Eine coole Party läuft da in Shakespeares Venedig. In einem Meer aus silbernen Bistro-Stühlen isst man Kuchen und singt fröhlich im Chor, eine Opernsängerin trillert Arien dazu. Aber Shakespeare hat den "Kaufmann von Venedig" ja sogar selbst als Komödie bezeichnet. Die Finanzkrise lässt allerdings nicht auf sich warten. Regisseur Elmar Goerden spart nicht mit aktuellen Anspielungen. Er projiziert englische Marketingsätze an die Wand, einer hält die Tageszeitung hoch und sagt "Geld ist nie weg, es wechselt nur die Seiten" - das erntet Lacher. Doch hier geht es nicht um fallende Aktienkurse, sondern um die verschwundenen Schiffe von Kaufmann Antonio. Nun muss Geld her für die Brautschau des Sohnes. Was bleibt übrig, als den Juden Shylock zu fragen, den man sonst schön links liegen lässt. Shylock ist in Bochum mit Renate Becker besetzt: eine verbitterte Holocaust-Überlebende mit gerechtem Hass auf das, was ihr in Venedig angetan wurde. Doch die Frau als Mann wirkt gänzlich unsympathisch: untersetzt, gnomhaft und verhärtet. Dass Goerden sie oft den englischen Text sprechen lässt, macht es nicht besser, sondern unverständlich und nervig. Hier kann niemand Partei ergreifen: weder für die loungige, antisemitische Partygesellschaft, noch für den bösartigen, hassgetriebenen Juden, der ohne Gnade ein Stück Fleisch von Antonio als Pfand fordert.
"Er nannte mich immer Halsabschneider, er soll aufpassen mit seinem Schein! (Kläfft). / Ganz ruhig, Shylock. Was ist das mit dem Schein, ist das ein Scherz? Wofür ist das gut? / Er hat mich beschimpft und mich um eine halbe Million gebracht...Ich bin ein Jude... hat nicht ein Jude Augen, Sinne, Glieder, Eigenschaften? Wenn ihr uns ein Unrecht tut, sollen wir uns nicht rächen?"
Zitiert wird aus Lessings Ringparabel, Shakespeare-Stücken und Paul Celan-Gedichten. Doch Elmar Goerden wirft so viel zusammen, dass kaum etwas von den eigentlichen Fragen übrigbleibt: gibt es gerechte Rache, was ist Antisemitismus - und wie sehr ist man selbst immer noch Teil davon? Es bleiben aufgeplusterte Ideen, die nichts Ganzes ergeben: Eine Enttäuschung.
Umso besser ist der nächste Abend. Die 30-jährige Bochumer Hausregisseurin Lisa Nielebock hat Roberto Zucco von Bernard-Marie Koltés düster und verstörend inszeniert: die Bühne ist ein besteigbares Gitter, auf dem gleich zu Anfang ein Mädchen vergewaltigt wird - eine fast unerträgliche Szene. Der Rest spielt meist im Zuschauerraum, das macht es dicht und nah. Koltes, der mit 41 Jahren an Aids starb, hat das Stück nach einer realen Zeitungsmeldung geschrieben und erhebt Zucco dennoch zur mythischen Figur, die amoralisch alles überrollt. Zu Fall gebracht wird er schließlich vom Mädchen, das er anfangs vergewaltigt hat - weil er ihr seinen Namen verriet.
"Wie heißt du? Sag mir deinen Namen. Meinen Namen sag ich nie. Ich hab ihn vergessen. Andreas. Angelo. / Mach dich nicht lustig über mich! / Ich darf ihn nicht sagen. / Wenn ich ihn sagen würde, müsste ich sterben. / Sag ihn mir trotzdem. / Roberto./ Den Namen werd ich nie vergessen..."
Gespielt wird das mit äußerster Intensität, Brutalität und einer schönen Stille zwischen den Sätzen, die nur durch ein melancholisches Cello aufgelockert wird. Zucco, der Mörder, ist nur das Symptom einer durch und durch gewaltverseuchten Gesellschaft: die Polizisten foltern, der vermeintlich fürsorgliche Bruder schlägt die vergewaltigte Schwester, die große Schwester redet auf sie ein, anstatt zu helfen.
Doch das eigentliche Ereignis ist der Schauspieler Oliver Möller als Roberto Zucco. Er entwickelt seine Figur aus einer Haltung heraus, die mehr erzählt als Worte: verschlagen, krankhaft zuckend, angstvoll. Mit einem brutalen und verletzten Gesicht - man möchte ihm die ganze Zeit zusehen. Zum Schluss stürzt er wie ein Ikarus vom Gefängnisdach. Ob das Stück heute als Gesellschaftsanalyse taugt, bleibt unklar. Dass die Gewaltszenen so explizit und brutal ausgespielt werden, während nicht einmal thematisiert wird, dass sie ja nur gespielt sind, wirkt zuweilen antiquiert. Und doch ist es ein runder Abend, der Schauspieler und Text sehr ernst nimmt.
Der schönste Abend des Bochumer Spielzeitbeginns findet aber im kleinen Theater unter Tage statt, wo Autor und Regisseur Kristo Šagor gerade für fünf Monate eingezogen ist. Die Uraufführung seines Stücks "Der eigene Raum" ist der Auftakt eines öffentlichen Wohnexperiments im Bühnenbild ohne Tageslicht. In der Mitte steht ein zerwühltes Bett auf Parkettimitation neben einem großen Schreibtisch, an den Wänden schreien die Tapetenmuster. Das Stück ist der melancholische Monolog eines einsamen, beziehungslosen "Übrigbleibers" nach dem Tod des Vaters. Der eigene Raum liegt im Kopf der Figur, die "Ich" oder Christian heißt. Das Alter Ego von Kristo Šagor tippt wie besesssen an einer Schreibmaschine, während ihn die Personen seiner Vergangenheit heimsuchen. Katja Hensel und Maximilian Strestik stellen abwechselnd die fordernde Mutter, den bodenständigen besten Freund, einen tuntigen Tod oder die Exfreundin dar.
"Was willst du? Wissen, wies dir geht. Du bist nicht gekommen wegen meiner begehrenden Blicken? Ich will doch gar nichts! /Fass mich nicht an. / Wollen wir weinen? Oder wollen wir lachen? Geht's dir gut? Natürlich nicht."
Zum Schluss stellt sich heraus, dass Ich eigentlich tot ist, er liegt blutüberströmt unter der Dusche, die Figuren waren Gespenster aus seinem Leben. Es ist eine melancholische Selbstschau von einer kurzen Stunde und ein radikal persönliches Stück über den totalen Rückzug in sich selbst. Fast schon ironisch, dass der Autor es zum Auftakt eines Experiments über größtmögliche Öffentlichkeit macht. Fast möchte man mit einziehen in diesen Kopf und in diese neue Wohnung.
"Er nannte mich immer Halsabschneider, er soll aufpassen mit seinem Schein! (Kläfft). / Ganz ruhig, Shylock. Was ist das mit dem Schein, ist das ein Scherz? Wofür ist das gut? / Er hat mich beschimpft und mich um eine halbe Million gebracht...Ich bin ein Jude... hat nicht ein Jude Augen, Sinne, Glieder, Eigenschaften? Wenn ihr uns ein Unrecht tut, sollen wir uns nicht rächen?"
Zitiert wird aus Lessings Ringparabel, Shakespeare-Stücken und Paul Celan-Gedichten. Doch Elmar Goerden wirft so viel zusammen, dass kaum etwas von den eigentlichen Fragen übrigbleibt: gibt es gerechte Rache, was ist Antisemitismus - und wie sehr ist man selbst immer noch Teil davon? Es bleiben aufgeplusterte Ideen, die nichts Ganzes ergeben: Eine Enttäuschung.
Umso besser ist der nächste Abend. Die 30-jährige Bochumer Hausregisseurin Lisa Nielebock hat Roberto Zucco von Bernard-Marie Koltés düster und verstörend inszeniert: die Bühne ist ein besteigbares Gitter, auf dem gleich zu Anfang ein Mädchen vergewaltigt wird - eine fast unerträgliche Szene. Der Rest spielt meist im Zuschauerraum, das macht es dicht und nah. Koltes, der mit 41 Jahren an Aids starb, hat das Stück nach einer realen Zeitungsmeldung geschrieben und erhebt Zucco dennoch zur mythischen Figur, die amoralisch alles überrollt. Zu Fall gebracht wird er schließlich vom Mädchen, das er anfangs vergewaltigt hat - weil er ihr seinen Namen verriet.
"Wie heißt du? Sag mir deinen Namen. Meinen Namen sag ich nie. Ich hab ihn vergessen. Andreas. Angelo. / Mach dich nicht lustig über mich! / Ich darf ihn nicht sagen. / Wenn ich ihn sagen würde, müsste ich sterben. / Sag ihn mir trotzdem. / Roberto./ Den Namen werd ich nie vergessen..."
Gespielt wird das mit äußerster Intensität, Brutalität und einer schönen Stille zwischen den Sätzen, die nur durch ein melancholisches Cello aufgelockert wird. Zucco, der Mörder, ist nur das Symptom einer durch und durch gewaltverseuchten Gesellschaft: die Polizisten foltern, der vermeintlich fürsorgliche Bruder schlägt die vergewaltigte Schwester, die große Schwester redet auf sie ein, anstatt zu helfen.
Doch das eigentliche Ereignis ist der Schauspieler Oliver Möller als Roberto Zucco. Er entwickelt seine Figur aus einer Haltung heraus, die mehr erzählt als Worte: verschlagen, krankhaft zuckend, angstvoll. Mit einem brutalen und verletzten Gesicht - man möchte ihm die ganze Zeit zusehen. Zum Schluss stürzt er wie ein Ikarus vom Gefängnisdach. Ob das Stück heute als Gesellschaftsanalyse taugt, bleibt unklar. Dass die Gewaltszenen so explizit und brutal ausgespielt werden, während nicht einmal thematisiert wird, dass sie ja nur gespielt sind, wirkt zuweilen antiquiert. Und doch ist es ein runder Abend, der Schauspieler und Text sehr ernst nimmt.
Der schönste Abend des Bochumer Spielzeitbeginns findet aber im kleinen Theater unter Tage statt, wo Autor und Regisseur Kristo Šagor gerade für fünf Monate eingezogen ist. Die Uraufführung seines Stücks "Der eigene Raum" ist der Auftakt eines öffentlichen Wohnexperiments im Bühnenbild ohne Tageslicht. In der Mitte steht ein zerwühltes Bett auf Parkettimitation neben einem großen Schreibtisch, an den Wänden schreien die Tapetenmuster. Das Stück ist der melancholische Monolog eines einsamen, beziehungslosen "Übrigbleibers" nach dem Tod des Vaters. Der eigene Raum liegt im Kopf der Figur, die "Ich" oder Christian heißt. Das Alter Ego von Kristo Šagor tippt wie besesssen an einer Schreibmaschine, während ihn die Personen seiner Vergangenheit heimsuchen. Katja Hensel und Maximilian Strestik stellen abwechselnd die fordernde Mutter, den bodenständigen besten Freund, einen tuntigen Tod oder die Exfreundin dar.
"Was willst du? Wissen, wies dir geht. Du bist nicht gekommen wegen meiner begehrenden Blicken? Ich will doch gar nichts! /Fass mich nicht an. / Wollen wir weinen? Oder wollen wir lachen? Geht's dir gut? Natürlich nicht."
Zum Schluss stellt sich heraus, dass Ich eigentlich tot ist, er liegt blutüberströmt unter der Dusche, die Figuren waren Gespenster aus seinem Leben. Es ist eine melancholische Selbstschau von einer kurzen Stunde und ein radikal persönliches Stück über den totalen Rückzug in sich selbst. Fast schon ironisch, dass der Autor es zum Auftakt eines Experiments über größtmögliche Öffentlichkeit macht. Fast möchte man mit einziehen in diesen Kopf und in diese neue Wohnung.