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Thierse verlangt mehr Geld für Holocaust-Mahnmal

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse verlangt mehr Geld für den Unterhalt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin. "Es wäre fatal, wenn dieses so wichtige Denkmal Spuren der notwendigen Konsolidierungspolitik der Bundesregierung haben würde", sagte der SPD-Politiker, der den Vorstandsvorsitz der Denkmalsstiftung niedergelegt hat.

Moderation: Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Seit vor gut 13 Monaten in Berlin neben dem Brandenburger Tor das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet wurde, haben weit mehr Menschen als erwartet diesen Ort besucht. Das gilt vor allem für das angeschlossene Informationszentrum unterhalb des Stelenfeldes, dort hatte man mit rund 250.000 Besuchern gerechnet, tatsächlich waren es innerhalb des ersten Jahres schon über 500.000. Die Stiftung, die das Denkmal trägt, hat eine Jahresetat von 2,1 Millionen Euro, die aus dem Haushalt des Kulturstaatsministers kommen. Das seien mindestens 600.000 Euro zu wenig, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung ist. Und deshalb, Herr Thierse, wollen Sie nun von diesem Amt zurücktreten oder sind es schon?

    Wolfgang Thierse: Ich habe in einem Brief an den Kuratoriumsvorsitzenden, Bundestagspräsidenten Lammert, mitgeteilt, dass ich den Vorstandsvorsitz niederlege und ihm vorschlage, das zu tun, was ich auch getan habe, nämlich Kuratoriumsvorsitz und Vorstandsvorsitz in eine Hand zu legen und das mit dem Gewicht des Amtes des Bundestagspräsidenten zu versehen.

    Koldehoff: Mit anderen Worten, Sie fordern Lammert auf, den Job zu übernehmen.

    Thierse: Das kann man so sagen. Das entspricht, denke ich, dem Rang dieses Denkmals, Es gibt nicht viele Denkmäler in Deutschland, die auf der Basis eines Bundestagsbeschlusses entstanden sind. Im Zentrum der Hauptstadt Berlin gedenken wir an die schlimmste Tat unserer Geschichte, dies ist ein außerordentliches Denkmal, auch das Echo auf dieses Denkmal ist so groß, dass ich denke, dass auch weiterhin das Parlament in besonderer Fürsorge für dieses Denkmal verantwortlich bleiben muss.

    Koldehoff: Nun werden in der Öffentlichkeit auch andere Gründe genannt, zum einen, die finanzielle Ausstattung der Stiftung. 2,1 Millionen kommen im Moment jährlich aus dem Etat des Kulturstaatsministers, und es heißt, Wolfgang Thierse sagt, das sind mindestens 600.000 zu wenig, denn es sind deutlich mehr Menschen gekommen, als wir erwartet hatten. Ist das der Grund für Ihren Rückzug mit?

    Thierse: Das ist wichtig, ich glaube, dass das Denkmal unterfinanziert ist. Nur zur Erinnerung, der Etatansatz von 2,1 Millionen ist ein Vorschlag vom März 2005, also noch vor der Zeit der Eröffnung dieses Denkmals. Inzwischen haben wir ein Jahr Erfahrung, wir erleben, dass dieses Denkmal erfolgreich ist, wenn man das so nennen darf, über dreieinhalb Millionen Menschen waren im Stelenfeld, 540.000 Menschen etwa waren im Ort der Information. Viel, viel mehr, als alle erwartet haben, auch viel mehr, als wir selber erwartet haben. Und die Konsequenz dieses Erfolgs ist, dass wir mehr Geld brauchen für Personal, das Besucher betreut, für Öffentlichkeitsarbeit, Informationsmaterialen, aber eben auch für die materielle, die technische Betreuung dieses Denkmals - je mehr kommen, um so mehr Abnutzungserscheinungen. Das kann doch nicht sein, dass dieses so, so wichtige Denkmal dann Zeichen der Abnutzung und damit also des notwendigen Sparkurses von Regierung und Parlament, haben. Und deswegen hat der Vorstand schon mitgeteilt, ich schon in Briefen im vorigen Jahr und in diesem Jahr, Anfang diesen Jahres, dass mehr Geld nötig sein wird. Für dieses Jahr haben wir einen Fehlbedarf von über 200.000 festgestellt, und mittelfristig werden wir etwa einen Etat von 2,7 Millionen im Jahr brauchen, damit dieses Denkmal, diese Erinnerungsstätte angemessen betrieben werden kann.

    Koldehoff: Welche Reaktionen haben Sie denn auf Ihre Briefe erfahren?

    Thierse: Also zunächst mal immer Zögen, Abwarten und Nein, weil das ja in den Konsolidierungskurs, in den Sparkurs nicht hinein passt, weil dieses Geld, das verstehe ich ja auch, nicht so ohne weiteres zur Verfügung steht. Ich will morgen noch einmal mit den beiden haushaltspolitischen Sprechern der Koalitionsfraktion sprechen, ob wir in diesem Jahr noch irgendwoher ein bisschen Geld locker machen können. Aber ich will nur eben darauf hinweisen, es wäre fatal, wenn dieses so wichtige Denkmal Spuren der notwendigen, von mir ja gar nicht bestrittenen Konsolidierungspolitik der Bundesregierung haben würde, nachdem so viele Menschen hin kommen und so voller Respekt davor sind, wie die Deutschen mit ihrer Geschichte umgehen, muss man dieses Denkmal auch weiterhin ernst nehmen, so jedenfalls meine Überzeugung.

    Koldehoff: Gibt es denn zwischen Stiftung und Bundesregierung Einigkeit darüber, was überhaupt jetzt zu leisten ist, nachdem das Denkmal eröffnet ist. Herr Schäfer, der Stellvertreter des Kulturstaatsministers, wird in der Nachrichtenagentur AP damit zitiert, er lehne eine eigene wissenschaftliche Arbeit der Stiftung in der zugeordneten Gedenkstätte ab. Sie solle sich, Zitat, vorrangig um die Betreuung von Besuchergruppen und der Ausstellung kümmern.

    Thierse: Also, da baut sich ein Popanz auf. Wir wollen gar keine eigene Forschung da, sondern dieses Mindestmaß an wissenschaftlicher Dienstleistung, das notwendig ist, eine historische Ausstellung auf dem aktuellen Stand der Forschung zu halten. Also, es muss ein, zwei Personen geben, die die Forschung verfolgen, was ändert sich? Wir wollen die Liste der Namen der Ermordeten vervollständigen, wir wollen den Kontakt zu der Gedenkstätte in Yad Vaschem pflegen und zu anderen Gedenkstätten. All das ist notwendig, damit eine Ausstellung nicht einfach veraltet. Das ist doch keine eigene Forschung, sondern das ist eine notwendige wissenschaftliche Dienstleistung, damit eine so wichtige Erinnerungsstätte auch eine Erinnerungsstätte auf dem Stand der Forschung bleiben kann.

    Koldehoff: Hat Herr Lammert Ihnen schon signalisiert, was er von Ihrem Vorschlag, das Amt zu übernehmen, hält und ob er sich dann auch Ihren Forderungen anschließen würde?

    Thierse: Ich wünsche es mir sehr, dass er diese Doppelfunktion übernimmt. Ich denke, er wird das am Mittwoch in der Kuratoriumssitzung auch mitteilen. Ich habe das über sechs Jahre zusammen gemacht. Ich glaube, das war sinnvoll, das stärkt auch dieses Denkmal gegenüber den Beamten der Bundesregierung, und insofern wünsche ich mir, dass mein Vorschlag eine Chance hat auf Verwirklichung.

    Koldehoff: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, vielen Dank, über seine Forderung nach mehr Geld für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin.