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Theaterkampf in Budapest

Seit Ungarn eine rechtspopulistische Regierung hat, wird auch in der Kultur "aufgeräumt". Jetzt hat die Stadt Budapest den rechtsextremen Politiker und Schriftsteller Istvan Csurka zum Leiter des renommierten "Neuen Theaters" ernannt. Oppositionelle nennen ihn einen "Hassprediger und Antisemiten".

Harriett Ferenczi im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 24.10.2011
    Stefan Koldehoff: Kommen Sie und sehen Sie "Don Carlos", um uns zu unterstützen. Das hat auch der scheidende Direktor des "Neuen Theaters" in Budapest, Istvan Marta, am Wochenende bei einer Demonstration vor seinem Haus rund 2.000 Protestierenden zugerufen. Das Schiller-Stück über die Gedankenfreiheit wird Martas letzte Inszenierung sein. Der rechtskonservative Oberbürgermeister hat ihn nämlich abgesetzt und stattdessen zwei Männer zu neuen Theaterleitern ernannt, die mehr als umstritten sind. Gegen sie richtete sich die Demonstration am Wochenende. Istvan Csurka und György Dörner gelten als Rechtsextremisten und als Antisemiten und haben dem – Achtung, Zitat! – "entarteten, krankhaft liberalen" Theaterbetrieb den Kampf angesagt. Der deutsche Dirigent Christoph von Dohnanyi hat deshalb bereits sein Gastdirigat des Deutschen Requiems von Brahms in Budapest der kommenden Woche abgesagt. An meine Kollegin Harriett Ferenczi in Budapest geht zunächst mal die Frage: Treffen die Vorwürfe gegen Csurka und Dörner denn zu?

    Harriett Ferenczi: Ja, auf jeden Fall treffen diese Vorwürfe zu. Wenn man mal die beiden Personen betrachtet, die jetzt an der Spitze des Neuen Theaters in Budapest stehen, also Istvan Csurka, 77, Schriftsteller, Politiker, wie gesagt bekannter Rechtsextremist, er hat sehr oft in seinen Reden, in seinem Auftreten dafür gesorgt, dass das alles zutrifft. Er ist ja Vorsitzender der rechtsextremen Partei "Wahrheit", MIEP, "Wahrheit und Lebenspartei" nennt die sich, aber auch im Parlament bis 2002, dann Wahlniederlage und dann weg von der politischen Bühne. Und Csurka hat gleich gesagt, nachdem er von dem Oberbürgermeister quasi grünes Licht für seine Vorstellung erhalten hatte, er macht ein Theater mit nationalistischen, mit nationalen Gedanken, westlicher Müll muss weg, den brauchen wir nicht. Ich habe gerade mal auf den Spielplan geguckt: Dostojewski, Molière ist westlicher Müll, ja, muss man so interpretieren, er braucht das "Tingli-Tangli aus New York" nicht mehr. Und als er gefragt wurde, was er denn spielen will, sagt er, natürlich meine Dramen. Also Csurka will sich da präsentieren. Er sagt, es wäre ein Theater des Durchbruchs, was er jetzt machen will, und das gemeinsam mit György Dörner. Er ist ja Direktor und Schauspieler und er ist wirklich bekannt für seine Neonazi-Ansichten. Dörner war früher sehr oft im Fahrwasser der rechtsradikalen Jobbik-Partei, hat sich aber jetzt irgendwie mutiert, ist gegangen zur MIEP-Partei und will jetzt halt große, große Karriere machen.

    Koldehoff: Csurka faselt auch gerne schon mal was von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Wie kommt denn, Frau Ferenczi, ein Oberbürgermeister einer Stadt wie Budapest auf die Idee, zwei solche Herren zu Theaterleitern zu machen?

    Ferenczi: Ja, das ist die große Frage, und deswegen wurde er ja auch immer häufiger quasi danach gefragt, auch jetzt bei der Demonstration am Samstag gegen die Ernennung dieser beiden Herren Csurka und Dörner, er soll das alles rückgängig machen. Aber Tarlos meint, die Sache ist erledigt, er tut das. Aber die Opposition sieht im Hintergrund natürlich nicht nur die Entscheidung von Tarlos. Er ist Mitglied der Regierungspartei und dann sagt man halt, im Hintergrund soll Csurka mit seiner MIEP-Partei und die Fidesz-Partei, die Regierungspartei, eine Front machen gegen diese Jobbik-Partei, die sehr, sehr an Boden gewinnt, diese rechtsradikale Partei. Und die Regierungspartei will auch auf Wählerfang gehen aus den Kreisen von Csurka, also aus diesen rechtsextremen Kreisen. Dahinter würde viel, viel Politik stehen.
    Und der jetzige Direktor Istvan Marta, der hat 13 Jahre dieses Theater geführt, erfolgreich. Der hat am Flugplatz aus der Presse übrigens davon erfahren, dass er nicht mehr Direktor ist dann im neuen Jahr. Und Tarlos sagt, der Oberbürgermeister sagt, für mich ist die Sache erledigt, obwohl die Fachkommission 6:2 gegen die Ernennung von diesen Herren gesprochen hat.

    Koldehoff: Wie reagiert darauf denn jetzt das kulturelle Budapest? Sie haben gerade von einer Demonstration gesprochen, auf der anderen Seite aber auch gesagt, aus Sicht des Bürgermeisters ist das alles sinnlos. Was tut man jetzt, wie reagiert man?

    Ferenczi: Also das kulturelle Budapest reagiert, was in den Zeitungen steht, wir wollen, wir sind dagegen und warum und weswegen. Das Ausland reagiert auch schon mal. Der deutsche Dirigent Christoph von Dohnanyi hat ja aus Protest seinen Gastauftritt an der Budapester Oper abgesagt, der sollte Ende Oktober da auftreten, und er hat halt gesagt, er gastiert nicht in einer Stadt, wo der Oberbürgermeister ein Theater in die Hände zweier bekannter Antisemiten gibt. Also das sind Proteste, aber die sind irgendwie schwach.
    Es gab noch einen Brief von österreichischen Autorinnen aus Graz, die haben dem Barroso nach Brüssel geschrieben, haben gewarnt, dass das nicht geht, und haben gefordert, die EU müsste dagegen auftreten. Der Stardirigent Adam Fischer hat das ganz gut auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt, es geht doch nicht an, dass ein EU-Staat seine Kulturpolitik von Rechtsextremen bestimmen lässt. Also das sind so die Proteste, die aber nur ab und zu mal so stattfinden, und ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Der Oberbürgermeister hat wieder gesagt nach dieser Demonstration, für ihn ist die Sache erledigt.

    Koldehoff: Ministerpräsident Orban hat schon vor einigen Monaten bei der Debatte ums neue Presserecht gezeigt, dass er langen Atem haben kann. Müssen wir uns insgesamt weiter daran gewöhnen, dass Ungarn nach rechts abdriftet?

    Ferenczi: Ja, einen langen Atem hat er mit seiner Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Also man kann hier alles machen, was man so will. Es hängt jetzt davon ab, inwieweit er jetzt auch vom Ausland ein bisschen so in die Schranken gewiesen wird, was natürlich nicht so sehr passiert. Aber alles spricht ja darauf hin, dass es auch irgendwie so weitergeht, denn die Säuberung, vor allen Dingen wenn wir jetzt über Kultur reden, die ist ja nicht von gestern. Sowie Orban mit seiner Partei an die Macht kam, ging es zum Beispiel in der Staatsoper los. Da wurde der Direktor entlassen, angeblich Misswirtschaft, der künstlerische Leiter Balasz Kovalik, sehr bekannt in Deutschland, wurde entlassen, er würde so viel für ausländische Schauspieler und Künstler stimmen, der Generalmusikdirektor Adam Fischer warf dann das Handtuch, resigniert trat er zurück und macht halt nicht weiter.

    Koldehoff: Hört sich nicht gut an. – Theaterkampf in Budapest. Vielen Dank. Harriett Ferenczi war das.