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''Theatrum Mundi - Die Welt als Bühne''

Der Mann ist bewaffnet, er hält einen spitzen Pfeil in der Hand, und seine Botschaft ist kämpferisch: "Laßet uns ihn aus dem Land der Lebendigen vertilgen." Jeremia 2, Vers 19. Der Text liegt als Schriftrolle vor ihm. Der Soldat sieht aus wie ein Opernheld, und um eine Art Oper scheint es sich auch zu handeln, die Angelegenheit ist aber biblisch: Judas verrät Jesus. Auf dieses Un-Heilsgeschehen ist das ganze Theater bezogen. Ein "Theatrum sacrum", von dem sich nicht viele erhalten haben. Dieses, ein Prachtstück mit einem Proszenium von fünf mal sechs Metern und einer Tiefe von noch mal fünf Metern, stammt aus dem Kloster Neuzelle in der Lausitz, wo man noch Mitte des 18. Jahrhunderts auf die Wirkmittel des Theaters setzte, um den katholischen Glauben zu stärken. Das Leben ist Traum, die Welt eine Bühne, und wenn denn alles Irdische bloß Schein ist, dann wächst den Apparaten des Scheins, den Maschinen der Illusion nachgerade reale Überzeugungskraft zu. Man musste es nur glauben wollen. Das gilt dann aber für das heilige Theater wie für das politische: Ludwig XIV, sechzehnjährig, als Tänzer in der Oper, in sechs verschiedenen Kostümen, zuletzt prachtvoll martialisch als "Der Krieg". Und wieder war die Botschaft klar: es ging Frankreich gegen Spanien. Von den weitgespannten Wirk-Zielen des Theaters im 17. und 18. Jahrhundert handelt das alles aber nur am Rande. Die intelligent ausgesuchten und eher dezent sinnvoll als spektakulär präsentierten Fundstücke erzählen vor allem von dem Erfindungsreichtum des Ancien Regime, wenn es darum ging, sich immer neue Stimulantien auszudenken, um die Illusionierungsbereitschaft eines - womöglich gläubigen, immer aber: amüsierwilligen Publikums anzuregen. Dazu musste man eben Wind machen; auch dafür gab es Maschinen: Ulf Küster, der Kurator:

Ein Beitrag von Holger Noltze |
    Es war einfach unglaublich verschwenderisch und opulent, man lebte für diesen Augenblick. Es geht hier um ephemere Architektur. Die wieder verschwindet. Bühnenbilder sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Ein gewisses Problem auch, welche zu finden.

    Immerhin erstaunlich, was von der flüchtigen Kunst der Oper denn doch noch geblieben ist. Etwa der Schuh der legendären Tänzerin Barbara Campanina, "La Barberina" (sehr kleiner Fuß, der Friedrich dem Großen den Kopf verdreht haben soll). Die Sänfte der Prima Donna am Gothaer Hoftheater. Das kein bisschen abgerissene Flickenkostüm des famosen Harlekin Carlin Bertinazzi. Regen- und Donnermaschinen - Kuriosa, Erinnerungsstücke an eine untergegangene Welt. Denn wie das große Barockopernwelttheater tatsächlich funktioniert und gewirkt hat, ist heute nur noch zu ahnen.

    Fünf Akte mit zweiundzwanzig kompletten Bildwechseln erlebte das Wiener Publikum der Huldigungsoper Il Pomo d'oro zu Ehren der Braut Kaiser Leopolds, 1668: Himmel, Hölle, Haine. Lustgärten. Meeresstürme. Die akribisch ausgeführten Szenenentwürfe sind erhalten, man kann sich hineinträumen. Seltener die Blicke in den Zuschauerraum. Der piemontesische Maler Pietro Domenico Olivero zeigt, wie es wohl war: Auf der Bühne wird gesungen, im Parkett geschwatzt. Bewaffnete Wachmänner zwischen den Reihen, es werden Orangen und Getränke verkauft. Einer liest ein Buch, nur vielleicht das Libretto.

    "Theatrum Mundi" ist keine Thesenausstellung. In Facetten fächert die Münchener Schau ihr wunderbar unzeitgemäßes Thema auf: Architektur. Publikum. Bühnenbild. Feste. Kostüme. Stars. Commedia dell'Arte (und sei es, um ein paar schöne Watteaus und Tiepolos zu zeigen). "Kunst und Bühne" und wie sich die Historienmalerei nicht nur die heroischen Gesten der Sänger abguckte, sondern ihre historischen (oder mythologischen) Stoffe gleich in imaginäre Theaterräume projizierte.

    Vom "Theatrum Sacrum" im Zentrum führt ein geheimer Faden zu den zwei großen Portraits, die Mario Ricci von dem unerreichten Superstar des 18. Jahrhunderts angefertigt hat: Carlo Broschi, genannt Farinelli, der Soprankastrat, der selbst den Bourbonen die Schwermut vertrieb und es zum Minister brachte. Als Minister, als mächtigen Irdischen zeigt ihn auch Ricci. Mehr hätte die Konvention wohl nicht erlaubt. Seine Quasi-Göttlichkeit hatte Farinelli im Theater offenbart, und das, wenn die Zeugen recht haben, noch überzeugender als der Leinwand-Jesus in den heiligen Kulissen.

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