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Theatermuseum live - "Ritter, Dene, Voss" von Thomas Bernhard

"Selbstverwirklichung, was für ein abstoßender Begriff", wettert Ludwig, eine Figur, mit der Thomas Bernhard zugleich eine Hommage an den Philosophen Ludwig Wittgenstein schuf und zugleich eine Glanzrolle für den Schauspieler Gerd Voss, einem der drei bevorzugten Theaterkünstler des österreichischen Dichters. Das Stück "Ritter, Dene, Voss" ist österreichischer Theater-Urstoff, ein Burgtheaterjuwel, das wie ein transparenter Stein jüngst vergangene Zeitgeschichte in sich aufgenommen und teilweise fossilisiert hat, wie eben jenen Begriff "Selbstverwirklichung", der zu Zeiten von Hartz IV wie ein schnurriges Reichtums-Kuriosum klingt, wie ein Begriff aus einer Zeit der verträumten, europäischen, spätromantischen Ich-Glorifizierung.

Von Eberhard Spreng |
    Bernhard schimpfte damals auch gegen eine Verunglimpfung und Verflachung des Künstlerbegriffes, und einen Prozess, der bis heute beschleunigt und unter Verschleiß diverser Modebegriffe fortgeschritten ist. In diesem Sinne hat die Wiederbegegnung mit dem 1986 erstmalig aufgeführten Stück etwas vom Wandeln auf dem Sprachlehrpfad, mit vielen Begegnungen mit alten in Vergessenheit geratenen Bekannten. Viel auffälliger natürlich ist, insbesondere für das Berliner, dekompositionsgewöhnte Publikum, die Wiederbegegnung mit einer Theaterästhetik, in der nicht Realitätspartikel und auf der Bühne mit fremdartigen Kunst- und Reflexions-Fragmenten spekulativ aufsummiert werden, sondern man durch das Bühnenportal in eine fremde, präzis kalkulierte und eingerichtete Kunstwelt blicken kann; zum Beispiel in das Speisezimmer einer alten bürgerlichen Haushaltung, in dem nun schon seit Jahrzehnten vor vergrauender Tapete Gemälde hängen, auf denen unter anderem die Eltern der drei Geschwister zu sehen sind. Diese "Worringer-Hölle", wie sie der aus der Nervenheilanstalt Steinhof zurückkehrende Bruder Ludwig bezeichnet - ein ovaler Raum in dem die betuliche der beiden Schauspielerschwestern unter anderem traditionsgemäße Brandteigkrapfen serviert - wirkt so aus der Zeit gerückt, so gegen die Gegenwärtigkeit gestellt, dass man ihm auf den ersten Blick nur Kunst-Raum-Qualitäten zugestehen möchte und erst auf den zweiten Blick erkennt, dass es nur die öffentliche Vorherrschaft des Jugendkultes ist, die veraltete Moden und Stile als so unwirklich erscheinen lässt.

    In dem seit der Uraufführung unveränderten Dekor des Karl-Ernst Herrmann ist aber doch nur eine Wirklichkeit eingefangen, die für eine vergreisende Gesellschaft eigentlich typisch sein könnte. Dass in den gequälten Ritualen der Worringer-Geschwister allerdings mit dem Untergang eines einstigen bürgerlichen Lebensstils auch eine ganze Welt zuende geht, theatralisch sinnfällig durch die handgreiflichen Interventionen des Bruders, seine Übergriffe auf Standuhr, Bilder und Buffet, hat Bernhard bereits in seinem Stück genüsslich zelebriert. Er bleibt der humorvollste Zeuge der Zersetzungsprozesse der bürgerlichen Lebensform, der verbitterste Chronist des Zerfalls der abendländischen Aufklärung und der komischste Schöpfer all jener verzweifelt komischer Überlebensversuche des österreichischen Individuums inmitten von Zerfall und Niedertracht.

    Ein Drittes macht das in Berlin wiederaufgeführte "Ritter, Dene, Voss" aber auch deutlich: Jeder große Erfolg schafft sich seine eigene Geschichte, schafft sich selbst seine ihm eigene Zeitgenossenschaft, lebt parallel und außerhalb der sich beschleunigenden, globalisierenden Gegenwärtigkeit. Wo man eine verrohte, vergröberte, durch Routine ins Karikaturale verzerrte Darstellung der drei Meistermimen erwartet hätte, halten sich insbesondere Kirsten Dene und Ilse Ritter fern von jeder rampensäuischen Doppelbödigkeit, wollen nicht mit kalkulierten Effekten ins Herz der Zuschauer, sondern mit dem Erspielen ihrer Figuren, was ihnen diese am Berliner Ensemble mit herzhaftem Lachen dankten. Heute wird noch viel klarer deutlich, was Theatermacher zu Bernhards Lebzeiten, vermutlich durch die Lektüre seiner verfinsterten Prosa, oft nicht zum Leuchten brachten: Der vor 15 Jahren gestorbene Autor war ein exzellenter Komödienschreiber, sein Hohn und seine Bitterkeit auf dem Theater nur im Lachen sublimierbar und so als Kunst zugleich erschöpft und überwunden.