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Theater und Ökonomie

Immer mehr Kulturschaffende sind von der Wirtschaft abhängig. Kein Grund allerdings, auf fundamentale Kapitalismuskritik zu verzichten. In Berlin hat das Hebbeltheater das Festival "Palast der Projekte" begonnen, das das Verhältnis von Theater und Ökonomie beleuchtet.

Von Eberhard Spreng |
    Neun Euro hat das Publikum während der knapp anderthalbstündigen Aufführung "Loan Shark" verloren. Das ist eine Performance, bei der für jeweils einige Minuten eine Zuschauerin oder ein Zuschauern an einem Notebook Platz nehmen kann, um mit Euros Dollars zu kaufen und wieder zu verkaufen. Währenddessen sehen alle die zackige Kurve des Wechselkurses, der hier im Sekundenrhythmus aktualisiert wird und in mehrmonatiger Gesamtdarstellung wie ein Menetekel den allmählichen Untergang der Währung der größten Wirtschaftsmacht der Erde dokumentiert. Auf einer anderen Leinwand werden derweil Bilder eines alten Hollywoodfilms projiziert, "Loan Shark" - "Kredithai", der Einblicke in die Frühformen der spezifisch amerikanischen Angewohnheit gewährt, sich zu verschulden.

    Mit Gläsern, Krügen und Fruchtsaft wird schließlich der Geldfluss demonstriert, der in das Fiasko der Subprimes, der amerikanischen Kreditkrise geführt hat. Begonnen hatte das kleine Festival über "Theater und Ökonomie" mit einem Stück über die "Nothing Company", die einen globalen Boom verzeichnet, obwohl sie keine Waren vertreibt, sondern nur Behauptungen von Lebensgefühlen, eine expandierende Internet-Fata-Morgana, deren Mitarbeiter sich selbst ständig die Frage stellen, ob sich hinter der behaupteten Zwecklosigkeit des Unternehmens nicht doch ein geheimes Ziel verbirgt? Zum Beispiel eine NGO zu sein zur Unverteilung der Reichtümer, oder ein ökonomisches Terrorkommando zur Schaffung eines globalen Wirtschafts-Gaus. Die Menschen verlieren den Überblick und verstehen in dieser Allmacht des Ökonomischen das eigene Handeln nicht mehr.

    Während sich die Theatertruppen mit diversen ästhetischen und technischen Hilfsmitteln und viel Humor darum bemühen, Metaphern für die tendenzielle Unzurechnungsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems zu finden, wollten Wissenschaftler in einer Reihe von Vorträgen und einer Diskussion den Begriff des "Projektes" klären, der seit Jahren eine ungeheure Bedeutung bekommen hat, und zwar sowohl für ökonomische als auch für theatralische Bereiche. Das unentwegte Entwerfen, Neu-Erfinden, Vorhaben ist zur Chiffre einer Glücksverheißung geworden, für die die titelgebende Installation "Palast der Projekte" des russischen Konzeptualisten Ilya Kabakov in der stillgelegten Zeche "Zollverein" steht: In ihr wird die utopische-, die Erlösungskraft des Projektbegriffes fassbar. Etwas unvermittelt schloss sich daran die Betrachtung des ökonomischen Menschen und seiner Strategien an, die an der Figuren des Projektemachers, des Spekulanten und Hochstaplers vorgeführt wurde. Die Baseler Professorin Eva Horn erläuterte die Figur des Hochstaplers u.a. am als Hauptmann von Köpenick berühmt gewordenen Wilhelm Vogt und an dem Hamburger Anlagebetrüger Jürgen Harksen.

    "Meine These wäre, dass der Hochstapler so eine Art Parasit des Begehrens ist, das heißt er pfropft sich auf die Wünsche seiner Klienten, ihres exzessiven Begehrens nach Geld oder dem dazuzugehören Wollen zu einem solchen Zampano. Aber zum Hochstapler gehört meiner Meinung nach wirklich das Scheitern dazu, denn die Enttarnung des Hochstaplers ist, vor allem wenn man nicht selbst geschädigt wurde, eine durch und durch angenehme Erfahrung. "

    Immer wieder verwiesen die geladenen Wissenschaftler auf den engen Zusammenhang, der das Scheitern allein schon etymologisch an den Begriff des Projektes bindet. In der abschließenden Diskussion zwischen dem Dramaturgen und Publizisten Carl Hegemann und dem Kulturwissenschaftler Joseph Vogl wurde eine Gegenüberstellung des Unternehmers und des Künstlers versucht. Joseph Vogl.

    "Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Erinnerung, Gedächtnis, Vergangenheit haben, sondern diese Erinnerung und dieses Gedächtnis erscheint in einer akuten Weise im Scheitern, und das wäre die Probe, die in durchaus konservativem Sinne die Kunst bestehen müsste. Scheitern heißt Gedächtnisleistungen sichtbar zu machen. Kunst hat keine Zukunft, Kunst hat definit Vergangenheit und die kann sie in ihrem Scheitern vorführen. Das wäre bei aller Konkurrenz und wechselseitigen Beäugung von Ökonomie und Kunst - beide sind Melancholiker oder haben einen Hang dazu, der Künstler spekuliert und auch der Ökonom - bei all der Fiktionalität des Kunstmarkts und des ökonomischen Marktes gibt es eine Differenz und das wäre genau die. "

    Während der Stoff, der an der Börse gehandelt wird, die Zukunft ist, ist es für die Kunst und das Theater die Vergangenheit - ein symbolischer Handel oft auch mit dem Reich der Toten. Wenn es einen melancholischen Blick des Unternehmers und des Künstlers gibt, dann geht der des Unternehmers in die Zukunft, der des Künstlers in die Vergangenheit. Das könnte dann auch als Mahnung an die freie Szene dienen, deren Abspielbasis das HAU ist und die sich thematisch mit dem Festival "Palast der Projekte" gemeint fühlt. Sie ist gezwungen zu Kalkülen, die der ökonomischen Sphäre entnommen sind, und passt sich dieser unbewusst immer mehr an. sie ist notorisch konzeptionell in ihren Formen. Dennoch darf sie nicht den eigentlichen Gegenstand des Theaters vergessen, den Handel mit dem Abwesenden, weil Vergangenen.