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Thierse: Clement spricht für RWE

Bundestagsvizepräsident Wolfgang (SPD) hat die Äußerungen Wolfgang Clements als vergangenheitsorientiert bezeichnet. Der ehemalige Wirtschaftsminister habe keine Funktion mehr in der SPD, sondern spreche als Interessenvertreter des Energieunternehmens RWE. Die Forderung nach einem Parteiausschluss, wie sie Fraktionschef Peter Struck formuliert hatte, machte Thierse sich nicht zu eigen.

Moderation: Oliver Heckmann |
    Heckmann: So etwas nennt man wohl einen Schuss ins Kontor, während sich in Hessen Roland Koch und Andrea Ypsilanti, die Spitzenkandidaten von CDU und SPD, ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Eine Woche vor den Landtagswahlen schaltet sich ein ehemaliger Spitzenpolitiker in die Debatte ein: Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Er schrieb in einem Beitrag für die "Welt am Sonntag", "wer wie Ypsilanti auf Atomkraft und den Bau großer Kohlekraftwerke verzichten wolle, der müsse sich klar sein: das gehe nur um den Preis der industriellen Substanz". Und weiter, wörtliches Zitat: "Deshalb wäge und wähle genau, wer Verantwortung zu vergeben hat, wem er sie anvertraut und wem nicht". So Wolfgang Clement, der nicht etwa der Konkurrenz angehört, sondern der SPD. Noch muss man wohl sagen, denn aus Sicht der Wahlkämpfer ist so etwas nicht nur grob unsportlich, sondern regelrecht parteischädigend und mit Parteischädigern wird normalerweise entsprechend verfahren. - Am Telefon begrüße ich Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident und Mitglied des SPD-Parteivorstands. Guten Morgen!

    Thierse: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Thierse, wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Parteifreund Wolfgang Clement beschreiben bis zu diesem Meinungsartikel in der "Welt am Sonntag"?

    Thierse: Wir haben oft nebeneinander gesessen bei den verschiedensten Sitzungen im Parteipräsidium, in der Fraktion. Ich habe ihn immer sehr sympathisch gefunden.

    Heckmann: Und was hat Wolfgang Clement geritten, jetzt so gegen Frau Ypsilanti zu schießen, gerade jetzt eine Woche vor der Wahl?

    Thierse: Also man muss doch ganz nüchtern feststellen: Wolfgang Clement hat keine Funktion in der SPD mehr, aber er hat eine Funktion beim Energieunternehmen RWE. Er spricht also nicht mehr für die SPD, aber er spricht für das Energieunternehmen RWE. So soll man seine Äußerung bewerten, punktum.

    Heckmann: Kam die ganze Sache für Sie aus heiterem Himmel, oder hat sich das ganze aus Ihrer Sicht schon längerfristig angekündigt?

    Thierse: Nein, das ist aus heiterem Himmel gekommen. Aber wie gesagt: Er spricht jetzt für das Energieunternehmen. Das ist erlaubt, das ist legitim, aber man muss wissen: Es ist interessengeleitetes Reden, und als solches sollten die Bürger, die Wähler, auch die Mitglieder der SPD das bewerten.

    Heckmann: Wie groß ist der Schaden für die SPD, den er angerichtet hat? Er ist ja immerhin Mitglied der Partei.

    Thierse: Ja, aber ich sage es noch einmal. Er hat keine Funktion in der Partei mehr, sondern eine bei dem Energieunternehmen RWE. Er spricht also nicht für die SPD, sondern für das Energieunternehmen. Welcher Schaden eintritt, das wird man in ein paar Tagen sehen können. Ich hoffe sehr, dass die Wähler, die Bürger in Hessen dies bewerten und beurteilen können und auch nicht deswegen überbewerten, was da passiert ist.

    Heckmann: Der SPD-Chef von Schleswig-Holstein Ralf Stegner hat gesagt, Clement sei kein Jota besser als Oskar Lafontaine. Ist da was dran?

    Thierse: Ich halte nichts von allen möglichen öffentlichen Vergleichen, aber dass man so etwas nicht tut, das wusste Wolfgang Clement auch immer, denn er war auch früher der Solidarität bedürftig. Sie ist ihm auch gewährt worden von der Partei und deswegen ist das Verhalten ja jetzt auch nicht in Ordnung. Man muss aber wie gesagt wissen, welche Interessen er öffentlich ausspricht.

    Heckmann: Sie haben gesagt, Clement spricht für RWE und nicht für die SPD. Ist es denn denkbar, dass er nach diesen Äußerungen in der Partei verbleibt, oder müsste er die Partei verlassen, so wie jetzt auch viel gefordert, unter anderem von Peter Struck?

    Thierse: Ich will einmal daran erinnern, dass die SPD ja in ihrem geltenden Programm eine Absage an die Kernenergie formuliert hat und für den Ausbau regenerativer erneuerbarer Energien votiert. Das ist gültiges Programm, das ist die Meinung der Mehrheit der Partei, das ist übrigens auch die Meinung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Das muss man wissen. Das ist wichtig. Auch inhaltlich ist es ja eine Frage, die in der SPD diskutiert worden ist, wo es einen klaren und mehrheitlichen Standpunkt gibt. Zu sagen, dass das für die Zukunft eines Standortes gefährlich sei, ist denke ich auch inhaltlich falsch. Diskutiert worden ist es und insofern glaube ich geht es auch nicht um irgendeine Art von Richtungsstreit in der SPD oder etwas vergleichbarem, sondern um die abweichende Äußerung eines Interessenvertreters.

    Heckmann: Es ist inhaltlich falsch, aber muss nicht für eine solche Position auch Platz sein in einer großen Partei wie der SPD?

    Thierse: Ich habe ja darüber gesprochen, dass das diskutiert worden ist, dass es programmatische Festlegungen gegeben hat und dass die Mehrheit der Partei - übrigens eben auch wie ich betone die Mehrheit der Bevölkerung - derselben Meinung ist. Solange es für dieses Grundsatzproblem der Kernenergie (die Endlagerung) keine Lösung gibt, bleibt sie eine gefährliche, keine zukunftsorientierte Energie und wir müssen viel Kraft setzen in erneuerbare Energien. Ich glaube, dass das eine vernünftige politische Strategie ist, die auch Andrea Ypsilanti verfolgt.

    Heckmann: Jetzt sind Sie ein bisschen ausgewichen, Herr Thierse. Die Frage lautete, ob aus Ihrer Sicht in der Partei SPD noch Platz für Wolfgang Clement ist.

    Thierse: Ich habe darüber doch gesprochen. Einer, der Solidarität immer eingefordert hat und auch erfahren hat, verhält sich unsolidarisch. Das ist ein hoch problematischer Vorgang, der, wie ich weiß, in der SPD außerordentliche Aufregung, Betroffenheit, ja Wut hervorgerufen hat. Man wird sehen, welche Wirkungen das hat.

    Heckmann: Und welche Konsequenz ist daraus zu ziehen?

    Thierse: Ich bin aus mancherlei Gründen kein Anhänger von öffentlichen Forderungen nach Parteiausschlüssen. Da habe ich schlechte Erinnerungen an ein anderes System. Deswegen bin ich an dieser Stelle vorsichtiger, gelassener, hoffe darauf, dass die Bürger, dass der Wähler eine solche Äußerung auch richtig einordnen und damit der Schaden begrenzt ist.

    Heckmann: Peter Struck hat argumentiert, wer dazu aufruft, die SPD nicht mehr zu wählen, der verdient ein Parteiausschlussverfahren. Jetzt ist es aber so, dass Clement ja gar nicht dazu aufgerufen hat, die SPD nicht zu wählen, sondern nur es sich gut zu überlegen.

    Thierse: Er hat sich vorsichtiger geäußert und gesagt, man soll inhaltlich wägen. Und dann sage ich noch einmal: Es ist eine vernünftige Zukunftsstrategie, nicht auf Atomenergie zu setzen, nicht auf den Ausbau von neuen Großkraftwerken mit Braunkohle oder Steinkohle zu setzen, sondern vernünftigerweise Kraftanstrengungen in erneuerbare Energien zu setzen. Ich glaube das ist vernünftiger. Das muss man auch den Wählern sagen.

    Heckmann: Herr Thierse, Wolfgang Clement ist ein Politprofi ohne jeden Zweifel. Er musste wissen, was er tut und welche Reaktionen er hervorrufen würde. Haben Sie den Eindruck, dass er überhaupt in der SPD bleiben will, oder hat er damit seinen Absprung vorbereitet?

    Thierse: Das weiß ich nicht. Da würde ich ihn lieber gerne selber fragen und selber mit ihm reden. Da finde ich es auch unangemessen, öffentlich darüber zu spekulieren. Er ist wie gesagt an dieser Stelle wohl von leidenschaftlichem Interesse erfüllt und meinte das sagen zu müssen. Die inhaltliche Diskussion darüber ist aber in der Partei geführt, wird weiter geführt mit den Bürgern. Die Frage nach der Zukunft unserer Energiequellen, nach der Zukunft der Energiegrundlage unserer Wirtschaft ist eine wichtige Frage. Man sollte sie nicht so vergangenheitsorientiert beantworten, dass man auf den Ausbau immer neuer Großkraftwerke, egal ob mit Kernenergie oder Braun- oder Steinkohle, setzt. Die werden weiter eine Rolle spielen, aber die Zukunft hat schon mit erneuerbaren Energien zu tun, hat mit Energieeffektivität zu tun, hat mit Umwandlung und den Grundlagen unserer Produktivität zu tun.

    Heckmann: Die Empörung innerhalb der SPD ist einhellig. Man hat es gesehen. Kann es sein, dass man ihm die Reformen nicht verzeihen will, die mit Begriffen wie Hartz IV und Arbeitslosengeld II verbunden sind?

    Thierse: Man sollte das jetzt nicht mit allem möglichem verbinden. Es reicht dieser kurze Text in der "Welt am Sonntag". Da muss man nicht alle möglichen anderen Gesichtspunkte noch anführen.

    Heckmann: Wolfgang Thierse war das, Bundestagsvizepräsident und Mitglied des SPD-Parteivorstands. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Thierse.

    Thierse: Auf Wiederhören!