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Theater
Parzival neu interpretiert

Wolfram von Eschenbachs Versroman "Parzival" wurde schon oft interpretiert und bearbeitet. Neben Wagners Opernfassung ist wohl die Interpretation von Tankred Dorst aus dem Jahr 1987 eine der bekanntesten. Der Regisseur David Bösch hat Letztere am Burgtheater Wien in überarbeiteter Form auf die Bühne gebracht.

Von Hartmut Krug | 28.04.2014
    Blick auf das Wiener Burgtheater.
    Parzival als Ghetto-Kid: Neuaflage von Tankred Dorsts Stück am Burgtheater Wien. (picture alliance / dpa)
    Es ist ein mächtiges Konvolut von disparaten Texten, das Tankred Dorst mit Robert Wilson zu seiner 1987 am Hamburger Thalia Theater uraufgeführten "Parzival"-Version zusammengestellt hat. Parzival ist hier sowohl der ungeformte mittelalterliche Wilde als auch ein Mensch unserer Zeit. Mit naiver Neugierde vermag er das Wissen um Gut und Böse, über Gott, den Sinn des Lebens und den Tod nur um den Preis von tödlicher Gewalttätigkeit zu erreichen. So zieht Parzival seine Erkenntnisbahn, und Leichen pflastern seinen Weg.
    In kurzen Hosen, später mit Kapuzenpulli, stellt Lukas Gregorowicz im Akademietheater seinen allzeit stimmlich und gestisch heftigen Parzival auf die düster schmutzige Bühne von Patrick Bannwart. Vorn eine leicht eingemüllte Betonfläche, hinten eine abschließende, als Projektionsfläche genutzte Betonwand. Wenn sie sich etwas öffnet, beleuchten grelle Scheinwerfer die Szenen der Erkenntnis.
    Was wir sehen, ähnelt durchaus einem Video-Fantasy-Spiel. David Bösch hat sich aus Dorsts vielstündigem Material seine anderthalbstündige Version zum Stationendrama herausgeschnitten.
    Parzival trifft Menschen, tötet sie und/oder lernt von ihnen. Sie alle, in attraktiv zerschlissener, lustig schmutziger oder blutiger Bekleidung, bilden eher ironische Zitate und Spielmaterial für ein munteres Spiel.
    Wo Dorst seine Endzeitszenerie mit düsterem Ernst zeichnet, wo er, getreu seinem Ausspruch über Dramatiker, "wir sind nicht die Ärzte, wir sind der Schmerz" dem Publikum diesen Schmerz vorführt, da lässt Regisseur David Bösch seine Schauspieler diesen Schmerz eher auf der Unterhaltungsklaviatur ironisch vorführen und unterspielen.
    Der Abend beginnt allerdings mit dem Ende der Welt. Dietmar König taucht als wort- und ausdrucksverliebtes Spielteufelchen mit Dorsts Fragment "Zwergplanet" aus dem Qualm einer Bodenluke und erklärt uns die Geschichte der Erde und deren Untergang. Schnips macht er mit den Fingern, und der eingedellte blau-weiße Ball zwischen dem Sternenmeer auf der Bühnenrückwand verschwindet. Später wird der Teufel einmal Parzival, wenn auch vergeblich, heftig in Versuchung führen.
    Böschs Parzival macht keine Entwicklung durch, sondern trifft nur immer wieder neue traurig-komische Figuren. Oft raunt eine Stimme aus dem Off, die Handlungen und Entwicklungen erklärt oder besingt. Immer wieder bebildern schräge Zeichnungen auf der Rückwand das Geschehen. Eine allerliebste Parzival-Holzpuppe fliegt auf einem Vogel inmitten eines Schwarms über die Bühne, und der nackte Mann, eigentlich eine existenzielle Figur, wirkt hier wie ein Komiker:
    Die Schauspieler bekommen bei diesem Theater der bunten Einfälle viel Spielraum: Regina Fritsch gibt im langen dunklen Hexenkleid und mit raunender Stimme Parzivals Mutter, dann hüpft sie in mächtigem Unschuldsweiß als Geliebte Herzoloide über die Bühne. Daniel Jesch und Dietmar König dürfen munter zwischen Figuren wechseln, während 0liver Stokowski uns als nackter Mann vom Leid erzählt. Irgendwann hört Parzivals Suche auf: Er liegt am Boden und hat erkannt: Der Himmel ist leer.
    Neue Erkenntnisse mitgenommen hat der Zuschauer allerdings nicht aus dieser allzu munteren Bespaßung von Dorsts erdenschwer existenziellem Stück.