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Theatralische Sandkastenspiele

Der Patient Harald Schmidt liegt schon länger auf der Intensivstation. Seine tägliche Late-Night-Show ist auf gelegentliche Sendungen geschrumpft, und der einst subversive Narr ist längst Teil des Establishments, das seinerseits vor Narrheit kaum noch laufen kann – die Regulierung der Finanzmärkte etwa wird von der Politik als unerträgliche Zumutung zurückgewiesen.

Von Christian Gampert |
    Einerseits hat Harald Schmidt also gesiegt: der Schwachsinn ist als politische Methode in Mode. Andererseits möchte man Harald Schmidt nicht mehr so gern sehen: sein ständiges Grimassieren, sein maniriertes, pointenklauberisches Gefasel – alles Zeitschinderei, die uns selber die Lebenszeit raubt. Die Medienfigur Schmidt hat reagiert und Zuflucht beim Staatstheater gefunden, in Stuttgart, wo man den berühmten Mann gern als Eyecatcher benutzt, um eigentlich belanglose Inszenierungen aufzupolieren.

    In Stuttgart also thront Harald Schmidt auf einem luxuriösen Pflege-Stuhl wie der Hamm in Becketts "Endspiel" – und lässt sich von allerlei herbeigelaufenen Erbschleichern umgarnen, aufgespeedeten Commedia-Figuren mit eingebautem Turbolader, die niemanden interessieren. Hinter einem technoiden Kliniksaal, der mit seinen farbenfrohen Medizinalflaschen aussieht wie eine minimalistische Installation, rieselt leise der Schnee auf die Alpen – als könne man das Zauberberg-Feeling per Bühnenprospekt herstellen.
    Christian Tschirner, der letzte Überlebende des Soeren-Voima-Kollektivs, hat aus Ben Jonsons "Volpone"-Betrüger-Komödie eine aktuelle Version gebastelt, die, wenn man die Hälfte wieder streichen würde, die Religion des Geldes und das Zutode-Pflegen in Zeiten der Gesundheitsreform hübsch auf den Punkt bringt. Der geheilte Patient ist unrentabel, der moribunde Privatpatient eine Goldgrube. In Stuttgart wird nun der Volpone des Harald Schmidt, der seinen buntdummen Erbschleichern bei Erbschleichen zuschaut, selber hereingelegt: seine Leibärztin Dr.Fliegel, eine Reinkarnation von Dürrenmatts Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd aus den "Physikern", verkündet am Ende, sie sei im dritten Monat schwanger – vom Luxuspatienten Volpone, der daraufhin am Herzinfarkt verscheidet.
    Nun kann man das Stuttgarter Staatstheater als Amüsierbude abtun, die einem alternden Medienstar noch mal ein paar theatralische Sandkastenspiele ermöglicht. Mehr ist es nicht: der Auftritt des angeblich Großen ist, in Mimik und Sprechweise, nur eine Verlängerung der allfälligen Harald-Schmidt-Show, und wenn er versucht, tatsächlich zu schauspielern (und er versucht es selten), wird es peinlich. Die psychologischen Abgründe sind halt seine Sache nicht, und Volpone hätte solche durchaus zu bieten.

    Aber das verkrampfte Entertainment-Gehabe ist nur die halbe Wahrheit – Schmidt könnte auch "Peterchens Mondfahrt" spielen, die Leute würden kommen. Wahr ist nämlich auch, dass das Stuttgarter Staatstheater sich am Niedergang eines bedeutenden Kabarettisten gesundstößt. Die BILD-Zeitung schlich sich einst ins Sterbezimmer des früheren Nachrichten-Sprechers Karl-Heinz Köpcke, veröffentlichte Fotos des Moribunden und fragte scheinheilig: ist das unser Köpcke? Das Stuttgarter Staatstheater setzt Schmidt auf den Sterbethron und fragt scheinheilig: schaut, unser Schmidt – ist das nicht ein toller Schauspieler?

    Nein, er ist es nicht. Schmidts pseudokritisches Geschwätz ist nur das Hintergrundgeräusch zur Finanzkrise, so wie die live eingespielte "Money"-Version des Pink-Floyd-Hits nur der Soundtrack zu einer in Wahrheit empörenden Lage in den Pflegeheimen der Republik ist. Jemandem beim Sterben zuzusehen, das sei "ein Gefühl, als wenn man auf dem Sportplatz jemanden überrundet", sagt der "Volpone"-Autor Soeren Voima alias Christian Tschirner. Das ist die Schadenfreude der Überlebenden. Man sollte in Stuttgart das hysterische Gebrüll am Krankenbett nicht übertreiben; oder will man in Zukunft auch Oliver Pocher ans Staatstheater engagieren? Oder Waldi Hartmann? Lena Meyer-Landrut? Gott bewahre. Der Spaß am Zutodegepflegtwerden sei ihm vergangen", sagt Harald Schmidt im Stück. Er sollte sich an diese Erkenntnis halten.