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Theologe Rudolf Otto
Das heilige Geheimnis

Vor 150 Jahren, am 25. September 1869, wurde Rudolf Otto geboren. Der evangelische Theologe prägt – und spaltet – bis heute die Religionsforschung, vor allem durch sein Hauptwerk "Das Heilige". Darin ist Otto einem schrecklich-schönen Geheimnis auf der Spur.

Von Christian Röther | 25.09.2019
Das Mosaik im Kloster Kykkos auf Zypern zeigt Jesus als "guten Hirten" mit einem Lamm auf den Schultern
Das Heilige nimmt in Rudolf Ottos Werk einen besonderen Platz ein (imago/Werner Otto)
Marokko, Mai 1911.
"Durch labyrinthische Gänge des Ghettos, über zwei enge finstere Treppen hat Chajjim el Malek mich hierher geführt. Eine Synagoge nach der alten Art, vom Westen noch unberührt."
Im jüdischen Viertel von Essaouira, einer marokkanischen Küstenstadt, ist der deutsche Theologe Rudolf Otto einem Geheimnis auf der Spur.
"Es ist Sabbat und schon im dunklen, unbegreiflich schmutzigen Hausflur hören wir das ‚Bemschen‘ der Gebete und Schriftverlesungen. Plötzlich löst sich die Stimmenverwirrung und – ein feierlicher Schreck fährt durch die Glieder. Einheitlich, klar und unmissverständlich hebt es an: Kadosch, Kadosch, Kadosch." Heilig, heilig, heilig.

"Die interessanteste Religionsdeutung überhaupt"
Rudolf Otto kommt am 25. September 1869 zur Welt, in Peine bei Hannover. Er studiert evangelische Theologie, erst an einer konservativen Fakultät in Erlangen, dann im liberalen Göttingen. Dort steigt Otto auf zum Professor für Systematische Theologie. Er wird nach Breslau berufen und dann 1917 nach Marburg.
Im selben Jahr - 1917 - erscheint auch Ottos Hauptwerk: "Das Heilige". Es wird bis heute diskutiert, kritisiert und bewundert – in Theologie, Religionswissenschaft, Religionspsychologie, Religionsphilosophie.
"Man sollte über Rudolf Otto wissen, dass er die interessanteste Religionsdeutung überhaupt vorgelegt hat."
Johann Hinrich Claussen ist wie Rudolf Otto Systematischer Theologe und außerdem Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD - Berlin Februar 2016 
Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD (Deutschlandfunk/ Andreas Schoelzel)
"Sein kleines, kurzes, präzises Buch "Das Heilige" ist ein großartiger theologischer Bestseller. Ich glaube, es ist das bestverkaufte theologische Buch des 20. Jahrhunderts."
"Ein Buch, das den Zeitgeist prägt"
Ein Bestseller, den nicht nur die Theologie für sich beansprucht. Rudolf Otto gilt auch als ein Gründervater der deutschen Religionswissenschaft.
"Also 'Das Heilige' von Rudolf Otto ist eigentlich der einzige Bestseller, den die Religionswissenschaft je hervorgebracht hat und steht am Anfang des 20. Jahrhunderts als ein Buch, das den Zeitgeist aufgreift und in der Folge dann den Zeitgeist prägt – und zwar eigentlich bis in unsere Zeit hinein."
Fritz Heinrich, Religionswissenschaftler an der Universität Göttingen.
Was also steht drin in diesem wegweisenden Bestseller? Der vollständige Titel lautet:
"Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen"
"Dieses Buch drückt ganz wunderbar die Spannung aus, in der jedes authentische religiöse Erleben besteht."
Sagt Johann Hinrich Claussen, der evangelische Theologe.
"Die Spannung zwischen etwas Abgründigem und etwas Faszinierendem. Etwas, was einen erschüttert und was einen beglückt. Was einen beseligt und was einen verstört. Also der Glaube ist jetzt nicht nur einfach etwas, was die Menschen in Abhängigkeit führt von einem Herrengott und einem zornigen Gott. Aber es ist auch nicht etwas, was nur mit einem lieben Gott zu tun hat, sondern ein authentischer, lebendiger Glaube lebt aus dieser Spannung zwischen dem faszinierenden und dem erschütternden Erlebnis des Heiligen."
Erschreckend und verzückend
Faszinierend und erschütternd zugleich – Rudolf Otto prägt dafür zwei lateinische Begriffe, die in der Religionsforschung bis heute verwendet werden:
"Mysterium tremendum"
Das göttliche Geheimnis, das den Menschen ehrfürchtig erschauern lässt. Und:
"Mysterium fascinosum"
Das göttliche Geheimnis, das Entzücken hervorruft. Das Heilige ist für Rudolf Otto also immer beides zugleich: erschreckend und verzückend. Otto erfindet für dieses Heilige auch einen neuen Begriff, den nicht nur die Wissenschaft bis heute nutzt: das Numinose. Das Numinose definiert das Göttliche als unbegreifliches schauriges Geheimnis: als eine Vertrautheit, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft.
Rudolf Otto versucht, dieses heilige Geheimnis zu beschreiben, es sprachlich irgendwie zu fassen zu bekommen. Er nutzt dafür Beispiele aus verschiedenen Religionen. Angemessene Worte dafür zu finden, das ist Ottos Ansicht nach jedoch gar nicht möglich:
"Unbegreifbar ist der wirklich ‚mysteriöse‘ Gegenstand nicht nur deswegen, weil mein Erkennen in Bezug auf ihn gewisse unaufhebbare Schranken hat, sondern weil ich hier auf ein überhaupt ‚Ganz Anderes‘ stoße, das durch Art und Wesen meinem Wesen inkommensurabel ist und vor dem ich deshalb in erstarrendem Staunen zurückpralle."
"Rudolf Otto hat einen Nerv getroffen"
Ottos Versuch, das Heilige in Worte zu fassen, ist in über 20 Sprachen übersetzt worden: Le Sacré. Lo Santo. Il Sacro. Świętość. Het Heilige. The Idea of the Holy.
"Rudolf Otto, wo er übersetzt wurde, hat dann offensichtlich auch einen Nerv oder einen Ton getroffen, der viele angesprochen hat. Und wo viele gesagt haben: 'Das ist genau das, was ich auch empfinde.'"
Der Religionswissenschaftler Fritz Heinrich. "Das Heilige" erscheint mitten im Ersten Weltkrieg und richtet sich nicht nur an ein wissenschaftliches Publikum: Soldaten sollen es sogar im Schützengraben gelesen haben.
"Ich wollte kein 'Kriegsbuch' schreiben. Aber die Gedanken meiner Schrift sind das Einzige, was mir die furchtbare Qual der Gegenwart erträglich macht."
Offenbar findet nicht nur Rudolf Otto Trost in seiner Idee des Heiligen. Die Kirchen sind in den Krieg verstrickt. Die Ethik versagt. Doch die Religion muss deswegen nicht komplett verworfen werden, so Ottos Botschaft. Er will das Heilige retten: als Geheimnis, das man nicht erklären kann, sondern fühlen muss.
"Da kommt einer daher und erzählt: 'Das Heilige ist das religiöse Gefühl minus des Ethischen und des Sittlichen.' Man kann die Ethik sowieso nicht mehr formulieren angesichts der Gräueltaten des Ersten Weltkriegs. Da kann man mit diesem Gefühl etwas anfangen."
Zwei Soldaten im Schützengraben
Auch inmitten der Grausamkeit des Ersten Weltkriegs findet "Das Heilige" seine Leser (imago / imagebroker)
Und nicht nur im und nach dem Ersten Weltkrieg trifft "Das Heilige" einen Nerv der Zeit. Als würde hier einer einen Text vorlegen, der das ganze blutige und oft irrationale Jahrhundert vorausahnt, sagt Fritz Heinrich:
"Rudolf Otto mit dem 'Heiligen' ist ein Prophet des 20. Jahrhunderts, könnte man sagen."
Rudolf Otto als Erneuerer des Protestantismus
Dass Rudolf Otto, der evangelische Theologe, "Das Heilige" 1917 veröffentlicht, zum 400. Jubiläum des Lutherschen Thesenanschlags – für den Religionswissenschaftler Fritz Heinrich ist dieser Zeitpunkt kein Zufall.
Rudolf Otto hatte zuvor über den Heiligen Geist bei Martin Luther promoviert.
"Rudolf Otto präsentiert sich da schon – nicht als Martin Luther, das wäre vielleicht zu hoch gegriffen, des 20. Jahrhunderts – aber als einer, der den protestantischen Glauben neu formuliert. Und zwar in einer zeitgemäßen Weise, die dann tatsächlich über das Jahr 1917 ihre Folgewirkungen gezeitigt hat."
Denn Ottos Ambitionen und sein Wirken, sie lassen sich nicht auf "Das Heilige" reduzieren. Nach dem Weltkrieg versucht sich Rudolf Otto auch als Erneuerer des evangelischen Gottesdienstes. Er will ihn nach seinen theologischen Ideen reformieren. Der Gottesdienst soll stärker auf das religiöse Erleben setzen, auf Ehrfurcht: Das heilige Geheimnis kann man nicht predigen – also soll es spürbar werden.
"Das Kirchenjahr muss nachlebbar sein, damit es durch seinen Ablauf die Heilstatsache des christlichen Glaubens darstellt und als Heilbesitz vermittelt."
Ein Theologe zwischen den Fronten
Rudolf Otto wird damals wie heute der Liberalen Theologie zugerechnet. Doch nicht zuletzt durch seine Ideen zum Gottesdienst ist er auch für andere theologische Strömungen interessant.
"In ihm sind auch so konservative Elemente wichtig. Also eben diese Ernsthaftigkeit, mit der er den Glauben behandelt hat. Seine Wertschätzung von Gottesdienst und Liturgie, von Anbetung und Ehrfurcht. Das sind ja Dinge, die man erst mal eher mit einer konservativen Linie verbindet. Aber da zeigt er eben als Liberaler, wie wichtig das auch für ihn war."
Für den evangelischen Theologen Johann Hinrich Claussen ist Rudolf Otto auch deshalb bis heute so bedeutend, weil er Gegensätze überwinde:
"Den Gegensatz zwischen aufgeklärt und konservativ, zwischen der Verkündigung eines lieben Gottes oder eines zornigen Gottes. Da ist er eben ein paradoxer Denker, der Gegensätze zusammendenken kann, ohne sie einfach platt nach der linken oder nach der rechten Seite hin aufzulösen."
Rudolf Otto versucht sich nicht nur als Kirchenreformer, sondern auch als Politiker. Und das schon im deutschen Kaiserreich: Dort engagiert er sich in der Nationalliberalen Partei, wird ins Preußische Abgeordnetenhaus gewählt.
Nach dem Ende von Weltkrieg und Kaiserreich schließt sich Rudolf Otto der linksliberalen 'Deutschen Demokratischen Partei' an und vertritt sie in der Preußischen Landesversammlung.
Rudolf Otto
Rudolf Otto (Universität Marburg)
Danach sucht er neue, eigene politische Wege. Er gründet und leitet den "Religiösen Menschheitsbund". Der soll zu mehr Völkerverständigung beitragen – ein Vorreiter interreligiöser Begegnung. Der "Menschheitsbund" wird später durch die Nationalsozialisten verboten. Als Politiker ist Rudolf Otto nicht sonderlich einflussreich. Aber als Theologe und religiöser Ideengeber wird er bis heute gelesen und neu aufgelegt.
Rudolf Otto polarisiert
Und doch: In der Religionswissenschaft scheiden sich an Rudolf Otto die Geister – auch wegen einer Aussage aus seinem Hauptwerk "Das Heilige". Dort verlangt Otto, dass nur über Religion forschen soll, wer selbst religiös ist:
"Wir fordern auf, sich auf einen Moment starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit zu besinnen. Wer das nicht kann oder wer solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten, nicht weiter zu lesen. Denn wer sich zwar auf seine Pubertätsgefühle, Verdauungsstockungen oder auch Sozialgefühle besinnen kann, auf eigentümlich religiöse Gefühle aber nicht, mit dem ist schwierig, Religionskunde zu treiben."
"Damit macht er Religiös-Sein selbst – selbst religiös sein – zur Voraussetzung für Religionsforschung. Weil er sagt: Sonst kann man Religion nicht verstehen."
Die Religionswissenschaftlerin Edith Franke.
"Das ist auch nicht unverbreitet, nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen, dass man sagt: Religion lässt sich ja nicht fassen. Die muss – da ist mehr drin als das, was Wissenschaft kann. Das, würde ich sagen, ist auch aus Sicht der religiösen Menschen eine berechtigte Perspektive. Nur da hat Wissenschaft ihre Grenzen und übt sich in Bescheidenheit – oder vielleicht auch in Redlichkeit, indem sie sagt: Wir erforschen nur die Ausdrucksformen des Religiösen, die uns empirisch zugänglich sind. Also was Menschen mit Religion machen, wie sie über Religion sprechen, wie sie sich religiös verhalten. Und dazu brauche ich nicht selbst religiös-musikalisch zu sein."
Der Schweizer Theologe Karl Barth
Der Schweizer Theologe Karl Barth sah die Idee des Numinosen kritisch (dpa picture alliance/ Karl Schnoerrer)
Kritisiert wurde Rudolf Otto auch schon zu Lebzeiten, denn bedeutende theologische Zeitgenossen konnten mit Ottos Idee des Heiligen nicht viel anfangen, wie Rudolf Bultmann oder Karl Barth. Ottos neu ersonnene Kategorie des Numinosen, dieses schrecklich-schöne göttliche Geheimnis – so manchem christlichen Denker ist es allzu weit entfernt von der christlichen Vorstellung eines göttlichen Vaters.
Heute sei Rudolf Otto theologisch weniger umstritten als vor 100 Jahren, beobachtet der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen:
"Ich kenne Kollegen, die eher konservativ theologisch orientiert sind, die sich an Schleiermacher, Harnack und Troeltsch rumärgern. Aber über Otto habe ich noch keinen ein schlechtes Wort verlieren gehört. Nee, kann ich mich nicht entsinnen."
Rudolf Otto als Reisender
Rudolf Otto spürt dem heiligen Geheimnis auch als Reisender nach. Über Nordafrika und den Nahen Osten zieht es ihn bis nach China, Sibirien, Japan.
Vor allem Indien hat es dem deutschen Theologen angetan. Und an vielen Orten hört er Menschen rezitieren, singen und beten: heilig, heilig, heilig.
"Ich habe das Sanctus, Sanctus, Sanctus von den Kardinälen in Sankt Peter, und das Swiat, Swiat, Swiat in der Kathedrale des Kreml, das Hagios, Hagios, Hagios vom Patriarchen in Jerusalem gehört. In welcher Sprache sie immer erklingen, diese erhabensten Worte, die von Menschenlippen gekommen sind, immer greifen sie in die tiefsten Gründe der Seele, aufregend und rührend mit mächtigem Schauer das Geheimnis des Überweltlichen, das dort unten schläft."
Von seinen Weltreisen bringt Rudolf Otto nicht nur seine Idee des Heiligen mit, sondern auch heilige Dinge, hunderte. Etwa Darstellungen von Göttinnen und Göttern – entstanden von Ägypten bis Sri Lanka.
"Otto hatte aufgrund seiner Reisen in verschiedene Länder und vor allem auch nach Asien und den Nahen, Mittleren Osten die Idee, dass man die Vielfalt der Religionen gerade anhand ihrer materiellen Zeugnisse verstehen kann und auch erfahren kann."
Die Objekte der Sammlung sollten wirken können
Edith Franke leitet an der Universität Marburg die Religionskundliche Sammlung. Rudolf Otto gründete diese Sammlung 1927. Zur Eröffnung schrieb er:
"Diese Sammlung soll dem Studium der Religion in ihren mannigfaltigen geschichtlichen Erscheinungen dienen. Was sich vom Leben der Religion sichtbar oder hörbar darstellt, soll den Inhalt der Sammlung bilden."
"Otto hatte damals die Idee, dass Besucher und Besucherinnen – ob das jetzt Händler waren oder seiner Idee nach auch Missionare oder auch Studierende oder Gelehrte – die dann hier an einem Ort verschiedene Religionen nebeneinander sehen können. Und das ist etwas Besonderes. Das gibt es kaum in irgendwelchen Museen, dass man jetzt nicht eine Religion zum Thema macht, sondern dass man von einem Raum in den anderen vom Hinduismus zum Buddhismus, zum Islam, Christentum, Judentum und so weiter wechseln kann."
Derwisch-Puppen tanzen durch die Marburger Sammlung
In der Marburger Sammlung können die Besucher von Raum zu Raum in verschiedene religiöse Sphären eintauchen (Deutschlandradio/ Christian Röther)
Otto will die religiösen Objekte so präsentieren, dass sie auf die Besucher wirken können. Er glaubt, dass sie ihr heiliges Geheimnis so wie von selbst offenbaren werden. Ein Ansatz, den Edith Franke und ihr Museumsteam heute nicht mehr verfolgen. Otto stand für eine "religiöse Religionswissenschaft" - und die hat in Deutschland inzwischen weitgehend ausgedient. Wie viel Rudolf Otto steckt dann heute noch in der Religionskundlichen Sammlung in Marburg?
"Sehr viel. Also es gibt eine ganz große Anzahl von Gegenständen, die wirklich in den frühen Jahren der Gründung angeschafft worden sind. Und was Sie immer noch sicherlich im Ottoschen Sinne auch sehen, dass Gegenstände zum Teil auch so aufgestellt sind, dass sie Wirkung entfalten können. Manchmal lesen wir es in unserem Gästebuch nach, dass Menschen sagen: 'Oh, das ist ein spiritueller Ort hier. Hier spüre ich etwas.' Das ist aber eine sehr individuelle Sache."
Das Christentum als "elaborierteste Manifestation des Heiligen"
Das Heilige spürbar machen – das ist eines der Motive, warum Rudolf Otto die Religionskundliche Sammlung gegründet hat, vor fast 100 Jahren. In einer Zeit, in der er die Religionen und das Religiöse zunehmend bedroht sieht durch die fortschreitende Säkularisierung. Otto erklärt sich zu einem Verteidiger des Religiösen gegen Materialismus, Naturalismus und Sozialdemokratie. Otto wollte, sagt Edith Franke mit Blick auf die Religionskundliche Sammlung, ...
"…. mit diesem Religionsvergleich auch die Bedeutung von Religion nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft nach vorne stellen. Er war davon überzeugt, dass Religiös-Sein zum Menschsein dazugehört. Und wahrscheinlich auch mit der Idee, dass das ein besseres Mensch-Sein ist, wenn Menschen religiös sind und sich dem ernsthaft widmen."
Edith Franke
Edith Franke leitet die Religionskundliche Sammlung der Universität Marburg (Universität Marburg)
Einige Marburger Theologie-Studenten sollen Ottos Religionskundliche Sammlung anfangs als "Götzentempel" verspottet haben – wegen der vielen Religionen, die dort scheinbar gleichberechtigt präsentiert werden. Dabei blieb für Rudolf Otto – den liberalen Protestanten, den Sucher, Finder und Offenbarer heiliger Geheimnisse – für ihn blieb das Christentum stets die wichtigste Religion.
"Er hat mit diesem Religionsvergleich, also mit diesem Blick auf verschiedene Religionen, sicherlich auch im Sinn gehabt – das wird in seinen Schriften auch deutlich – dass das Christentum seiner Ansicht nach dann doch vielleicht die beste oder elaborierteste Manifestation des Heiligen ist."
Rudolf Ottos letztes Geheimnis
Rudolf Otto hatte jahrelang mit Krankheiten zu kämpfen. Er stirbt 1937, nachdem er bei Marburg von einem Turm gefallen war. Oder gesprungen, das bleibt sein Geheimnis.
"Da wollen wir zum Abschied nichts anderes tun als hinhören auf den einen, alles beherrschenden Klang."
Heinrich Frick, ein Schüler Rudolf Ottos, bei dessen Beerdigung.
"Ein Klang, der gewaltig nachhallt aus diesem Leben, und der mit wachsender Entfernung nur immer eindeutiger als der Grundton das Erinnerungsbild dieser einmaligen Erscheinung prägen wird: die Kunde vom Geheimnis des Heiligen."