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Thomas Bernhards ''Über allen Gipfeln ist Ruh''

Zunächst war es das übliche Desinteresse am Propheten, der im eigenen Land bekanntlich nichts gilt, dann das vom Autor testamentarisch verhängte Aufführungsverbot seiner Stücke in Österreich: Tatsache ist, dass es in dem Land, in dem der Dichter geboren wurde und vorwiegend lebte, einen starken Nachholbedarf in Sachen Thomas Bernhard gibt. Seit der durch die Gründung einer Stiftung ermöglichten Umgehung besagten Aufführungsverbots 1998 verabsäumt es kaum ein österreichisches Theater, das auf sich hält, wenigstens einen Thomas Bernhard pro Saison auf den Spielplan zu setzen - meist als österreichische Erstaufführung.

Eine Kritik von Dr. Maria Rennhofer |
    Um eine solche handelte es sich jetzt auch im Wiener Theater in der Josefstadt. Dort wurde die neue Spielzeit - übrigens die letzte unter der Intendanz Helmut Lohners - gestern mit Thomas Bernhards Komödie "Über allen Gipfeln ist Ruh" in der Regie des deutschen Schauspielers und Regisseurs Wolf-Dietrich Sprenger eröffnet.

    Der Titel "Über allen Gipfeln ist Ruh", ein Zitat aus Goethes berühmtem Gedicht "Wanderers Nachtlied", verrät bereits einiges über den Inhalt: Es geht um einen Tag im Leben des Dichters Moritz Meister, der es, aus kleinsten Verhältnissen stammend, an die Spitze der deutschsprachigen Literaturszene geschafft hat, der in beschaulicher Ruhe sein Opus Magnum vollendet hat und von seiner Frau ebenso wie vom Verleger, von einer jungen Doktorandin und einem Journalisten der FAZ bewundert wird.

    Joachim Bißmeier, geboren in Bonn, wohnhaft in Wien, zuletzt aber vorwiegend in Zürich, Düsseldorf oder Berlin engagiert, kehrt mit der Rolle des Moritz Meister nach längerer Absenz wieder einmal auf eine Wiener Bühne zurück. Sehr zurückgenommen serviert er Thomas Bernhards Text und verkörpert den zwischen Bienenzucht und Archäologie-Leidenschaft ganz seiner eigenen literarischen Phantasie hingegebenen, ununterbrochen sein eigenes Werk zitierenden Dichterfürsten, in dem manche Züge des deutschen Autors Ernst Jünger zu erkennen glauben. Subtil geht Bißmeier auf die Nuancen der Sprache ein - und das großteils mit vollem Mund, denn ständig wird auf der Bühne gefrühstückt, Mittag gegessen, Kaffe getrunken und an üppigen Torten genascht. Allein das ist eine Leistung der besonderen Art. Traute Hoess, bekannt vor allem aus Günter-Krämer-Inszenierungen in Köln, ist als Dichtergemahlin der kongeniale Gegensatz zur leicht verschrobenen Hauptfigur: temperamentvoll und überdreht preist sie den Gästen das Talent und die Leistungen ihres Mannes an. Kein bildungsbürgerliches Klischee wird ausgelassen: Die schwere Kindheit des Meisters, das Streben nach Höherem, der Verzicht der Klavier spielenden Ehefrau auf die eigene Künstlerkarriere, die Verehrung für die großen deutschen Dichter und Denker und die hinter demonstrativer Bescheidenheit maskierte, aufgeblasene Eitelkeit des Dichters, der in einer privaten Lesung schließlich selbst die Banalität seiner Tetralogie entlarvt. Raffiniert und hinterhältig wird hier eine Gesellschaft auf die Schaufel genommen. Wer Thomas Bernhards politische Schärfe sucht, wird diese höchstens in einer Szene finden, als Moritz Meister über die jüdischen Vorbesitzer seines Hauses spricht.

    Mit den von Thomas Bernhard gewohnten Attacken gegen Österreich und seine Vergangenheit wartet das in Süddeutschland angesiedelte Stück nicht auf. Das als konservativ bekannte Publikum des Wiener Theaters in der Josefstadt konnte sich bei der Premiere also ganz entspannt über den Wortwitz des Autors amüsieren. Dem hätten allerdings ein paar kräftige Striche durchaus gut getan. Denn Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung, die auf übertriebene Aktion und forcierte Regieeinfälle Gott sei dank verzichtet, geht zwischen Thomas Bernhards typischen Wiederholungen und endlosen Monologen doch bisweilen der Atem aus, sodass die auf fast drei Stunden gedehnte Substanz mitunter verdächtig dünn erscheint.

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