveren Hinschauen und Erleben.
Nicht alle Schauspieler ertragen das Wagnis der Andeutung und flüchten sich ins Überdeutliche. Das Bühnenbild von Hildegard Bechtler wirkt zu konkret, weniger wäre mehr gewesen beim Entwurf des Platzes: ein einfaches Podium, vielleicht schräg zur Rampe hin abfallend, hätte gereicht - aber insgesamt ist die Aufführung geglückt.
Das Publikum ging mit - es gab viel Gelächter und am Schluss einhelligen Beifall. Peter Handke kann in London einen Erfolg verbuchen - die Avantgarde hat sich als zugänglicher und heiterer, kurzweiliger und ergiebiger erwiesen als von manchem Anhänger der Konvention mutmaßlich befürchtet.
Ein alltäglicher Vorgang - Peter Handke interessieren Unterschiede. Je mehr Leute den Platz überqueren, desto deutlicher hebt sich ab, ob jemand zielbewusst geht, ob er schlendert, rennt oder humpelt. Ein Herr in mittleren Jahren geht ganz anders als eine vom Alter gebeugte Greisin. Der Jüngere hat keinen Blick für die Zeitgenossen und bemerkt gar nicht, wie gut es ihm geht. Handke schärft das Bewusstsein.
Ganz im Sinne des Dramatikers hat Mel Mercier eigentlich keine Bühnenmusik geschrieben, wie im Programmheft angekündigt, sondern eine akustische Kulisse zusammengestellt:
"Der Stunde, da wir nichts voneinander wussten' fehlt nicht nur der Dialog, es fehlt auch die Handlung. Aber das macht nichts - wenn da jemand schnell läuft und von jemand anderem verfolgt wird, wenn ein Paar auftritt, das von Begierde so erfasst wird, dass es übereinander herfällt, kann der Zuschauer sich die Geschichte selber denken, kann sie erfinden."
Genau das ist die Absicht Handkes. Er will nicht sein Publikum, wie üblich, mit einer Geschichte unterhalten, er will sein Publikum aktivieren.
James Macdonald folgt mit seiner Inszenierung genau dieser Wirkungsabsicht. Der britische Regisseur hat am Royal Court gearbeitet, der Avantgardebühne Londons, er hat auch in Deutschland schon inszeniert, "Die Kopien" von Caryl Churchill an der Schaubühne in Berlin. Macdonald hat es als Vertreter er Avantgarde nicht leicht mit der "Stunde, da wir nichts voneinander wussten", das Publikum im National Theatre ist an traditionelle Stücke mit ausgefeilten Dialogen gewöhnt, mit einem spannenden Plot - dieser radikale Paradigmenwechsel, den Handke seinen Zuschauern zumutet, ist ein Wagnis.
Aber Handke hat auch für Abwechslung gesorgt: 27 Schauspieler stellen 450 Figuren dar - schon die Fülle der Kostüme ist eine Augenweide. Die Vielfalt ist Ausdruck für den immensen Reichtum des Alltags, Grund für Lebensfreude im emphatischen Sinn. Hier wird das Gefühl deutlich, das auch Handkes neueste Erzählung, "Die Morawische Nacht" prägt.
Die teilweise sich überlappenden Szenen ergeben Steinchen für ein Mosaik: Der Betrachter kann sich, wenn er will, ein Ganzes zusammensetzen, wichtige Elemente des Lebens.
In Macdonalds Inszenierung werden entscheidende Momente von Handkes Dramaturgie unaufdringlich herauspräpariert. Wenn die Worte fehlen, so ist dies kein Mangel, sondern eine Hilfe. Worte und Handlung lenken davon ab, was die Körpersprache auszudrücken vermag, was dem szenischen Arrangement abzulesen ist. Der Zuschauer kann sich viel besser konzentrieren, wenn das, was ihm wichtig scheint, fehlt. Hinter der Entscheidung, den Dialog wegzulassen, verbirgt sich natürlich auch Handkes radikale Skepsis den Worten gegenüber - vom Anfang seines literarischen Schaffens an hat er die Sprache als Bestandteil jenes Verblendungszusammenhangs angesehen, den er mit seiner Literatur und seinem Theater aufbrechen will.
James Macdonald hebt überdies mit Witz und Selbstkritik in seiner Inszenierung hervor, wie viele Bühnenkonventionen es gibt, die bis zur Fadenscheinigkeit abgebraucht sind - aber, wenn sich die Schauspieler vom Alltag inspirieren lassen, können sie neues, interessantes Material hinzugewinnen.
Es gibt immer wieder kleine Szenen, die nur Sekunden dauern, die aber geradezu begeistern. Eine Dame in den besten Jahren gibt sich einen Ruck, legt ihren Mantel ab, darunter trägt sie ein Abendkleid mit einem atemberaubenden Ausschnitt. Dieser Ruck, den sie sich gibt, erzählt eine ganze Geschichte. Oder ein anderes Paar legt die Mäntel ab, darunter kommt die Uniform eines europäischen Prinzen hervor, seine Gemahlin trägt große Robe, Staatsempfang - das Paar geht nicht, es schreitet.
Die neue Dramaturgie funktioniert: es macht einfach Spaß zu beobachten, jene Haltung gesteigerter Aufmerksamkeit einzunehmen, die Handke anstrebt. Der Dramatiker lädt ein zu einem intensiveren Hinschauen und Erleben.
Nicht alle Schauspieler ertragen das Wagnis der Andeutung und flüchten sich ins Überdeutliche. Das Bühnenbild von Hildegard Bechtler wirkt zu konkret, weniger wäre mehr gewesen beim Entwurf des Platzes: ein einfaches Podium, vielleicht schräg zur Rampe hin abfallend, hätte gereicht - aber insgesamt ist die Aufführung geglückt.
Das Publikum ging mit - es gab viel Gelächter und am Schluss einhelligen Beifall. Peter Handke kann in London einen Erfolg verbuchen - die Avantgarde hat sich als zugänglicher und heiterer, kurzweiliger und ergiebiger erwiesen als von manchem Anhänger der Konvention mutmaßlich befürchtet.