Während Barack Obama jüngst in Berlin den Hauch eines neuen Fortschrittsoptimismus verbreitete, bewegt sich die hiesige Sozialdemokratie im tiefen Jammertal. Wo der US-Kandidat sein trotziges "Yes, we can" herausschleudert, hallt es aus dem SPD-Milieu apokalyptische Umfragen zurück, die von expandierenden Ängsten vor dem drohenden Prekariat und von arbeitslosen Ossies künden, die leichtfertig die Demokratie verwünschen.
Lesbar genervt ist Tobias Dürr von solch sinistren Befunden. In der Berliner Republik hält er dagegen:
"Wer ewig bloß nachweist, wie sehr sich die Verhältnisse im Land verschlimmern, der tut noch nicht viel dafür, dass irgendetwas wieder besser wird. Und womöglich gilt sogar das genaue Gegenteil: Die Gefahr ist beträchtlich, dass der gängige Krisen- und Untergangsdiskurs, sofern ihn noch irgendwer wahrnimmt, im Sinne einer klassischen self-fulfilling prophecy erst recht dazu beiträgt, dass alles genau so kommt, wie vorausgesagt."
Dabei scheinen solche sozialwissenschaftlich unterfütterten Untergangsszenarien politstrategisch höchst willkommen zu sein. Lässt sich doch damit handfest Front machen gegen den Kurs einer "neuen Mitte", den bislang noch alle SPD-Kanzler ihrer Partei aufs Panier geschrieben haben. So analysiert Oliver Nachtwey in den Blättern für deutsche und internationale Politik, wie aus Willys Brandts "Öffnung zur Mitte" unter Schröder eine "Orientierung auf die Mitte" geworden sei:
"Das Bündnis von Mitte und Unten, das Willy Brandt vor Augen hatte, ist vorerst vorbei. Programmatisch und personell ist die gegenwärtige SPD tatsächlich die Neue Mitte - aber in der Vorstellung von Schröder, nicht von Brandt. Die SPD ist tatsächlich sosehr die Partei der Mitte, wie es keine andere ist. Kurz: Sie ist eine Volkspartei in Idealform, weil sie von fast allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Zurückhaltung gewählt wird."
Doch alle entgegen gesetzten Versuche, auf die politisierte Demoskopie zu setzen und in Konkurrenz zum sozialpolitischen Populismus der Linken zu treten, haben sich bislang nicht ausgezahlt. Thomas E. Schmidt beschrieb unlängst im Merkur, wie mit Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn, einer längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder nach einer Bahn im Staatsbesitz…
" … die alte politische Ethik der Sozialdemokratie eine breite, aber zerstobene Identifikationsgemeinschaft wiederherstellen soll, mit entsprechenden Anspielungen auf die Parteigeschichte und auf die Mythologien des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit."
Dass damit mehr Verwirrung gestiftet als alte Identität wiederhergestellt wird, steht für den zitierten Autor außer Zweifel:
"Regierungspartei zu sein und gleichzeitig die Anwältin eines latenten Plebiszits - z.B. für den Mindestlohn – das ist ein weiter Spagat und strapaziert künftige Wähler mit einem widersprüchlichen Selbstbild."
Einst hießen die Grundwerte der deutschen Sozialdemokratie "Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität". Es scheint, als hießen sie heute nur noch "Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit". Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Kersting fordert in einem ketzerischen Essay in der Zeitschrift Vorgänge, dass die Gerechtigkeitspolitik des Sozialstaats sich künftig mehr am Prinzip einer schwachen als an einer starken "Chancengerechtigkeit" zu orientieren habe. Sieht er doch mit der Biopolitik totalitäre Gefahren heraufziehen:
"Denn in dem Maße, in dem unsere Gene unter die Kontrolle einer manipulativen Technik geraten, in dem Maße mehren sich die Aussichten, die Herrschaft des genetischen Zufalls zu beenden, um den gerechtigkeitsprekären Unterschied zwischen den genetisch Vermögenden und den genetischen Habenichtsen auszugleichen. Es ist ersichtlich, dass durch die Ausdehnung des Prinzips der Chancengleichheit und -gerechtigkeit auf den Bereich der natürlichen und sozialen Prägung der Sozialstaat sich in eine totalitäre Diktatur verwandeln muss."
Doch soweit sind wir noch nicht. Der vom Ausschluss bedrohte Reformer Wolfgang Clement mag sich derweil mit einem originellen Essay von Ralph Bollmann aus dem aktuellen Merkur trösten. Darin wird ein kühner historischer Vergleich zwischen dem Habsburger Reformprogramm des aufgeklärt absolutistischen Kaisers Joseph II. von 1780 und der Agenda 2010 von Kanzler Schröder gezogen: Hier wie dort sei der Reformeifer einem Gefühl der Verspätung entsprungen. Wobei Alt-Kanzler Kohl die späte Ehre zuteil wird, mit der beharrenden Kaiserin Maria Theresia gleichgesetzt zu werden.
"Doch je höher Joseph II. am Anfang von den Publizisten gelobt wurde, desto mehr hatte er in der Krise seiner Reformpolitik am Liebesentzug der Journale und Flugschriften zu leiden. Auch darin ähnelte der Reformkaiser dem Reformkanzler und dessen Verhältnis zu Bild, BamS und Glotze."
Blick in die Politischen Zeitschriften:
Berliner Republik 3/08,
Blätter für deutsche und internationale Politik 8/08
Merkur, Nr. 709, Juni 2008
Vorgänge Nr. 182, Heft 2/2008
Merkur, Nr. 711, August 2008
Lesbar genervt ist Tobias Dürr von solch sinistren Befunden. In der Berliner Republik hält er dagegen:
"Wer ewig bloß nachweist, wie sehr sich die Verhältnisse im Land verschlimmern, der tut noch nicht viel dafür, dass irgendetwas wieder besser wird. Und womöglich gilt sogar das genaue Gegenteil: Die Gefahr ist beträchtlich, dass der gängige Krisen- und Untergangsdiskurs, sofern ihn noch irgendwer wahrnimmt, im Sinne einer klassischen self-fulfilling prophecy erst recht dazu beiträgt, dass alles genau so kommt, wie vorausgesagt."
Dabei scheinen solche sozialwissenschaftlich unterfütterten Untergangsszenarien politstrategisch höchst willkommen zu sein. Lässt sich doch damit handfest Front machen gegen den Kurs einer "neuen Mitte", den bislang noch alle SPD-Kanzler ihrer Partei aufs Panier geschrieben haben. So analysiert Oliver Nachtwey in den Blättern für deutsche und internationale Politik, wie aus Willys Brandts "Öffnung zur Mitte" unter Schröder eine "Orientierung auf die Mitte" geworden sei:
"Das Bündnis von Mitte und Unten, das Willy Brandt vor Augen hatte, ist vorerst vorbei. Programmatisch und personell ist die gegenwärtige SPD tatsächlich die Neue Mitte - aber in der Vorstellung von Schröder, nicht von Brandt. Die SPD ist tatsächlich sosehr die Partei der Mitte, wie es keine andere ist. Kurz: Sie ist eine Volkspartei in Idealform, weil sie von fast allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Zurückhaltung gewählt wird."
Doch alle entgegen gesetzten Versuche, auf die politisierte Demoskopie zu setzen und in Konkurrenz zum sozialpolitischen Populismus der Linken zu treten, haben sich bislang nicht ausgezahlt. Thomas E. Schmidt beschrieb unlängst im Merkur, wie mit Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn, einer längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder nach einer Bahn im Staatsbesitz…
" … die alte politische Ethik der Sozialdemokratie eine breite, aber zerstobene Identifikationsgemeinschaft wiederherstellen soll, mit entsprechenden Anspielungen auf die Parteigeschichte und auf die Mythologien des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit."
Dass damit mehr Verwirrung gestiftet als alte Identität wiederhergestellt wird, steht für den zitierten Autor außer Zweifel:
"Regierungspartei zu sein und gleichzeitig die Anwältin eines latenten Plebiszits - z.B. für den Mindestlohn – das ist ein weiter Spagat und strapaziert künftige Wähler mit einem widersprüchlichen Selbstbild."
Einst hießen die Grundwerte der deutschen Sozialdemokratie "Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität". Es scheint, als hießen sie heute nur noch "Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit". Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Kersting fordert in einem ketzerischen Essay in der Zeitschrift Vorgänge, dass die Gerechtigkeitspolitik des Sozialstaats sich künftig mehr am Prinzip einer schwachen als an einer starken "Chancengerechtigkeit" zu orientieren habe. Sieht er doch mit der Biopolitik totalitäre Gefahren heraufziehen:
"Denn in dem Maße, in dem unsere Gene unter die Kontrolle einer manipulativen Technik geraten, in dem Maße mehren sich die Aussichten, die Herrschaft des genetischen Zufalls zu beenden, um den gerechtigkeitsprekären Unterschied zwischen den genetisch Vermögenden und den genetischen Habenichtsen auszugleichen. Es ist ersichtlich, dass durch die Ausdehnung des Prinzips der Chancengleichheit und -gerechtigkeit auf den Bereich der natürlichen und sozialen Prägung der Sozialstaat sich in eine totalitäre Diktatur verwandeln muss."
Doch soweit sind wir noch nicht. Der vom Ausschluss bedrohte Reformer Wolfgang Clement mag sich derweil mit einem originellen Essay von Ralph Bollmann aus dem aktuellen Merkur trösten. Darin wird ein kühner historischer Vergleich zwischen dem Habsburger Reformprogramm des aufgeklärt absolutistischen Kaisers Joseph II. von 1780 und der Agenda 2010 von Kanzler Schröder gezogen: Hier wie dort sei der Reformeifer einem Gefühl der Verspätung entsprungen. Wobei Alt-Kanzler Kohl die späte Ehre zuteil wird, mit der beharrenden Kaiserin Maria Theresia gleichgesetzt zu werden.
"Doch je höher Joseph II. am Anfang von den Publizisten gelobt wurde, desto mehr hatte er in der Krise seiner Reformpolitik am Liebesentzug der Journale und Flugschriften zu leiden. Auch darin ähnelte der Reformkaiser dem Reformkanzler und dessen Verhältnis zu Bild, BamS und Glotze."
Blick in die Politischen Zeitschriften:
Berliner Republik 3/08,
Blätter für deutsche und internationale Politik 8/08
Merkur, Nr. 709, Juni 2008
Vorgänge Nr. 182, Heft 2/2008
Merkur, Nr. 711, August 2008