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Theaterstück „Fremd 4.0“
Wenn Zugereiste fremdeln

Zugezogene und geflohene Künstler spielen sich selbst: Das Theaterstück „Fremd 4.0“ verschränkt Biografien von Musikern und Tänzern aus Kuba, Chile, Syrien, Ex-Jugoslawien und dem Senegal. Es geht um Kulturgrenzen, sprachliche Hürden wie "Familienzusammengehörigkeit" und Identität in digitalen Zeiten.

Von Peter Backof | 01.02.2019
    Ein Schauspieler sitzt in Unterhemd und Hose auf einem Schemel vor einem Spiegel
    Die Welt durch die Augen eines anderen sehen - das will das Theaterstück "Fremd 4.0" (Meyer Originals)
    Szene aus dem Stück:
    "Du kommst hier so bei null Grad an."
    "Unglaublich fremd!"
    "Aber mittlerweile kann ich damit leben: In der Wohnung mit Heizung, dann passt das schön."
    Senegal, Kuba, Chile, Syrien und Ex-Jugoslawien. Das sind die Herkunftsländer der fünf Protagonisten des Musiktheaterstücks "Fremd 4.0" von "A.Tonal.Theater". Und es macht ihnen gehörigen Spaß, deutsche Wortschöpfungen wie "Herkunftsländer" durch den Pointenwolf zu drehen. Da lacht auch das – dem Augenschein nach - überwiegend deutsche, akademisch gebildete Premierenpublikum: über sich selbst. Ganz im Sinn von Regisseur Jörg Fürst:
    "Es gibt so ein Zitat von Hegel: 'Bildung ist die Fähigkeit, seine Welt durch die Augen eines anderen sehen zu können.' Und das ist unser Thema. Unser Thema ist überhaupt nicht, diese Leute einzuordnen, sondern die ordnen unsere Gesellschaft ein."
    "Der Blick auf 'Heimat' wird sich verändern"
    Szene aus dem Stück: "Deutschland ist Traum und Albtraum: Hier ist viel Einsamkeit für mich. In Syrien ist Familie ganz wichtig. Das ist die Hauptsache, die Familienzusammengehörigkeit."
    Sagt Mohammad "Saado" Kharouf in seinem Monolog. Der Schauspieler und Tänzer war 2016 aus Syrien geflohen. Mittlerweile hat er in Köln Fuß gefasst - beruflich, privat und sprachlich, wie mit "Familienzusammengehörigkeit". Doch "soziale Kälte" beklagen alle Fünf als typisch Deutsch. So war Majela van der Heusen mehr als befremdet – sie kam schwanger nach Deutschland –, dass ihr niemand spontan half. Ganz anders als auf Kuba, leben die Deutschen nur so für sich alleine, sagt sie. Die Sprechtexte sind dramatisiert und verdichtet, beruhen aber auf den echten Biografien der professionellen Musiker und Tänzer. Alle spielen sich selbst. Sich selbst "4.0"?
    Jörg Fürst: "Weil im Zuge der Digitalisierung und der vierten industriellen Revolution sich altbekannte, soziale Zusammenhänge noch mehr auflösen werden. Insofern wird sich auch der Blick auf 'Heimat' nochmal wieder verändern."
    Bei der Premiere menschelt es analog
    "Fremd 4.0" ist der zweite Teil einer Trilogie über Heimatgefühle. Vor einem Jahr ging es bei "A.Tonal.Theater" um deutsche Innenansichten, geplant ist ein Abend über "Das Fremde in mir selbst". Auf der Bühne des "Bürgerzentrums Alte Feuerwache" indes menschelt es bei der Premiere analog, mit körperlich sehr präsenten Darstellern. Ausdruckstanz und Kickboxen sind Elemente. Stark ist – ganz ohne Metaebene und "4.0" - der Einsatz und die Rolle, die Musik spielt.
    Szene aus dem Stück: "Die deutschen Musiker machen amerikanische Musik. Gibt es überhaupt deutsche Musik? Was ist denn deutsche Musik? Schlager? Klassik? Okay."
    Aidara Seck aus dem Senegal führt in Grundzüge des Storytellings mithilfe von Trommeln ein - kein Gag, sondern eine lokal bedeutende Tradition. Klar eckt er in Deutschland mit seinem Schallpegel oft an; und fremdelt deshalb. Pia Mirandas Posaune stellt zackig-deutschen Sprachklang onomatopoetisch nach. Etwas kitschig! Posaune, Bass, Gitarre, Trommeln und Gesang jammen zwischendurch und als Konzert überzeugend. Multikulti-Fusion. Klingt so die Globalisierung?
    Jörg Fürst: "Die Musik ist unser Motor. Man kann diese Musiker auf jeden Fall auf die regionalen, musikalischen Wurzeln zurückführen, aber man merkt dann auch sehr schnell, dass es so etwas wie eine universelle, musikalische Sprache gibt, wo die sich auch treffen."
    Klischees, die nicht wirklich provozieren
    Gut - und mit sehr guten Darstellern und Musikern bestückt. Aber inhaltlich wartet man gegen Ende dieser Premiere noch auf etwas. Das Stück kommt über die schablonenhafte Bloßstellung der Deutschen als verklemmte, tanzfaule Einzelgänger nicht recht hinaus, die dann durch exotisch lebensfrohe Migranten horizonterweitert werden. Es ist meist bei Stand-up-Comedy-Elementen geblieben - Klischees, die nicht wirklich provozieren. Ein auch schon wieder klischeehaft typisch deutsches, bildungsbürgerliches Theaterpublikum hätte mehr vertragen von richtig guten, nachdenklich machenden Szenen. Wie dieser:
    "In Chile, das ist klar, dass es keine Gleichberechtigung gibt. Jeder weiß das. Das ist eine ehrliche Situation. In Deutschland hast du die Behauptung: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Aber es ist nicht so. Das ist eine unehrliche Situation. Was ist besser? Was ist schlechter?"