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Thomas Ahbe und Michael Hofmann: Es kann nur besser werden.

Wir bleiben beim Thema "Aufarbeitung der Geschichte der DDR" - diesmal aber geht es um "Geschichte von unten". Es geht um die Generation jener Menschen, die beim Entstehen des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates im Jahre 1949 jung dabei waren. Es geht um diejenigen, die die sozialistischen Gründerjahre geprägt haben. Weder in der DDR noch in der Nachwendezeit sind sie je richtig zu Wort gekommen. Die Leipziger Wissenschaftler Thomas Ahbe und Michael Hofmann haben dies nun nachgeholt. Aus langen Gesprächen mit Angehörigen dieser Aufbau-Generation ist das Buch entstanden: "Es kann nur besser werden". Im Untertitel heißt es: Erinnerungen an die 50er Jahre in Sachsen. Klar ist aber, dass diese Geschichten überall in der DDR hätten stattfinden können. Andreas Baum über das neue Buch des Autoren-Teams Ahbe und Hofmann:

Andreas Baum |
    Nachher ist man immer klüger: Hätte man gewusst, wie es mit der DDR ausgehen würde, hätte man vielleicht von Anfang an alles anders gemacht. Einfach ist das für die, die nicht dabei waren. Im Nachhinein und mit dem Wissen um das Scheitern der DDR sind heute vor allem zwei, einander diametral entgegengesetzte Aussagen über die Nachkriegszeit zu hören: Dass es damals noch Ideale und echten Fortschritt im Arbeiter-und-Bauern-Staat gegeben habe, sagen die einen, dass das Projekt eines "besseren Deutschlands" von Anfang an zum Scheitern verurteilt sei, sagen die anderen. Das selbst gesteckte Ziel der Autoren ist, genau hinzuschauen, die Erinnerungen einer Generation, die damals jung war, zu dokumentieren und so ein differenziertes Bild auf die Anfangsjahre der DDR zu ermöglichen. Michael Hofmann:

    Die Geschichte der DDR wurde in den Wendeereignissen und in der Transformationszeit sehr oft politisch hin und her geschoben und wichtig war uns, auch den Alltagserfahrungen, die mit diesen politischen Zuschreibungen nicht immer kongruent gehen, Respekt zu verschaffen, und das haben wir in diesem Buch versucht, indem wir die Leute, die Geschichte ihrer Ehen, ihrer Geschäfte, die sie hatten, ihrer Arbeitsstellen, erzählen ließen und damit ein Blick auf die untergegangene DDR eröffnet wurde, der eben nicht so einfach aufgeht in den Bildern, die man von politischer Seite diesem Staat zuschreibt.

    Es kommen Menschen zu Wort, die zum Teil zum ersten Mal ihre Erinnerungen zusammenfassen: Sie sind nie zuvor gefragt worden. Denn in der DDR war die Bewertung der Vergangenheit Chefsache, und nach der Wende war der Diskurs über den real existierenden Sozialismus überlagert vom dramatischen Scheitern des Systems. Wer positive Erfahrungen aus dem eigenen Lebenshorizont zu berichten hatte, wurde allzu leicht als ewig Gestriger abgestempelt und schwieg deshalb lieber gleich.

    Die frühe DDR war ein Staat ohne alteingesessene Eliten. Im Zuge der Entnazifierung wurden drei Viertel der Lehrer und Hochschullehrer aus ihren Positionen entfernt. Großgrundbesitzer und Industrielle wurden enteignet, sie verließen das Land bald. Zudem verlor die DDR in den fünfziger Jahren etwa ein Drittel ihrer Akademiker an den Westen. Dieses Führungsvakuum füllte der Staat durch junge Arbeiter, denen Aufstiegschancen in Universitäten und Betrieben geboten wurden, vorausgesetzt, sie waren linientreu. So lag der Anteil von Studierenden aus der Arbeiterschicht in der DDR bei 50 Prozent, er war zehn Mal höher als der in der Bundesrepublik. Die neue Gesellschaft sollte antibürgerlich, proletarisch und gemeinschaftsorientiert werden. Die im vorliegenden Buch zu Wort kommen, sind die Hoffnungsträger der jungen DDR. Eine Philosophiestudentin aus Leipzig erinnert sich:

    Wir enttrümmerten, putzten Steine und leisteten auch Aufbaueinsätze, das gehörte zum Studentenalltag - ebenso wie der beständige Hunger. Zusammen mit meinem Freund hungerte ich mich zwei Jahre lang mit nur einem Stipendium durch. Aber ich setzte große Hoffnungen auf die DDR und das, was in ihr aufgebaut werden sollte. Wir wollten eine Gesellschaft, die nie wieder einen Krieg entfesselt, die Gerechtigkeit schafft, die internationale Solidarität übt, gegen Rassenhass eintritt, eine Gesellschaft, wo die Menschen in ihrem Leben einen Sinn finden. Das alles habe ich sehr ernst genommen, und das ist für mich heute noch wichtig.

    Die optimistische Grundhaltung, die auch im Titel des Buches, "Es kann nur besser werden", zum Tragen kommt, zieht sich wie ein roter Faden durch die Statements der Interviewten. Mit dem historischen Wissen, was dann am Ende aus den Idealen der DDR geworden ist, wirken viele der Erinnerungen geradezu trotzig schönfärberisch: Für den Autor Thomas Ahbe ist dies aber gerade der authentische Gehalt der Aussagen über die Vergangenheit.

    Nun ist es natürlich so, dass diese Generation, die sich für die DDR engagiert hat, und für diese Idee, heute ein recht problematischen Blick auf ihre eigene Jugend serviert bekommt. Die DDR wird interpretiert, die untergegangene, gescheiterte DDR und sie wird natürlich von anderen Leuten interpretiert, als jenen, die damals mit verschiedenen Motiven diesen Aufbau gemacht haben. Insofern gibt es da auch eine gewissen Zwiespältigkeit. Es ist ein gewisser Kampf um die Erinnerung. Und wir haben in diesen Erzählungen bemerkt, dass die Leute ihre eigene Position, ihre eigene Sinnsetzung, ihre Motive, ihre Erfahrungen, ihre Ziele auch reflektiert haben wollen.

    Eine übergangene Generation fordert also in diesem Buch verspätetes Gehör, ihren Platz in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

    Wir waren eine gute Truppe,

    ...erinnert sich an anderer Stelle ein Arbeiter,

    ...und Politik spielte bei uns kaum eine Rolle. Ich war ja nun in der Partei, und in meiner Truppe war einer, dessen Vater war 1952 in Eisleben am Lutherdenkmal erschossen worden. Und er hat das immer wieder erzählt und gerufen: "Die Kommunistenschweine haben meinen Vater erschossen

    Ich sagte zu ihm: "Gerhard, ich möchte nicht, dass du das in meinem Beisein äußerst. Ich bin in der Partei, ich bin also auch so ein Kommunist. Wenn Du dieser Meinung bist, dann äußere sie bitte woanders

    Und dann ging das. Der Gerhard war nämlich ein sehr guter Arbeiter. Wir spielten nach der Schicht oft miteinander Skat.


    In dieser wie in vielen Äußerungen ist ein rechtfertigender Unterton zu hören, ganz nach dem Motto: Hätte man den Staat nur so tolerant und leistungsbetont geführt wie ich meine Brigade, wer weiß, wie die Geschichte ausgegangen wäre... Für den Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe ist dies ein Beispiel für den Versuch, die eigenen Erinnerungen in eine übergeordnete Erzählung einzuordnen.

    Jede Gesellschaft entwickelt ja über sich eine Metaerzählung in der ein Bild von der Geschichte entworfen wird, ein Bild von der, ich sags jetzt mal so salopp, von der Identität einer Kultur und einer Gesellschaft, ein Bild von bestimmten Werten und Zielen. Und so hat das natürlich auch die DDR gemacht und wir wissen ja, die DDR war eine Gesellschaft, in der die marxistisch-leninistische Ideologie eine ziemlich große, zentrale Rolle spielte und genau diese Ideologie hat ja diese Erzählung ausgearbeitet, eine Erzählung, die sagte, wir haben die richtigen Lehren aus dem Desaster des Nationalsozialismus und aus der kapitalistischen Vorzeit gezogen, die Lösung des Problems bedeutet Aufbau des Sozialismus, Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Weg in die strahlende Zukunft, das war die Gesellschaftserzählung der DDR und die findet sich natürlich auch in den Erzählungen der Menschen wieder.

    Die Zeitzeugen erzählen in dem Buch unkommentiert, redaktionelle Änderungen und Straffungen der Autoren wurden akribisch mit den Urhebern abgesprochen. So kommt den Autoren vor allem eine ordnende und einordnende Funktion zu. Sie machen in den Gründerjahren der DDR vor allem drei Gruppen maßgeblicher Akteure aus, die Arbeiter, die Intelligenz und die kleinen Selbständigen, die in den fünfziger Jahren in der DDR eine zum Teil bedrängte Existenz führten. Aus dieser Gruppe kommen die meisten kritischen Äußerungen, wie die eines Tischlers, der auf der Leipziger Messe seine im Stil der neuen Sachlichkeit gehaltene erschwingliche und praktische Möbelkollektion vorstellte.

    Nun begann die Messe, der Besucherstrom füllte die Gänge, und eines Tages kam eine Regierungsdelegation. Sie besichtigte die Messe und kam auch in das Unionsmessehaus zur Möbelmesse. Der Leiter dieser Delegation war Walter Ulbricht. Bekanntlich war er Tischler von Beruf und interessierte sich besonders für das Angebot an Möbeln. Vor meinem Stand verweilte er sehr lange, und es entspann sich ein Gespräch. Er kritisierte meine Möbel und meinte, sie wären nicht würdig für die Werktätigen. Am Nebenstand stellten die Zeulenrodaer Möbelwerke große, dunkle, schwere Eichenholzmöbel mit Schnitzerei und Löwen aus. Ulbricht stellte Vergleiche an und sagte, so werden in Zukunft die Werktätigen wohnen. Meine unwürdigen Möbel durften nicht gezeigt und nicht verkauft werden. Mein Messestand wurde zugehängt.

    Später erzählt der Tischler nicht ohne Triumph, dass ausgerechnet die Parteischule der SED 50 Schränke bei ihm bestellt habe, trotz der vernichtenden Kritik des Staatsratsvorsitzenden. An anderer Stelle erinnert sich eine Kohlenhändlerin daran, wie sie ihr Schicksal unbürokratisch selbst in die Hand genommen hat:

    Uns Kohlenhändler hat das tüchtig angestunken, dass die Kohle so bröckelig war. Aber West-Berlin bekam Briketts der Marke "Star", die waren gut. Diese Ostbriketts konnte man vergessen. Wir haben uns eines Tags zusammengetan, vier Kohlenhändler aus Dresden und Freital, und sind nach Berlin gefahren. Wir wollten uns beschweren. Ich als einzige Frau, zu viert sind wir bis in die Leipziger Straße gekommen, dort saß das Ministerium. Da haben die uns für vier Bürgermeister gehalten, und wir sind tatsächlich von so einem Regierungsrat empfangen worden, vier Kohlehändler. Uns wurde versprochen, dass sie sich darum kümmern. Aber geändert hat sich nichts.

    Die kleinen und keinesfalls reichen Selbständigen waren die Statthalter der nicht mehr vorhandenen Kapitalisten der frühen DDR, an ihnen arbeitete ein ganzer Staat sein Bedürfnis nach Klassenkampf ab. Aus dem leicht bitteren Unterton ihrer Erzählungen wird deutlich, dass ein entscheidendes Manko der DDR-Gesellschaft schon ganz am Anfang da war: Konformität wurde belohnt, Flexibilität und Unkonventionalität dagegen abgestraft. Deshalb drängt sich nach der Lektüre des Buches die Frage auf, ob die junge DDR nicht schon die Saat des Scheiterns in sich trug. Autor Michael Hofmann:

    Ich glaube das eigentlich nicht, denn dieser Anspruch, eine andere Gesellschaft, nach diesen historischen Erfahrungen, eine andere Gesellschaft aufzubauen hat damals schon, und das zeigen viele Geschichten in diesem Buch auch, eine Massenbasis erreicht, das heißt viele nahmen diesen Anspruch durchaus ernst mit dem Anspruch, eine bessere, gerechtere Gesellschaft aufzubauen und dieser Anspruch ist verspielt worden aber er hat für meine Begriffe in den fünfziger Jahren trotz allen Terrors, der dort auch herrschte, immer noch getragen, weil er noch ein uneingelöstes Zukunftsversprechen hatte.

    Die Autoren haben es bei ihren akribischen Recherchen allerdings versäumt, die frühen Jahre des Arbeiter-und-Bauern-Staates aus der Perspektive der zahlreichen Opfer zu zeigen: Es ist kein einziges Zeugnis von Menschen dabei, die in Haft waren oder anderweitig unter Druck gesetzt wurden. Hofmann und Ahbe erwidern auf diesen Vorwurf, dass die Gefängniserfahrungen nach der Wende ausreichend aufgearbeitet worden seien, was fehle, seien eben die "ganz normalen" Alltagsbeschreibungen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Die Zeit heilt alle Wunden, und so überwiegen die optimistischen, die heiteren und teilweise humoristischen Passagen. Das Buch ist gut lesbar und leicht verdaulich. Es sind die Erinnerungen alter Menschen an eine unbeschwerte Jugend, in der die Zukunft noch zu gewinnen war.

    Wir haben ja eine Zeit der Unentschiedenheit, des Kampfes, der Richtungen, der Versuche, der Experimente beschrieben, eine Phase die also 1949 mit Gründung der DDR begann und 1961, das ist das lange erste Jahrzehnt der DDR, mit dem Mauerbau endete.

    "Es kann nur besser werden," heißt der Band von Thomas Ahbe und Michael Hofmann. Erschienen ist das Buch im Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig. Es hat 183 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und kostet 25 Mark. Andreas Baum war unser Rezensent.