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Thomas Mann schreibt Hermann Broch

Thomas Mann hat in seinem Leben etwa 30.000 Briefe geschrieben: eines der bedeutenden Briefwerke der deutschen Literatur. Trotzdem fällt auf, dass er – von der repräsentativen Debatte mit Bruder Heinrich Mann abgesehen – nur wenig Korrespondenz mit anderen hochrangigen Autoren führte. Einer davon war Hermann Broch.

Von Wolfgang Schneider | 10.08.2005
    Der jetzt erschienene Band "Freundschaft im Exil", der das Verhältnis beider Großschriftsteller dokumentiert, bietet mehr als die im Verlauf von zwei Jahrzehnten sporadisch gewechselten Briefe. Der Herausgeber Paul Michael Lützeler versammelt darüber hinaus alles, was die beiden je übereinander schriftlich äußerten. Lützelers gründlicher Kommentar und sein sehr gerecht austarierter Einführungsessay verschaffen den Texten die notwendige Einbettung in die Zusammenhänge.

    Es beginnt mit Brochs enthusiastischer Lektüre des "Tod in Venedig" – ein Initiationserlebnis, das noch bis in sein ambitioniertes Spätwerk "Der Tod des Vergil" deutliche Spuren hinterließ. Den Essay, den er 1913 über Thomas Manns Novelle schrieb, bezeichnete Broch später als seinen eigentlichen "Eintritt in die Literatur". Andere Werke Thomas Manns erschienen ihm allerdings bloß als "gediegene Unterhaltungslektüre". Wenn er 1931 die "fürchterliche Einrichtung der "gebildeten" Rede" in manchem deutschem Großroman beklagt, dann ist das unüberhörbar auch gegen den "Zauberberg" gesagt. Auch sein Lob der Mannschen Werke als "Schlussfeuerwerk der alten bürgerlichen Kunst" hat Widerhaken.
    Die Vorbehalte hinderten ihn jedoch nicht, Thomas Manns Fürsprache zu suchen. 1932 kam es während einer Mannschen Lesereise zu einer Begegnung in Wien. Seinem Freund Daniel Brody berichtet Broch:

    "Also vorgestern Thomas Mann im Arbeiterbildungsverein. Ich war sehr froh, dass ich ihn erwischt habe. Und habe ihm, wie sich’s Thomas Mann gegenüber geziemt, in artiger Form gedankt. Im übrigen verlief die ganze Angelegenheit in großer beidseitiger Steifheit, womit allerdings er angefangen hat. Er hat was gegen mich, aber da kann man nichts machen. Von diesem Intermezzo abgesehen war sein Vortrag wirklich voller Charme, von jener Grazie, die diesem Menschen durchaus eigentümlich ist, und ich war von der vorgelesenen Geschichte (Hochzeit Jaakobs aus dem Roman), von der protestantischen Würde, mit der hier orientalische Geilheit gemacht wird, restlos entzückt."

    Brochs Bemühung um den Berühmten blieb zunächst ohne Erfolg. Weder schrieb Mann eine Rezension der Anfang der Dreißiger Jahre erschienenen "Schlafwandler"-Trilogie, noch half der Nobelpreisträger - damals Jurymitglied beim New Yorker "Book of the Month-Club" -, die "Schlafwandler" auf dem amerikanischen Markt durchzusetzen. Noch als Broch zwei Jahre später einmal zu Besuch im Exilhaushalt der Manns ist, vermerkt Thomas Manns Tagebuch dazu knapp: "Zum Thee Ernst Broch" – da ist wohl etwas durcheinander geraten.

    Erst die gemeinsame Frontstellung zu Nazi-Deutschland intensiviert die Beziehungen. Thomas Mann setzt sich nun für Broch ein, ermöglicht ihm die Emigration. Dieses Engagement für Kollegen, das nicht nur zu schönen Worten, sondern meist auch zu Stipendien, Universitätsstellen, Einreisevisa führt, ist eine Seite Thomas Manns, die bis heute wenig gewürdigt wird. Während Mann freilich auch im Exil ein hartnäckiger Villenbewohner bleibt, muss Broch sich mit einem Zimmerchen begnügen, in dem kaum Platz für seine langen Beine ist. In den gemeinsamen Princetoner Jahren 1938-41 trifft man sich im Durchschnitt alle sechs Wochen. Später kommt es zu langen Briefen, es geht um literarische Projekte und politische Perspektiven, Memoranden und Appelle. Man versichert sich regelmäßig gegenseitiger Hochschätzung, nur gelegentlich wird der Ton auch mal locker, etwa wenn Thomas Mann 1941 zu Hitlers Übernahme des Oberkommandos des Heeres schreibt:

    "Amerika ist vorläufig in einer übleren und hilfloseren Lage, als irgendjemand erwartet hat, und vom pazifischen Kriegsschauplatz ist leider noch viel Kummer zu erwarten. Desto mehr Vergnügen macht uns unser Adolf, dessen Tagesbefehl bei Übernahme des Kommandos mit seinen 'inneren Stimmen’ (...) das Romantischste war, was es seit der Jungfrau von Orleans gegeben hat."

    Beide Autoren wurden von den Zeitumständen immer weiter aufs politische Feld gezogen. Während Thomas Mann tagesaktuelle Stellungnahmen schrieb, ging es Broch, der schon zehn Jahre vor Hannah Arendt mit dem Begriff des Totalitarismus operierte, um die Analyse von epochalen Entwicklungen, um Grundsatzfragen. Thomas Mann hatte dafür nicht immer die Geduld. Über Brochs Entwurf einer Völkerbund-Resolution notiert er: "Wohlgedacht, wohlgesinnt, aber dickflüssig, undurchsichtig..." Broch seinerseits störte sich am Nachwirken eines gewissen "Dichterfürstentums" bei Thomas Mann: "halb Führer der Nation, halb Gaukler für die Menge, immerzu aber bedeutend", spottete er.

    Gegenüber einer verächtlichen Kritik, die es sich mit Thomas Mann leicht machen möchte, bricht Broch aber immer wieder eine Lanze für den Autor des "Tod in Venedig". An Freund Brody schreibt er:

    "Bei all meinen Einwendungen gegen Thomas Mann und die Bürgerlichkeit seiner Produktion kann ich mich deiner Ablehnung nicht anschließen: er steht ja doch turm- und bergehoch über dem Literaturbetrieb und gar über dem der amerikanischen Unterhaltungsindustrie."

    Auch öffentlich äußert sich Broch meist huldigend. In seinem Aufsatz "Die mythische Erbschaft der Dichtung", 1945 erschienen in der "Neuen Rundschau" zum 70. Geburtstag Thomas Manns, stellt er den stets um seine "Modernität" besorgten Autor der Josephsromane gar an die Seite von James Joyce. Sichtlich geschmeichelt antwortet Mann:

    "Mit welchem wertvollen Beitrag Sie dieses erstaunliche Heft versehen haben... Ich habe mit Bewunderung Ihren Aufsatz gelesen, der meinem eigenen Gedankenleben so nahe steht und mich über so manches dunkel Empfundene aufklärt. Dass auf dem Gebiet des Romanes heute eigentlich nur noch in Betracht kommt, was kein Roman mehr ist, war längst auch meine Meinung gewesen, aber Sie haben diesen gefühlsmäßigen Eindruck aufs Schönste philosophisch begründet und gefestigt. Der Vergleich mit Joyce, den Sie nicht als erster anstellen, hat mich wiederum frappiert und auf eine gewisse schmeichelhafte Weise überzeugt. Was Sie meine größere Traditionsgebundenheit nennen, hat gewisse praktische Vorteile: Es erzeugt in diesem Fall, trotz 'Zersetzung’ der Romanform, öffentliche Zugänglichkeit und verleiht die demokratische Eigenschaft des Genussmittels, die das Werk Joyces nur für ein paar stolze Eingeweihte besitzt."

    Fast scheint es, als könnte nun doch von jener "Freundschaft" die Rede sein, die Paul-Michael Lützeler den Dokumenten manchmal etwas zu gewaltsam abliest. Als dann aber Adorno zu Besuch kommt und es an kritischen Worten über Broch nicht fehlen lässt, notiert Thomas Mann im Tagebuch: "Hat schon recht." Auch ein Totalverriss von Brochs Vergilroman durch Günther Anders hat ihm Spaß gemacht. Selbst hatte er bereits seinen bestenfalls zwiespältigen Eindruck von Brochs ambitioniertem Werk dem Tagebuch lakonisch anvertraut: "Subtile Tiefseelen-Dichtung, das Leben abstreifend". Thomas Mann war zu sehr im Realismus verwurzelt, als dass ihn eine Literatur, die "das Leben abstreift", hätte befriedigen können.

    1947 vermittelte Broch im Streit zwischen Exil und Innerer Emigration, der auch ein Streit um und mit Thomas Mann war. Der Autor Frank Thiess forderte Mann zur Rückkehr nach Deutschland auf, was bei diesem nur die alte Aversion gegen die Inneren Emigranten wachrief - "sitzen gebliebenen Esel und Ofenhocker des Unglücks", nannte er sie einmal. Da Thiess einer der wenigen Freunde Brochs gewesen war, die ihm, dem Juden, 1938 bei der Flucht aus Wien vor den Nazis geholfen hatten, verteidigte er ihn selbst auf die Gefahr einer Verstimmung gegenüber Thomas Mann, während er in Briefen an Thiess umgekehrt Mann in Schutz vor den Vorwürfen der Inneren Emigration nahm. Ein sehr nobler Zug; die Kontrahenten blieben indessen bei ihrer Feindseligkeit, und Broch wurde durch die leidige Angelegenheit um eine Akademie-Mitgliedschaft gebracht. - In den letzten Jahren beklagt er wieder wie anfangs die Unnahbarkeit Thomas Manns:

    "Ich habe weiter meine innerlichen Schwierigkeiten in der Korrespondenz und im Verkehr mit ihm: man muss es ihm leicht machen, leutselig zu sein, und obwohl er doch so gern möchte, geht es ihm eigentlich wider die Natur. Das ist kein Vorwurf gegen ihn, sondern bloß Konstatierung: der Zaubermantel der Ungemütlichkeit weht halt um ihn."

    Broch lebt und arbeitet zu dieser Zeit in Yale. Als Thomas Mann im August 1950 dorthin kommt, um eine Thomas-Mann-Ausstellung zu eröffnen, gibt Broch in einem Brief an seine Lebensgefährtin Annemarie Meier-Graefe davon eine wenig schmeichelhafte Schilderung, die zugleich Manns Haltung im beginnenden "Kalten Krieg" ironisiert:

    "Es gab ein recht gutes Garten-Lunch (...), und es wäre alles recht nett gewesen, wenn der Tommy nicht gegenüber den Reportern in der Library wieder einmal politischen Unsinn geredet hätte und, weil er von der Katia sehr unsanft darauf aufmerksam gemacht worden war, nicht so deprimiert gewesen wäre, dass man ihn hat trösten müssen. Glücklicherweise waren die Blätter so anständig, seine Formulierungen abzuschwächen; statt 'Russland hat nur friedliche Absichten’ druckten sie 'Die Russen sind ein friedliebendes Volk’ etc., und bald wird er glauben, dass er wirklich nichts anderes gesagt hat."
    Als ihm selbst einmal eine kleine Ehrung widerfuhr, stellte Broch nicht ohne berechtigten Neid fest: Sehe man, wie auf Thomas Mann "die Ehrendoktorate nur so geregnet haben, finde ich, dass man mir bloß ein Trinkgeld gibt". Insgeheim hoffte er seit Jahren auf den Nobelpreis. Im Frühjahr 1951 standen die Chancen gut – mit Thomas Mann als international gewichtigem Fürsprecher. Aber dann hieß der Nobelpreisträger jenes Herbstes doch Pär Fabian Lagerkvist. Der schon seit längerem über Erschöpfung klagende Broch war Ende Mai gestorben. Thomas Mann zeigte sich respektvoll erschüttert.

    Paul Michael Lützeler (Hg.): Freundschaft im Exil – Thomas Mann und Hermann Broch. Thomas-Mann-Studien Bd. 31, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. Main 2004, 245 S., geb., 39 Euro