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Thomas Hirschhorns Rauminstallation "Nachwirkung"
Sinn-Oase im Sinnlosen?

Der Schweizer Konzeptkünstler Thomas Hirschhorn machte schon 2002 auf der Documenta11 in Kassel mit seinem Bataille-Monument Furore. Von der Stadt Bremen wurde er 2003 mit dem Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum ausgezeichnet. Jetzt hat er in der Kunsthalle Bremen eine Installation realisiert, die die historischen Räume der Großen Galerie in einen ruinenhaften Ort verwandelt.

Von Rainer Berthold Schossig | 08.09.2015
    Die Kunsthalle Bremen
    In der Kunsthalle Bremen gemahnt Thomas Hirschhorn mit einer Rauminstallation an Gewalt und Zerstörung (dpa / picture alliance / Ingo Wagner)
    Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kunsthalle Bremen von Artillerie und Brandbomben schwer getroffen. Das Treppenhaus und der Dachstuhl brannten aus. Das Haus ist längst wieder aufgebaut und großzügig erweitert, doch es leidet bis heute unter seinen schweren Kriegsverlusten. Nicht ohne Hintersinn also hat der Schweizer Konzept-Künstler Thomas Hirschhorn seiner Bremer Rauminstallation den Titel "Nachwirkung" gegeben. Schauplatz sind die drei Säle der historischen "Großen Galerie" des Museums, doch wer die jetzt betreten will, muss sich durch eine zerfledderte Pappwand quälen, hinter der die Schrecken der Zerstörung warten, installiert in radikaler Realistik: eine zerschmetterte Betondecke, Reste von Treppenstufen, Brandspuren, riesige Haufen großer Steine, abgeknickte Eisenträger und wirre Drahtverhaue, der Boden überall bedrohlich schräg.
    Themenkreis Katastrophe, Gewalt und Zerstörung
    Wie bei seinen jüngsten Raum-Montagen - etwa in St. Petersburg oder auf der Venedig Biennale - hat sich Hirschhorn mit den Themen Katastrophe, Gewalt und Zerstörung beschäftigt. Keineswegs aber will er in die Nachfolge romantischer Ruinen-Seligkeit eingereiht werden. Für ihn ist das Ruinöse keine ästhetische, sondern eine formale Herausforderung, der er sich als Künstler und politisch engagierter Mensch stellen möchte. Die Bremer Installation erzeugt durch ihr systematisch desolates Tohuwabohu beim Betrachter Befremden und Verwirrung, Platzangst und Klaustrophobie. Doch sie macht nicht nur subjektiv Gänsehaut, sondern ist auch Menetekel der Sinnentleerung im vertrauten ästhetischen Ort Museum. Das Bild des brutal zerstörten Raums, hinter dem der Glanz der Alten Galerie aus Kaisers Zeiten buchstäblich verschwunden ist, lässt verblasste Erinnerungen und verdrängte Geschichte aufscheinen. Hinter der bewusst kulissenhaft aus Pappmaschee, Klebeband und Plastik, Alufolie und Tünche errichteten Katastrophen-Fassade wird auf verstörende Weise Verborgenes sichtbar.
    Installationen in Zeit der Kulturzerstörung
    Wir leben in Zeiten massiver und medienwirksam inszenierter realer Zerstörung von Kulturstätten, zum Beispiel der antiken Ruinen von Palmyra in Syrien durch den sogenannten "Islamischen Staat". Wer da das Thema Gewalt und Zerstörung in einem Museum künstlerisch so explizit, ja plakativ aufgreift, könnte leicht der Frivolität verdächtigt werden: Eine schlimmere Tabuverletzung als die Zerstörung eines musealen Raumes ist kaum denkbar. Doch mit der Bremer Installation "Nachwirkung" will Hirschhorn nicht mehr und nicht weniger als eine heute allgemein grassierende Sinnlosigkeit, den Verlust aller Gewissheiten vor Augen führen. Der selbstverständliche Sinn des Ausstellens von Kunst wird konfrontiert mit dem Unsinn der Ästhetik der Destruktion. Einzig die knallgelben, selbst gebastelten Graffiti mit Sprüchen wie "Kunst ist wahr" oder "Entschuldige nicht für Kunst" wirken albern und pädagogisch.
    Bilder hängen wie eingeschüchtert
    Doch Hirschhorn geht noch einen Schritt weiter: mitten im Schutt stößt der Betrachter auf eine Reihe von Hauptwerken aus der Bremer Gemäldesammlung: Caspar David Friedrichs düsteres "Friedhofstor" und Arnold Böcklins großer "Reitender Abenteurer", Franz Marcs "Reh im Blumengarten" und André Massons Anklagebild "Nach der Exekution". Die Bilder hängen wie eingeschüchtert an den verbliebenen senkrechten Wänden der Räume, gefährlich schief, gleichsam wie der Zerstörung zufällig entgangen. Sie scheinen ihrer Aura nahezu beraubt. Umso alarmierender wirken plötzlich die ihnen einbeschriebenen Botschaften. Der Friedhof wird zum Ort irdischen Unfriedens, Böcklins "Abenteurer" zum Symbol des ortlosen Kriegers und das Reh im Blumengarten zur bedrohten Spezies. Massons surrealistisches Bild, das explizit von einer Hinrichtung spricht, wird plötzlich gar zu einer hoch aktuellen globalen Allegorie auf Gewalt und Mord, Anmaßung und Dummheit der politischen Akteure von heute. Der Besucher verlässt die Rauminstallation von Thomas Hirschhorn nicht ohne Nachwirkung: Nachdenklich und vor allem erleichtert, dem klaustrophobischen Raum entkommen zu sein.