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Theaterreise ins Private

X-Wohnungen nennt sich ein Theaterformat, bei dem die Besucher auf Wanderschaft durch Privatwohnungen geschickt werden. Hinter den ansonsten verschlossenen Türen erwarten die Besucher kleine Dramen, Installationen, leutselige Besucher oder einfach das blanke Nichts. Nun wurde das in Berlin entstandene Format mithilfe des Goethe-Instituts erstmals in Beirut umgesetzt.

Von Gerd Brendel | 21.05.2013
    Die Stadtautobahn entlang bis zum Stacheldrahtzaun mit dem Armee-Unterstand und dann links in die kleine Gasse, liest Raghida von dem Zettel mit der Wegbeschreibung ab. Die Beiruter Kollegin arbeitet bei einer französischsprachigen Kulturzeitschrift und war noch nie in dieser Gegend, durch die die erste Tour von X-Apartments führt.

    "Chandak al Amik das war ein Aufmarschgebiet,"

    erklärt Matthias Lilienthal.

    "Und im Bürgerkrieg ist es siebenmal besetzt worden, war mal ein bourgeoises christliches Viertel und jetzt sind da Schiiten und Sunniten drin."

    An den Laternenpfählen kleben Plakate mit Hisbollah-Chef Hassan Nasralla. Auch im Wohnzimmer unserer ersten Station fehlt er nicht. Daneben hängt ein Foto mit einem jungen Mann.

    Sicher ein ‚Märtyrer‘, flüstert Raghida. Der Großvater des jungen Mannes sitzt auf der Couch und erzählt, dass er schon vor der Unabhängigkeit gegen die französischen Kolonialherren demonstriert hat. Aber weder seine Vergangenheit noch sein toter Enkel werden ihn davor bewahren, demnächst mit seinen Nachbarn vertrieben zu werden. Die heruntergekommenen Kleine-Leute Quartiere des Viertels sollen Platz machen für neue Luxus-Apartments und Bürotürme, wie sie ringsum schon stehen. Wir besichtigen die winzigen Wohnungen der Nachbarn und werden dabei gefilmt.

    "Und jetzt hat ein Student da 'ne Installation gemacht, die beleuchtet und gefilmt wird und wo eigentlich der Zuschauer zum voyeuristischen Eindringling wird."

    Ein paar Stationen weiter werden die Besucher wieder zu Eindringlingen. Im vierten Stock eines Hochhauses bekommen wir eine Taschenlampe in die Hand gedrückt und werden in eine stockfinstere Wohnung geschickt, als Einbrecher oder Eingreifkommando? Zurück auf der Straße geben uns die Blicke einer Jung-Männer-Gruppe zu verstehen, dass wir, ein Europäer und eine westlich gekleidete Libanesin, nicht hierher gehören. Beirut in diesen Tagen ist ein Pulverfass.

    "”Man spürt die Spannung. Der kleinste Anlass reicht und die Leute gehen aufeinander los.""

    Sagt der libanesische Künstler Rabin Mroué ein paar Abende später im Medina Theater in Hamra, dem alten Zentrum von West-Beirut. Auf der Bühne: ein Schreibtisch, eine Telefonanlage, ein Computer, ein alter Plattenspieler.

    Das Telefon klingelt, aber niemand hebt ab. Die Bühne bleibt leer, denn der Besitzer des Schreibtischs hat sich umgebracht. Das erfährt das Publikum aus den Facebook- Kommentaren, die auf die Leinwand über dem Schreibtisch projiziert werden. Die Performance beruht auf einer wahren Geschichte.

    "”Vor einem Jahr haben wir uns überlegt, wie wir über den arabischen Frühling und das, was hier im Libanon passiert, reden können, und dann haben wir vom Selbstmord dieses Künstlers und Menschenrechtsaktivisten gehört.""

    Im Parlament streiten in diesen Tagen die politischen Erben der Zedern-Revolution mit der Hisbollah. Eine Regierungskoalition ist nicht in Sicht, aber der Alltag in Beirut geht weiter.

    Den erleben die Besucher der zweiten X-Apartments-Tour durch "Burj Hamoud", einem traditionellen Armenier-Viertel. Wenn es in der ersten Tour um die trostlose Vergangenheit und die Gegenwart ging, werden die Besucher hier in die Träume der Bewohner hineingezogen: In der ersten Wohnung werde ich von meinem Begleiter, Kevork, einem armenischen Ingenieur getrennt. Mich erwartet im Wohnzimmer eine Partnervermittlung.

    Ein paar Worte zur Vorstellung, meine Schwächen, meine Stärken, meine Wünsche. Die Kamera?

    "Nur zum internen Gebrauch."

    Nach dem Interview schaut mich Kevork mit großen Augen an. Er hat im Nachbarzimmer mein Interview im Fernsehen gesehen, allerdings bekam ich in seiner Version die Fragen von der armenischen Mutter der potenziellen Braut gestellt. Die Suche nach dem passenden Partner geht in Beirut mehr als nur zwei Menschen an.

    Weiter geht es auf der Reise durch fremde private Leben.

    Die letzte Station ist ein heruntergekommenes Kino. Wo sich sonst die ausschließlich männlichen Kinobesucher mehr für ihre Sitznachbarn interessieren als für die Filme auf der Leinwand, laufen jetzt Ausschnitte aus einem halben Jahrhundert arabisch-ägyptischer Filmgeschichte aus homosexueller Perspektive: Frauenpaare, die sich anschmachten. Eine orientalische Version von Charlie´s Tante, Männerpaare die im Dunkeln verschwinden. Yussuf Chahine spielt sich selbst als erfolgreichen Filmregisseur, der ausgelassen mit einem jungen Mann ausgerechnet durch ein ägyptisches Film-Berlin tanzt. Fast ein versöhnlicher Traum am Ende.