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Theater und Tanz in Israel

"International Dance Exposure" heißt eine Leistungsschau des israelischen Tanztheaters und des Modern Dance. Ziel ist es, die Aufführungen auch ins Ausland zu verkaufen.

Von Christian Gampert |
    In Tel Aviv ist man vor keiner Verrücktheit sicher. Es kann passieren, dass man im Theater den Kopf in kleine, puppenstubenähnliche Modellhäuser stecken muss, wo eine Schauspielerin für drei Zuschauer da ist und sie zum Beispiel nach ihren Vorlieben beim Süßigkeiten-Essen befragt. Dann spielen Italienisch redebrachende Clowns eine Odysseus-Geschichte, und die Puppenspielerin Maayan Resnick erzählt in Zeitlupe aus dem Leben eines greisen Pianisten.

    Natürlich ist das zum Teil pure Formspielerei und Experimentierlust. Dass dieses ständige Sich-Neu-Erfinden auch mit Israel zusammenhängt, erfährt man spätestens bei Jon Fosses "Someone is going to come": Ein älter gewordenes Paar will endlich miteinander leben und findet in der Einsamkeit nicht zueinander.

    Im Nahen Osten bekommt dieses Existentialdrama natürlich einen politischen Subtext, und in der Tat wollte die Regisseurin Lilach Dekel Avneri die Rolle des Mannes zunächst mit einem Araber besetzen. Der sagte ab, wegen des Gaza-Kriegs. Aber die politischen Konnotationen sind auch mit weißen Schauspielern deutlich.

    Auch diese psychologisch ausgefeilte Inszenierung ist im Tmuna-Theater zu sehen, einer Art Kulturzentrum, Tempel der Alternativszene: wenig Geld, große Pläne, viele Aufführungen - sagt Lilach Dekel Avneri:

    "Seit einigen Jahren gibt es hier eine Bewegung unabhängiger Regisseure, die für höhere Budgets kämpfen – für uns, nicht nur für die Repertoire-Theater. Die großen Theater sind sehr kommerziell geworden, sie wagen sich nicht an neue Formen. Sie schauen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner mit dem Publikum, um viele Zuschauer anzuziehen. Sie wollen nichts wirklich ändern, wir aber schon."

    Im großen Cameri-Theater steigt in "Johnny Walked" immer wieder ein Kriegsgefallener aus seinem Bilderrahmen heraus zum Gespräch mit seinem trunksüchtigen Bruder; und im "Beit Lessin" läuft seit längerem (vor stets vollem Haus) "Apples from the Desert" der erfolgsverwöhnten Savion Librecht: aufmüpfige Tochter flieht aus orthodox-jüdischem Elternhaus in den Kibbutz, wo sie der Liebe pflegt und Äpfel in die Wüste pflanzt. Avantgarde-Theater ist das nicht gerade, aber immerhin bespricht hier die israelische Gesellschaft ihre Probleme.

    Wie würden die traditionell links orientierten israelischen Modern Dancer auf den Gaza-Krieg und die Regierungsübernahme durch den konservativen Benjamin Netanjahu reagieren? Das war die Frage, die man sich vor Beginn der diesjährigen "International Dance Exposure" im "Suzanne Dellal Center" stellte. Überraschende Antwort: sie reagieren gar nicht.

    Zwar schimmert in diversen Choreographien die aus der Not geborene Militarisierung der israelischen Gesellschaft immer wieder durch: In einem Stück der "Maria Kong Company" bewegten sich die Akteure wie amphibische Maschinen in einer Welt nach dem Atomschlag Insgesamt aber ist das gestische Repertoire des israelischen Tanzes privater geworden, und seltsamerweise greift man immer mehr auf die alte, noch aus dem Kibbutz stammende Volkstanztradition zurück.

    Die Gruppe, die am virtuosesten mit der Tradition spielt, ist die "Vertigo Dance Company". Die Choreographin Noa Wertheim inszeniert eine dunkel gekleidete, fast mönchisch wirkende Dorfgemeinschaft vor einem gelben, wandartigen Haus, in dem manchmal eine Tür aufgeht. Die abstrakte Bewegungssprache der Tänzer bezieht sich immer wieder auf dörfliche, kollektive Elemente, und über dem Haus schwebt, als Zeichen der Bedrohung, aber auch der Hoffnung, ein düsterer Luftballon, eine schwarze Sonne.

    Auch Barak Marshall ("Rooster" heißt das Stück) arbeitet mit arabischen Volkstänzen und osteuropäischen Kasaschock-Anmutungen, er zeigt Familiengeschichten und Konkurrenzkämpfe. Gerade die Musik erinnert bei ihm daran, aus wie viel verschiedenen Kulturen Israel sich zusammensetzt.

    Selbst die "Kibbutz Contemporary Dance Company" versucht ein Update ihres kraftvollen Tanzstils. In einem schwarzen Garten lässt der Choreograph Rami Be’er drei farblich unterschiedene Soldatengruppen auf einander los. Leider ist sein Versuch, Farbfeldmalerei tänzerisch umzusetzen, schwächer als frühere Arbeiten, in denen Be’er die innere Militarisierung der israelischen Gesellschaft denunzierte. Auch die berühmte "Batsheva Dance Company" stößt an ihre Grenzen.

    "Hora", das neue Stück von Ohad Naharin, präsentiert elf schwarz gewandete Tänzer in einer kachelgrünen minimalistischen weiten Box; ein Bewegungs-Laboratorium. Das Thema der Inszenierung bleibt leider ziemlich unklar - die bloße Zurschaustellung virtuos kreiselnder Körper reicht nicht aus. Dazu quält uns der Musiker Isao Tomita mit seinem elektronischen Kitsch.

    Viel lockerer dagegen die jungen Choreographen. Yossi Berg und Oded Graf präsentierten eine ironische Arbeit über männliche Aggressions-Rituale; der weibliche Nachwuchs dagegen verlor sich in bisweilen skurrilen Beziehungs-Analysen. Insgesamt ein Festival, das zeigt: Israel ist wenigstens im Landesinneren auf dem Weg zu einer gewissen Normalität – und besinnt sich auch im Tanz auf die Multi-Kulturalität der Nation.