Archiv


Theaterstücke heißen jetzt Projekte

"DeutschlandSaga ist der Titel eines Projekts an der Berliner Schaubühne. Begonnen hat das von der Kulturstiftung des Bundes finanzierte Großprojekt der Schaubühne "60 Jahre Deutschland. Annäherung an eine unbehagliche Identität" mit einem Gastspiel: Thomas Ostermeiers Münchener Inszenierung von "Die Ehe der Maria Braun" nach Rainer Werner Faßbinder.

Von Hartmut Krug |
    Begonnen hat das von der Kulturstiftung des Bundes finanzierte Großprojekt der Schaubühne "60 Jahre Deutschland. Annäherung an eine unbehagliche Identität" mit einem Gastspiel. Thomas Ostermeiers Münchener Inszenierung von "Die Ehe der Maria Braun" nach Rainer Werner Faßbinder wird aber auch das einzige theatrale Projekt bleiben, das mit einem Stück eines Autors aus den vergangenen sechzig Jahren Deutschlands arbeitet. Weil sich das bis zum April 2009 laufende Projekt der Schaubühne als eine Werkstatt versteht und Stückaufträge vergeben hat. Junge Autoren sollen von heute aus ihren Blick auf die Vergangenheit Deutschlands werfen. Dramaturgin Irina Szodruch:

    "Und zwar geht es uns bei dem Projekt nicht dadrum, eine vollständige historische Aufarbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte zu liefern, sondern es geht vielmehr um einzelne Geschichten, um Erinnerungen, um Erzählungen, die nicht unbedingt beglaubigt sein müssen. Es geht um einen sehr persönlichen, heutigen Blick auf das, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind."

    Drei Stufen umfasst das Projekt. Auf der ersten, der "Deutschlandsaga", steuern jeweils drei von insgesamt achtzehn jungen Autoren ein in einem bestimmten Jahrzehnt spielendes Kurzdrama bei. Länger als zwanzig Minuten dürfen die Texte nicht sein, die alle vom immer gleichen Team aus zwei Regieabsolventen der Berliner Ernst-Busch-Hochschule und insgesamt fünf Schauspielern in Szene gesetzt werden. Den Titel dieser ersten Projektstufe hat man von den Gebrüdern Grimm übernommen, die den Begriff "Deutschlandsaga" laut Chefdramaturg Jens Hillja so definiert haben:

    "Kunde von Ereignissen der Vergangenheit, welche einer historischen Beglaubigung entbehren."

    Inhaltliche Vorgaben gab es von Seiten des Theaters nicht. Und so eint die theatralen Skizzen der drei Autorinnen, mit deren Sicht auf die fünfziger Jahre das Projekt begann, inhaltlich wenig. Leider sind alle drei nicht mehr als recht oberflächliche Fingerübungen aus bundesrepublikanischer Vergangenheit. Ostdeutschland kam nicht, noch nicht (?) vor. Ulrike Syhas "Rialto" zeigt das Büro der gleichnamigen Filmproduktionsfirma, die den ersten Edgar-Wallace-Film "Der Frosch mit der Maske" produziert. Mit dem Blick von heute agieren und kommentieren die Schauspieler ihr eher flaues kabarettistisches Spiel, bei dem Heinz Drache anruft und der Praktikant Volker Schlöndorff schon das spätere "Oberhausener Manifest" verteilt. Rebekka Kricheldorf führt in "Backfischtod in Bad Nauheim" ein junges Mädchen vor, das aus der Familienenge in die Elvis-Begeisterung auszubrechen sucht, selber Elvis sein will, aber schwanger wird, vergeblich zur Engelmacherin geht und dann mit dem Staubsauger selbst eine blutige Abtreibung vornimmt. Den schwingenden Petticoat unterm gelben Kleid trug hier, welch Regieeinfall, ein Mann, der unentwegt Werbespots der Zeit verkündete. Das dritte Stück, Johanna Kapteins "Fräuleinwunder", zeigt eine alte Frau, gefangen in den nicht verarbeiteten Jugenderinnerungen zwischen Krieg und Neuaufbau. Das ehrgeizige Stück sucht deutsche Traumata und Verdrängungen zu thematisieren, wird aber von den noch ehrgeizigeren jungen Regisseuren Robert Borgmann und Jan Christoph Gockel bedeutungsschwanger überinszeniert. Da müssen die Kinder als lehmbeschmierte Lemuren herum hüpfen und ein Buchstabenspiel mit KZ-Namen spielen, die Mutter putzt unentwegt, gebiert aber einen Totenschädel, und der unbelehrte Kriegskrüppel tanzt mit ihr und seiner Beinprothese den Totentanz. Die dritte Inszenierung war ein wahrlich gruseliges szenisches Desaster eines insgesamt überhaupt nicht überzeugenden Auftaktes. Das überzeugendste war noch die Gestaltung der Studiobühne, mit einem alten Wohnwagen als Bar, an der es neben Getränken auch die damals obligatorischen Salzstangen gab. Das von Jens Hillje überzeugend erklärte Konzept macht trotz dieses misslungenen Auftaktes Hoffnung:

    "Das Projekt kann man auch definieren als ein Anti-Guido-Knopp-Projekt. Also es ist nicht ein Versuch, authentisch wiederzuspiegeln oder authentische Dokumente zu zeigen, sondern es reflektiert eben das, was unsere Identität ist, also das Historische daran. Was ist noch in uns selbst, in unseren Körpern, in unserem Denken, in unserer Sprache aufgehoben aus den letzten sechzig Jahren."

    Das gesamte Schaubühnenprojekt umfasst mit Filmen und Vorträgen, mit dem Komödienwettbewerb "Deutschlands missratene Kinder" auf der zweiten Stufe und mit weiteren fünf Stückaufträgen, u.a. an Falk Richter und Marius von Mayenburg, unter dem Titel "Zusammenbrechende Ideologien. Identitätsstiftung aus der Krise" auf der dritten Stufe noch viele Möglichkeiten, diesen Fehlstart schnell vergessen zu machen.