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Theaterstück über die Bombardierung Serbiens durch die NATO im Jahr 1999

Die Balkankriege sind lange her und in Deutschland fast vergessen – doch nicht in den betroffenen Ländern. Eine Berliner Theatergruppe hat gemeinsam mit serbischen Schauspielern ein Stück über die Bombardierung Serbiens durch die NATO im Jahr 1999 herausgebracht. Es heißt "Frösche im heißen Wasser" und ist ab morgen in Berlin zu sehen.

Von Oliver Kranz | 19.10.2012
    "Ich glaube die politischen Zusammenhänge sind bekannt. Das kann man nachschauen. Es ging mir darum, Menschen einer bestimmten Generation, der heute Mitte-30- bis Anfang-40-Jährigen, die zu befragen: Was habt ihr gemacht vor 13 Jahren."

    Susanne Chrudina von der Berliner Theatergruppe Die Spreeagenten hat das Projekt initiiert. Sie will den NATO-Angriff, der im März 1999 begann, nicht bewerten, sondern lediglich dem offiziellen westlichen Geschichtsbild, in dem Serbien als Aggressor erscheint, eine neue Facette hinzufügen. Die Serben werden in dem Stück nicht als Opfer dargestellt. Trotzdem erzeugt die Schilderung der Bombenangriffe Mitgefühl.

    Anrufbeantworternachricht:
    "Es geht los. Sie fangen wirklich an! Warum erreiche ich dich nicht? Wo steckst du bloß? Ich will dich noch einmal sehen, bevor ... Melde dich!"

    Angst hatten die Menschen in Belgrad vor allem am Anfang der Angriffe. Als sich zeigte, dass Wohngebiete von den NATO-Bomben weitgehend verschont blieben, fingen viele an, den Krieg in ihren Alltag zu integrieren.

    "Es war total merkwürdig, weil ich arbeitete im 17. Stock und ich dachte, wozu soll ich jetzt in den Keller gehen. Das macht gar keinen Sinn. Als wir die erste Sirene gehört haben, sind wir nicht in Panik geraten so, sondern wir haben alle Fenster aufgemacht und gekuckt, was passiert jetzt."

    Branka Pavlovic, die 1999 in Belgrad lebte und heute zwischen der serbischen Hauptstadt und Berlin pendelt, hat den Spreeagenten bei der Recherche geholfen. Susanne Chrudina führte mehr als 30 Interviews, auf deren Basis der Stücktext erarbeitet wurde. Besonders überrascht war die deutsche Regisseurin, als sie erfuhr, dass Menschen während der Bombardierung Partys feierten. Pavlovic erläutert:

    "Vor allem die jungen Leute, die nichts zu tun hatten, weil es gab keine Schule, Uni oder so was, dann haben sie Party gemacht. Das war auch ein guter Ausweg aus dieser Realität"

    Das Stück erzählt von einer jungen Frau, die in ihrer Wohnung in Belgrad einen Klub aufmacht. Man lernt Menschen kennen, die dort verkehren - Menschen, mit sehr verschiedenen Lebenskonzepten. Verwirrend ist, dass es noch einen zweiten Handlungsstrang gibt, der in Berlin spielt. Susanne Chrudina vergleicht Deutschland und Serbien und stellt fest, dass junge Menschen in den beiden Ländern gar nicht so verschieden sind,

    "Also bestimmte Themen: Wie ist es, wenn einer da Geburtstag hat und einer dort Geburtstag hat? Was ist Liebe auf der einen Seite und auf der anderen Seite? Es gibt ganz viele Themen, die gleich sind."

    Was nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis ist. Spannender wäre es gewesen, zu untersuchen, wie Deutsche und Serben über den Krieg denken. Susanne Chrudina hat mit Schauspielern aus beiden Ländern gearbeitet. Da prallten unterschiedliche Haltungen direkt aufeinander:

    "Die kapitalsten Punkte sind, dass die Deutschen diese Leidenschaft nicht so verstanden haben, mit der immer noch über den Kosovo geredet wird und warum man den Kosovo nicht verlieren darf … und das tatsächlich junge Leute sagen: Das kommt von 1389."

    1389 war die Schlacht auf dem Amselfeld, in der die Serben den Türken unterlagen. Warum ein Ereignis, das mehr als 600 Jahre zurückliegt, bis heute die Gemüter erhitzt, ist eine spannende Frage. Doch die wird im Theaterstück nicht gestellt. Susanne Chrudina und ihre Spreeagenten berichten von rein menschlichen Problemen. Warum die Serben so ein starkes Nationalgefühl haben und wie dieses Nationalgefühl von Politikern während des Kriegs ausgebeutet, erfährt man nicht. Diese Debatte wird ja auch in Serbien selbst vermieden. Susanne Chrudina sagt:

    "Tatsächlich haben Ensemblemitglieder von serbischer Seite gesagt: Wir sind noch nicht so weit. Es ist zu früh. Und das hat sich dann noch einmal wiederholt beim Feedback der Zuschauer nach den Vorstellungen."

    Und gerade deshalb hätten die Theatermacher die Pflicht gehabt, die Debatte anzustoßen. Den Krieg darzustellen, ohne nach den Ursachen des Krieges zu fragen, ist gelinde gesagt oberflächlich.