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Theaterstück "The Hard Problem"
Materialisten vs. Idealisten - eine wortgewaltige Kollision

Gibt es Rücksicht und Anteilnahme in der Ellbogengesellschaft? Diese Frage steht im Mittelpunkt von Tom Stoppards Stück "The Hard Problem", das am Londoner Royal National Theatre gezeigt wird. Eine Stärke der Inszenierung ist die Art der geführten Debatte - in präzise formulierten, bis zum Funkeln geschliffenen Dialogen. Auch das Ensemble spielt ohne Fehl und Tadel.

20.02.2015
    Tom Stoppard ist ein philosophischer Dramatiker. Das war er schon am Beginn seiner Laufbahn, das blieb er auch bei seinem Meisterwerk "Arcadia" – "Arkadien" - wie bei seiner Trilogie "The Coast of Utopia" – "Utopias Küste" -, und das ist auch so bei seinem neuesten Stück "The Hard Problem" - "Das schwierige Problem". Gleich in der ersten Szene rückt er dieses "schwierige Problem" ins Zentrum des Dialogs:
    "Altruism is an outlier unless you're an ant or a bee. ... Above all, don't use the word good as though it meant something in evolutionary science."
    Stoppard wirft die Frage auf, ob es einen Beweis für die Verankerung von Altruismus im menschlichen Verhalten gibt. Spike, der im Stück die Materialisten repräsentiert, argumentiert streng darwinistisch. Er meint, Uneigennützigkeit sei bestenfalls eine geschickte Maskierung ungezügelter Selbstsucht. Er rät Hilary, seiner idealistischen Freundin, sie solle das Wort "gut" nicht benutzen, als komme ihm in der Evolutionstheorie irgendeine Bedeutung zu.
    Der Kampf ums Dasein als treibende Kraft allen Handelns
    Hilary ist die Heldin des Stücks, eine junge Psychologin. Mit ihrem Freund diskutiert sie immer wieder die Frage, ob es Gott gibt, oder etwas wie Nächsten- oder Mutterliebe. Spike, ihr Freund und Antagonist, führt das Verhalten aller Menschen, aller Lebewesen auf den Kampf ums Dasein zurück - alles andere sei Illusion. Nicht zuletzt deshalb würde Hilary gern den Beweis führen, dass der Mensch ursprünglich gut sei und sich nur wegen des gesellschaftlichen Drucks, der Erziehung zum egoistischen Ekel entwickele.
    Hilary bekommt eine Stelle in einem privaten Forschungsinstitut und ihrer Assistentin gelingt ein Versuch, in dem sie beweist, dass Schüler als Kinder gut, selbstlos seien. Je älter sie werden, desto stärker prägt sich ihr Egoismus aus. Hilary ist begeistert, veröffentlicht die Forschungsergebnisse - um dann herauszufinden, dass ihre Assistentin die Auswertung des Experiments manipuliert hat.
    Dennoch gibt es offenbar Altruismus - Tom Stoppard höchstselbst führt den Beweis, wenn schon nicht wissenschaftlich, so doch dramatisch. Hilary arbeitet nämlich an dem Institut von Jerry. Er hat sein Vermögen mit einem Hedge Fonds gemacht und ist Milliardär. Sein Institut fördert er nicht so uneigennützig, wie er vorgibt. Er sucht nach Methoden, möglichst ausgekochte Mitmenschen zu finden - sie sollen dann noch raffinierter als die Haifisch-Konkurrenz Geschäfte machen. Jerry stützt seine Profitmaximierung wissenschaftlich.
    Aber genau dieser Jerry hat offenbar eine weiche Stelle - denn er hat ein kleines Mädchen adoptiert. Es ist die leibliche Tochter Hilarys. Das finden Hilary und Jerry aber erst am Ende heraus - eine etwas aufdringliche Konstruktion. Für die Manipulation des Experiments übernimmt Hilary die Verantwortung, kündigt - und bricht auf zu neuen Ufern: Hilary will Philosophie studieren.
    Eine Stärke von "Hard Problem" ist, wie stets bei Stoppard, die Debatte: Thesen und Antithesen prallen aufeinander - in präzise formulierten, bis zum Funkeln geschliffenen Dialogen. Die Handlung spiegelt die Thesen im alltäglichen Leben, über die Protagonistin und ihre Antagonisten streiten.
    Die Figuren sind plastisch, lebendig und interessant, Futter für Bühnenlöwinnen und Theaterpanther. Das Ensemble spielt ohne Fehl und Tadel. Sir Tom gehört zu den profiliertesten britischen Dramatikern unserer Tage, nicht zuletzt deshalb hat ihn Königin Elisabeth zum Ritter geschlagen. Stoppard hat als jetzt alter Meister sein Stück stark konzentriert - was für den Regisseur ein Problem darstellt: wenn er alle Diskussionen ausbreiten will, wird die Aufführung zäh, das Philosophische überwiegt. Man könnte dann ebenso gut einen Aufsatz über das Problem lesen. Betont die Regie die dramatische, kurzweilige und humorvolle Seite, so eilt sie über Tiefen des Stücks hinweg. Die Alternative stellt ein "hartes Problem" dar.
    Nicholas Hytner, der Intendant des National Theatres, der sich mit dieser Inszenierung von seinem Amt verabschiedet, entschied sich für den Ritt über den Bodensee. Seine temporeiche Inszenierung ist geistreich und kurzweilig. Das ist toll - und schade, denn Tom Stoppards "Hard Problem" hat mehr Tiefe als dieser Galopp auf der Bühne.