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Thomas Leif (Hrsg.): Mehr Leidenschaft Recherche

Investigativer Journalismus, das hat etwas mit Enthüllung und Aufdeckung zu tun. Eine journalistische Arbeitsweise, die hierzulande – anders als etwa in den angelsächsischen Ländern – keinen hohen Stellenwert genießt. Um dies zu ändern, haben sich mittlerweile über 200 Journalisten aller Medien zum "Netzwerk Recherche" zusammengeschlossen. Eine Art Selbsthilfegruppe, die in der deutschen Medienlandschaft Raum schaffen will für sorgfältig recherchierte Geschichten, die die Fähigkeit fördern will, sich Informationen und Kenntnisse zu verschaffen. Eine Fähigkeit, die bei vielen Journalisten schwindet, die nur noch reine Medienproduzenten sind. Mit dem Buch "Mehr Leidenschaft Recherche" soll die Leidenschaft an journalistischer Recherche gefördert werden. Herausgegeben wurde es von Thomas Leif, dem Chefreporter beim SüdwestRundfunk Mainz. Mehr als 20 Autoren kommen zu Wort.

Andreas Baum |
    Eigentlich gehört die Recherche zu den Grundfertigkeiten eines Journalisten. Sie muss am Anfang jeder seiner Arbeiten stehen, seien es Zeitungsartikel, Hörfunkreportagen oder Fernsehbeiträge. Leider aber erntet der Journalist, der am Anfang einer Geschichte recherchieren will, in Archive gehen, mit Menschen sprechen, gar Reisen unternehmen, oft nicht mehr als das mitleidige Lächeln der Kollegen: Heute zählt im Medienbusiness der Knall-Effekt, die emotionale Dimension einer Nachricht, und die Geschwindigkeit, mit der sie auf den "Markt" geworfen wird. In einer Zeit, in der "Informationsverdünnung" zur Quotensteigerung eingesetzt wird, ist es altmodisch geworden, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dieses Buch will dem etwas entgegensetzen. Thomas Leif, Mitautor und Herausgeber:

    Die Idee dabei ist, dass vom Handwerk her Journalisten aus ganz verschiedenen Branchen ihre Storys rekonstruieren und mit der Rekonstruktion nicht nur den Sachverhalt darstellen, sondern auch ihre Recherchewege. Und unser Motiv dabei ist, dass das eventuell ansteckend wirken könnte, motivierend wirken könnte, um intensiv Journalismus zu betreiben.

    Die profunde Kenntnis der Materie, so die Grundthese der Autoren, ist bei vielen Journalisten genauso wenig vorhanden, wie die nötige Neugier, sich systematisch in Themen einzuarbeiten. Die Ursachen sind vielfältig: Zunächst, so scheint es, fehlt den meisten Journalisten die Zeit. Am augenfälligsten ist dies im Fernsehen. Thomas Roth, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios und Gast bei der Vorstellung des Buches eben dort, gibt dies unumwunden zu.

    Wir stehen in einer immer härteren Konkurrenz. Es geht alles immer schneller, es wird alles immer live-iger, und das produziert glaub ich die Problematik der elektronischen Medien, dass wir Gefahr laufen, immer oberflächlicher weil eben schneller, und am Ende unsere Zuschauer, ums mal auf neuenglisch zu sagen, over-newsed but under-informed vor dem Schirm sitzen, und wenn das so ist, dann haben wir einen schlechten Job gemacht.

    Leider aber geschieht genau dies immer wieder: Die Fernsehzuschauer werden mit Informationen bombardiert, ohne dass Hintergründe geliefert werden, die für das Verständnis der Themen unerlässlich sind. Wenn sich, wie im Irakkrieg, Ereignisse überschlagen, verstärkt sich dieser Effekt: Ohnehin leidet das Fernsehen, in gewissem Maße auch das Radio, unter einem Manko: Wer verstanden werden will, muss simpel bleiben. Thomas Roth:

    Man muss sich sehr schnell sehr tief in die Sachverhalte einarbeiten und man muss in der Lage sein, sie verständlich darzustellen, das ist für die elektronischen Medien, Hörfunk wie Fernsehen, bei so komplexen Thematiken hoch schwierig.

    Erschwerend kommt hinzu, dass das Fernsehen von der Mehrzahl der Deutschen als Hauptinformationsquelle genannt wird. Und viele Journalisten versuchen erst gar nicht, zu verstehen, was sie ohnehin nicht vermitteln können. Das sagt auch Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur des Berliner Tagesspiegel.

    Ich kenne eine ganze Reihe von Journalisten, und da braucht man nicht nur ins Feuilleton zu gehen, wo man sagt, die sind eh den realen Problemen n bisschen abgewandter, die verstehen so’n Rentenproblem oder so ‘ne Gesundheitsreform erst, wenn die Zusammenfassung in der Bild-Zeitung steht, auf Seite zwei.

    Dennoch geben Journalisten zumindest auf Anfrage an, jeden Tag durchschnittlich zweieinhalb Stunden zu recherchieren. Das hat eine Studie ergeben, die im Kapitel "Recherchekultur im deutschen Journalismus” angeführt ist. Auffällig ist, dass der Begriff der Recherche von den Befragten Medienarbeitern gerne eher weit gefasst wird.

    Routinearbeiten wie der Besuch einer Pressekonferenz und jedes Einholen einer Zusatzinformation bei offizielle Stellen fallen unter den Terminus "Recherche”. Es erweist sich ein Bonmot als treffend, mit dem Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung – selbst einer der bekanntesten Rechercheure – darauf hingewiesen hat, dass viele unter Recherche bereits verstehen, "dass man ohne Hilfe der Sekretärin eine Telefonnummer finden kann.”

    Hans Leyendecker gehört zu den treibenden Kräften im Netzwerk Recherche. Er ist der einzige investigative Journalist, der einem begrenzten, interessierten Publikum in Deutschland bekannt ist. Prominente Rechercheure gibt es hierzulande nicht. Denn bei uns ernten Journalisten vor allem dann Ansehen, wenn sie im Feuilleton schreiben. Bekannt werden sie, wenn sie als Moderator die Wühlarbeit anderer präsentieren. Und wer gar reich werden will, hält sich am Besten an die unterhaltenden Sparten, Talkshows zum Beispiel: Alles eine Frage der Kultur.

    Während in den angelsächsischen Ländern ein Selbstbewusstsein der Presse als kontrollierende "vierte Gewalt” fest verankert ist, stößt ein solcher Anspruch in Deutschland selbst innerhalb des Berufsstandes auf zahlreichen Widerspruch. Das berufliche Ziel wird in Deutschland eher durch die Feuilletonisten und die Kommentatoren geprägt als durch die Rechercheure. Wer als Journalist intensiv nachforscht, sieht sich in der Bundesrepublik mitunter gar als "Schnüffler” diskreditiert.

    Auch hierfür wird eine Begründung geliefert. Die Meinungsfreiheit hat in Deutschland einfach einen schlechteren Start gehabt.

    Dass dies so ist, hat historisch gesehen damit zu tun, dass in Deutschland die Presseentwicklung lange durch das staatliche Anzeigenmonopol und andere Beschränkungen blockiert wurde, so dass sich eine unabhängige Massenpresse später entwickelte als in anderen Ländern.

    Verleger, Intendanten und Chefredakteure betonen heute in Sonntagsreden nur allzu gerne die heilsame Wirkung einer kritischen Presse für die Demokratie im Ganzen. Leider aber findet ihre Begeisterung für die Recherche ein jähes Ende, wenn die Reporter ihre Spesen abrechnen. Reisen und langwierige, scheinbar unproduktive Arbeitszeiten sind nicht der einzige unkalkulierbare Kostenfaktor. Giovanni di Lorenzo leitet die Redaktion des Tagesspiegel. Einer seiner Mitarbeiter, Ralf Schönball, ebenfalls ein Autor im Buch, hat einiges dazu beigetragen, den Berliner Bankenskandal aufzudecken.

    Viele der Geschichten von Schönball und anderen, die sich eben auf vermintem Gebiet bewegen, werden zunehmend auch behindert durch juristische Zudringlichkeiten. Es gibt inzwischen nahezu nichts, was nicht gegendarstellungsfähig ist. Das hat sich bei der Kundschaft herumgesprochen und die Zahl der Gegendarstellungen ist zumindest bei uns sprunghaft angestiegen. Dieser Kostenfaktor wird auf Verlagsseite heftig kritisiert.

    Mehr als 20 Rechercheberichte enthält das Buch, einige davon beschreiben, wie die bekanntesten politischen Skandale der vergangenen Jahre aufgedeckt wurden. Dabei belassen es die Autoren nicht dabei, sich selbst zu beweihräuchern oder sich für ihren Scharfsinn Eigenlob auszusprechen. Sie sparen auch nicht an Selbstkritik. So musste der Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Matthias Bartsch, nach Monaten der Recherche und nach vielen Artikeln feststellen, dass die hessische Schwarzgeldaffäre zwar in aller Munde war. Aber die wichtigsten Fragen, etwa wo das fragliche Geld eigentlich hergekommen war, waren nicht zu klären. Die es wussten, schwiegen, und niemand konnte sie zum Sprechen bringen. Und, vielleicht das schlimmste: Ein Ministerpräsident, der mehrfach der Lüge überführt worden war, war immer noch im Amt. Matthias Bartsch schreibt:

    Vermutlich bin ich damals in eine typische Falle für Rechercheure getappt, die sich lange mit einem Thema beschäftigen: Man läuft Gefahr, sehr stark in Details abzugleiten und die eigentliche News nicht mehr klar genug herauszustellen. Womöglich war das Publikum aber auch gar nicht mehr interessiert an weiteren Details.

    Und wenn die Leser das Interesse an der Story verloren haben, nützen die brisantesten Enthüllungen nichts mehr. Der Mentor der neuen Gründlichkeit im deutschen Journalismus, Hans Leyendecker, betont, dass die deutsche Pressegeschichte voll sei mit unfertigen Recherchen, mit zunächst eindeutig erscheinenden Skandalen, die aber vergessen worden seien bevor sie ganz aufgedeckt werden konnten. Weder die Spendenaffären der Parteien, noch die Bestechungsvorwürfe um Leuna und Elf-Acquitaine sind restlos aufgeklärt. Trotzdem oder gerade deshalb will Leyendecker ermutigen.

    Wir müssen versuchen, Leute zu begeistern für Recherche. Und Recherche funktioniert nur dann, wenn wir, und das is ne interessante Frage. Wie krieg ich’s hin, dass ich die harten Jungs von Panorama, die ohnehin stöhnen, weil sie hängen noch in diesem Projekt und noch in jenem Projekt, aber auch noch für die Tagesarbeit mit ranzuziehen, oder bilde ich mir Leute, die einfach n Faible haben, wie kann ich das intensivieren, wie kann ich Leute auch belohen dafür, dass er nicht nur den schönen Aufsager macht, sondern aber auch reingeht.

    Am Ende des Bandes wird es praktisch: Thilo Knopps zeigt "Wege im Heuhaufen" – und bringt Erkenntnisse darüber, wie man richtig im Internet recherchiert. Für viele Journalisten könnte dies ein erster Schritt sein.