Wille: Hierzulande ist es so, dass viele Kommunen Einnahme- und Etatrückgänge von zwischen 30, 40, 50 bis zu 60 Prozent haben. Das sind ganz gewaltige Schwierigkeiten, und die meisten Theaterträger sind nun mal Kommunen. Es gibt zwar auch Landestheater, aber es gibt keine Bundestheater, und die meisten unserer öffentlich subventionierten Häuser sind von den Gemeinden, Kommunen und Städten getragen, und die stecken nun mal in erheblichen Finanzschwierigkeiten.
Kultur Heute: Kann sich also die Gesellschaft bei uns das System der althergebrachten Stadttheater nicht mehr leisten?
Wille: Kulturausgaben sind freiwillige Ausgaben, das ist klar. Und wenn es in den öffentlichen Haushalten klemmt, dann spart man bei der Kultur. Andererseits muss man sehen, dass seit der deutschen Einheit die kommunalen Finanzen kontinuierlich von jeder Regierung und von jeder Koalition zurückgefahren wurden zu Lasten des Bundeshaushaltes, den man noch immer versucht, irgendwie hat zu konsolidieren. Die Städte und Gemeinden sitzen auf den steigenden Sozialausgaben, und was wegbricht, sind Gewerbesteuereinnahmen. Dies geschieht wegen der mangelnden Konjunktur, aber zum größeren Teil brechen sie zum Beispiel weg wegen der veränderten Steuergesetzgebung, wegen der Steuerreform, die es großen Konzernen erlaubt, anderweitige Verluste gegen hiesige Gewinne aufzurechnen. Also ich glaube, man muss erst mal nicht die Gesellschaft fragen, man muss sich ein bisschen mit der Steuergesetzgebung auseinandersetzen und man muss ein bisschen fragen, was heißt Gerechtigkeit in einem föderalen System.
Kultur Heute: Wenn man davon ausgehen kann, dass künftig die Theater nicht mehr von der öffentlichen Hand gehalten werden können, wäre es dann eine Chance, sie sozusagen in freie Stiftungen, in private Träger überzuführen?
Wille: Das Problem bei privaten Finanzierungen ist doch immer, dass sie immer einen Sponsor finden, der wenn es seinem Konzern oder seiner Firma gut geht, für ein Jahr oder für zwei Jahre eine Patenschaft übernimmt. Theater ist aber eine Geschichte, die einfach längerfristig funktionieren muss, Sie können Engagements nicht von heute auf morgen machen, Sie müssen planen. Außerdem finden Sie keine private Trägerschaft, die Ihnen über mittelfristige Zeiträume die Gelder garantiert, die nötig sind, um solche Häuser zu leiten.
Kultur Heute: Nun ist sparen und weggespart werden eine Sache, die sozusagen dem Gesetz der kommunizierenden Röhren vielleicht vergleichbar gehorcht. Dort, wo kein Widerstand geleistet wird, werden Dinge wegfallen gelassen, wie man so schön in der Verwaltungssprache sagt. Das heißt, die schmale Kulturszene in den Städten ist jeweils auf sich angewiesen. Da konkurrieren Städte gegeneinander. Was wäre hier zu tun, um den Widerstand zu mobilisieren?
Wille: Ich glaube, man kann der Kulturszene nicht vorwerfen, dass sie nicht genügend Widerstand gegen Sparszenarien entwickelt. Also Widerstand wird geleistet.
Kultur Heute: Aber vielleicht hat sie einfach keine Lobby, diese Szene.
Wille: Die Szene hat natürlich nicht die Lobby, die andere Szenen haben, die vor allem die Szenen haben, die kommerziell funktionieren. Das ist ganz klar. Ist sehe vor allem das Problem darin, dass man vernünftige Alternativen für die Kulturfinanzierung der Länder und Gemeinden auftun muss. Das ist die eigentliche Aufgabe, und das ist nicht mal die Aufgabe der Kulturpolitiker. Da müssen sich wirklich die Finanz- und Steuerpolitiker drum kümmern, und das ist ein Problem, das immer unter den Tisch gekehrt wird und das immer weggeredet wird. Das ist ein Problem, das jede Bundesregierung wegschiebt. Und das muss sich was ändern.
Kultur Heute: Wie optimistisch und wie pessimistisch sind Sie? Also wenn man noch mal Frankfurt betrachtet, vom legendären Hilmar Hoffmann bis zur glücklosen Linda Reisch bis zur Büroklammer - so nennt er sich ja - Bernhard Nordhoff, ist diese abschüssige Frankfurter Linie sozusagen auch wegweisend jetzt für die gesamte Theaterrepublik?
Wille: Nein. Franfurt ist ein besonders schlimmes Beispiel. In Frankfurt sieht man natürlich, was Fehlbesetzungen auf Kulturpolitikerposten anrichten können. Nur man muss die Strukturen so etablieren, dass einzelne Fehlbesetzungen, die gibt es bei Politikern ja leider immer, nicht ganze Theater- und Kulturszenen in den Abgrund reißen können. Das ist das Problem. Mit Flaschen muss man leben können, aber man muss dafür sorgen, dass nicht der ganze Getränkekasten hinüber geht.
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