Archiv

Theaterstück Marat/Sade in München
Tarzan in der Badewanne

Das Theaterstück „Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ - oder auch kurz „Marat/Sade“ - ist ein Stück im Stück. Tina Lanik lässt am Münchner Residenztheater eine Ebene weg und zieht aktuelle Bezüge.

Von Sven Ricklefs |
    MARAT/SADE von Peter Weiss Premiere am 27. September 2018 im Residenztheater Regie Tina Lanik Bühne + Kostüme Stefan Hageneier Musik Cornelius Borgolte Licht Gerrit Jurda Dramaturgie Andrea Koschwitz mit Michele Cuciuffo (Ausrufer), Pauline Fusban (Simonne Evrard), Thomas Grässle (Duperret), Lilith Hässle (Charlotte Corday), Thomas Lettow (Jaques Roux), Joachim Nimtz (Chor), Wolfram Rupperti (Chor), Götz Schulte (Chor), Charlotte Schwab (Marquis de Sade), Nils Strunk (Jean Paul Marat) v.l. Thomas Lettow, Nils Strunk
    Nils Strunk und Thomas Lettow in "MARAT/SADE" von Peter Weiss am Residenztheater München (Matthias Horn)
    Vielleicht ist das ja alles ein schlechter Traum von diesem Marquis de Sade, der da von Beginn an wie hingekotzt schmerbäuchig und dekadent am Bühnenrand liegt, der sich in der Gestalt der Schauspielerin Charlotte Schwab nur noch mühsam fortbewegen wird und der seine desillusionierte Weltsicht als Menschenekel vor sich herträgt. Ein Theaterstück ist es nicht: Diese "Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats", jedenfalls kein Stück im Stück, wie sich das Peter Weiss für seine Revolutionsgroteske eigentlich einmal so ausgedacht hat, damals in den Sechzigern.
    Dafür ist das Hospiz zu Charenton, die Irrenanstalt, umso gegenwärtiger: Da fahren immer wieder breite Holzwände mit Käfigtüren auf verschiedenen Drehkreisen herum, die in ihren klaustrophobisch engen Hohlräumen Blutbottiche oder auch mal eine Guillotine beherbergen. Oder: Männergruppen in Unterhemden, den "Vierte Stand" also und damit diejenigen, um die es eigentlich geht.
    Regisseurin lässt Metaebene weg
    Die Räume diese Anstalt sind einzig mit Toilettenschüsseln und Waschbecken ausgestattet, und natürlich mit Marats berühmter Badewanne. Darin lag der Revolutionär wohl nachweislich wegen einer juckreizenden Hautkrankheit. Und darin wird der Mann, der aus Überzeugung für seine Ideologie über Leichen ging schließlich auch ermordet.
    In ihrer Münchner Inszenierung von Peter Weiss´ "Marat/Sade" lässt Regisseurin Tina Lanik das Spiel im Spiel weg und damit eine Metaebene, mit der der Autor seine politische Baukastendiskussion wohl noch einmal verdeutlichen wollte. Lanik konzentriert sich ganz auf die Konfrontation zwischen dem Zweifler an jeglicher Moral: de Sade und dem Freund des Volkes: Marat.
    "Anstatt nur reglos zuzusehen, greife ich ein und nenne gewisse Dinge: falsch. Und arbeite daran sie zu verändern und zu verbessern. Es kommt darauf an, sich am eigenen Haar in die Höhe zu ziehen, sich selbst von innen nach außen zu stülpen und die ganze Welt mit neuen Augen zu sehen. Wir sind es doch, die die Welt ändern müssen, Sade."
    Ein Marat irgendwo zwischen Tarzan und Jesus
    Ganz allerdings kann sich aber auch diese Version des Stückes nicht von Moritat, Knittelvers und Blutgepansche lösen. Da ist viel Mummenschanz und da ist immer wieder die Badewanne, in die - oder aus der man wahlweise hinein oder herausrutscht. Was wohl als Grand Guignol gedacht ist, wirkt manchmal eher unfreiwillig komisch. Dabei hat das Stück in einer Zeit, in der längst unsere Auffassung von Demokratie überall und auch bei uns von wachsenden Kräften zur Disposition gestellt wird, durchaus seine Brisanz.
    Tina Lanik versucht das nicht nur durch Hinweise auf politische Aktualität zu verdeutlichen, sondern sie macht auch zwischen Marat und de Sade den Generationenkonflikt auf, in dem sie dem alten aufgedunsenen inneren Emigranten de Sade einen jungen Barrikadenkämpfer Marat gegenüberstellt, den Nils Strunk - nur mit Lendenschurz bekleidet – irgendwo zwischen Tarzan und Jesus ansiedelt. Er darf dann sogar – halb aus seiner Rolle heraustretend – aus dem Hier und Heute heraus das Publikum direkt ansprechen und den Quantensprung wagen zwischen den Zuständen vor 200 Jahren und einem Jetzt, in dem rechte Kräfte salonfähig werden und Politiker in Berlin oder München ihre Wahnvorstellungen geben. Dass er dabei allerdings mit einem inszenierten Zwischenrufer in den Dialog tritt, nimmt der Szene viel von ihrer Eindringlichkeit. Und so wird einem Tina Laniks "Marat/Sade" wohl weniger als brisantes Theater denn als ein Versuch im Gedächtnis bleiben, Fragen zu stellen. Fragen, wie: wie reagieren, wie politisch werden und: wie kämpfen!