Mittwoch, 24. April 2024

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Thomas Meyer fordert: "Trennt Euch!"
"Die meisten Paare passen nicht zusammen"

In "Trennt Euch!" hat sich Thomas Meyer intensiv mit dem Beenden von Liebesbeziehungen befasst. "Es macht mich betroffen, dass so viele Menschen so sehr leiden in ihren Beziehungen", sagte der Autor im Dlf. Das liege daran, dass in vielen Beziehungen die Partner nicht miteinander kompatibel seien.

Thomas Meyer im Gespräch mit Gisa Funck | 04.08.2017
    Auf einem Ortsausgangsschild wird das Ende der "Ortschaft" Freundschaft angezeigt und als nächster Ort "Trennung" angezeigt
    "Trennt Euch!" ist ein Plädoyer und eine Anleitung für das Beenden von Liebesbeziehungen (imago/imagebroker)
    Gisa Funck: Herr Meyer, seien Sie gegrüßt! Allein der Titel Ihres neuen Buches klingt wie eine Provokation. Der lautet nämlich "Trennt Euch!", mit Ausrufezeichen wohlgemerkt. Und mit dieser Aufforderung ist es Ihnen durchaus ernst. Denn Ihr Buch ist ein Plädoyer und eine Anleitung für das Beenden von Liebesbeziehungen. Was stört Sie denn so an den meisten Partnerschaften heute?
    Thomas Meyer: Es stört mich nicht unbedingt, es macht mich betroffen. Und zwar, dass so viele Menschen so sehr leiden in ihren Beziehungen. Und diesem Leiden immer wieder entschuldigend und rechtfertigend gegenübertreten. Und statt es zu beenden, es auch immer wieder relativeren und sich dabei – in meinem Empfinden – immer weiter von sich selbst wegbewegen. Das ist etwas, was mich betroffen macht. Und darum dieses Buch.
    Funck: Sie schreiben, vier von fünf Paaren seien heutzutage eigentlich unglücklich miteinander und sollten besser wieder auseinandergehen, anstatt sich als Paar weiter herumzuquälen. Worauf basiert diese erschreckende Zahl?
    Meyer: Das ist nicht wissenschaftlich, es ist noch nicht mal wirklich verifiziert. Sondern: Es bringt einfach in Zahlen zum Ausdruck, was ich subjektiv empfinde. Ich empfinde, dass die meisten Paare – vier von fünf, habe ich gesagt – nicht zusammenpassen. Darum geht's ja, um dieses "Passen", um dieses Sich-Verstehen. Ich finde, die meisten verstehen sich überhaupt nicht, sind sich überhaupt nicht ähnlich, sind nicht kompatibel. Und aus dieser Verschiedenheit, die nicht zu überwinden ist, entsteht ja dann dieser Machtkampf darum, wer nun der bessere Partner sei, wer recht habe, wer die bessere Vorstellung der Beziehung habe. Und daraus entsteht dann wiederum dieses Leiden.
    Funck: Apropos 'Zusammenpassen': Das ist ja eine wiederholte Kernaussage Ihres Essays: 'Es passt, oder es passt nicht. (...) Und wenn es nicht passt, wird es nie passen.' So schreiben Sie das. Was muss denn Ihrer Meinung nach alles passen für eine glückliche Partnerschaft?
    Meyer: Das ist richtig, ich wiederhole das immer wieder, weil ich tatsächlich finde, das ist tatsächlich der Kern der Thematik. Damit es passt, muss man sich ähnlich sein in zentralen Aspekten. Dazu gehört für mich in erster Linie die Weltsicht. Aber auch davon abgeleitet dann das Wertesystem. Und im Weiteren glaube ich, muss man auch ähnlich sein in Fragen der Intelligenz und der Sexualität und der Lebensumstände und nicht zuletzt, was das Beziehungsmotiv anbelangt. Was will ich eigentlich in einer Beziehung? Was ist mir wichtig? Was ist mir wichtig, mit einem Partner zu erleben? Was will ich nicht? In diesen Dingen glaube ich, nein – ich bin überzeugt davon, muss man sich wirklich ähnlich sein. Denn sonst diskutiert man ewig drum rum.
    Funck: Das wäre aber die Frage, die sich bei mir etwas provokativ anschließt: Also wenn mein Partner so durchgängig ähnlich handelt, ähnlich denkt, ähnlich redet und fühlt wie ich, also so ein bisschen mein charakterliches Spiegelbild darstellt: Ist das auf Dauer nicht doch auch ein bisschen langweilig und ein bisschen sehr bequem?
    Meyer: Natürlich, wenn Sie es jetzt so darstellen, dann passiert dann gar nichts mehr! Und dann entwickelt man sich auch nicht mehr miteinander – und das kann dann auch nicht die Idee sein! Ich rufe hier überhaupt nicht zu einer sterilen Begegnung auf, in der gar nichts mehr passiert. Überhaupt nicht. Ich denke aber, das ist eine Frage des Verhältnisses. Wenn Sie und ich gut miteinander auskommen, dann können wir auf eine Weltreise gehen, ein Jahr lang. Und auf dieser Weltreise werden wir ein, zwei, drei, vier schwierige Momente und Abende haben – und vielleicht sogar drei hintereinander und einander richtig doof finden – das ist unausweichlich in jeder menschlichen Beziehung.
    Aber der Rest der Reise wird uns erfreuen, weil wir stabil stehen miteinander, weil wir uns aufeinander verlassen können und weil wir uns verstehen! Und dann, wenn das unsere Grundlage ist, dann würde ich sagen: Frau Funck, lassen Sie uns auf eine Weltreise gehen! Wenn aber das Gegenteil der Fall ist und wir uns nicht verstehen, weil wir immer wieder unterschiedliche Dinge wollen, weil wir die Dinge unterschiedlich erleben und sehen, dann werden wir keine schöne Reise haben miteinander. Dann werden wir immer wieder den Wunsch verspüren, doch lieber alleine unterwegs zu sein. Und ich glaube, das ist eine gute Analogie für die Partnerschaft, diese Weltreise. Mit wem geht man auf die große Reise? Und da würde man sich idealerweise jemanden aussuchen, mit dem sich während dieser Reise gut versteht.
    Funck: Sie schreiben ja: Jeder Mensch habe nun mal sein Naturell, sein grundlegendes Wesen, und daran könne man eigentlich auch nichts ändern. "Wer seinen Partner verändern will, macht bloß zwei Menschen unglücklich", fassen Sie das einmal zusammen. Das klingt ja schon sehr fatalistisch, finde ich. Und das klingt ja auch ziemlich frustrierend für Paare, die sich jetzt zum Beispiel Hilfe beim Paartherapeuten suchen, oder ?!
    Meyer: Ja, hoffentlich klingt das frustrierend und entmutigend für die! ...
    Funck: Ehrlich?!
    Meyer: Ja unbedingt! Denn dieses Vorhaben, aus dem Partner jemanden zu machen, mit dem man besser auskommt, ist – ich würde mich sogar dazu versteigen, das als kriminell zu bezeichnen. Denn ich bin wirklich überzeugt, der Mensch, so wie er zur Welt kommt, so ist er nun mal. Das sehe ich an meinem Sohn sehr gut. Der ist zur Welt gekommen und der hatte schon diesen Charakter. Und das ist bei mir genauso – und wenn ich die Leute um mich herum beobachte, dann gibt’s eigentlich keine Überraschungen.
    Also, man bleibt sich selbst im Wesen sehr treu. Und in einer nicht-passenden Beziehung, also dem Versuch, zwei sehr unterschiedliche Charaktere zur Gleichheit zu erziehen, hat man ja immer wieder den Wunsch, aus dem Naturell des Partners, das einem eben nicht passt, ein Naturell zu machen, mit dem man besser auskommt. Das ist zwar nachvollziehbar, man möchte ja mit diesem Menschen zusammen sein, aber es ignoriert, dass dieser Mensch sich nicht verändern lässt. Und im Übrigen auch nicht verändern lassen will! Das ist ja auch gut, dass man sich da wehrt ...
    Funck: aber ...
    Meyer: ... und das abblockt!
    Funck: Aber wäre nicht eine Lösungsvariante, dass beide Partner zwar ein verschiedenes Naturell haben, aber dass man das akzeptiert in der Partnerschaft?! Dass man einfach sagt: "Gut, der ist eben kein Frühaufsteher!" Oder: "Der ist eben aufbrausend, oder der ist meinetwegen phlegmatisch, ich bin das nicht, aber ich lasse ihn jetzt einfach mal so?!"
    Meyer: Ja, das wäre durchaus eine Lösung, aber es ist keine realistische Lösung. Weil: So funktionieren wir fast nie. Sie haben jetzt mehrere Beispiel genannt. Das "Aufbrausende" zum Beispiel, also: Ich könnte jetzt damit nicht leben. Das Phlegmatische vielleicht schon eher. Ja, da könnte man sagen: "Ja gut, da bist du jetzt halt jemand, der faul herumliegt!" Damit könnte man sich vielleicht schon eher arrangieren. Aber der Punkt ist ja genau der: Kann ich mit diesem Menschen, so wie er ist, leben? Wenn er so bleibt! Wenn er genauso bleibt, wie er jetzt ist?! Wenn er sich keinen Millimeter bewegt? Ist das für mich akzeptabel – ja oder nein? Und wenn ich da zu einem "ja" komme, zu einem ehrlichen, herzlichen "Ja!", dann ist ja alles in Ordnung. Dann gibt‘s auch nichts zu diskutieren und nichts zu trennen. Aber in den meisten Fällen ist die ehrliche Antwort auf diese Frage "Nein". Die meistens sagen ja: "Ich hätte gern das und das und das anders!" Und dort finde ich muss man wirklich radikal ehrlich sein. Und die eigene Unfähigkeit akzeptieren, da was dran zu machen.
    Funck: Mmmhm. Ich könnte an dieser Stelle natürlich einwenden: "Da kommt eben auch das Argument "Liebe" ins Spiel. Und was dann allerdings wirklich harter Toback war beim Lesen Ihres Buches: Sie äußern ja mehrmals die These, dass Liebe gar kein Argument für eine Partnerschaft darstellt! Da Sie schreiben dann etwa: "Auch die größte Liebe allein genügt nicht als Grund, um mit jemandem zusammen zu sein." Ich muss sagen: Das klingt wirklich sehr ernüchternd und desillusionierend...
    Meyer: ...das tut mir sehr leid, Frau Funck!
    Funck: Spielen Liebesgefühle Ihrer Meinung nach für das Gelingen einer Partnerschaft also gar keine Rolle?!
    Meyer: Doch, tun sie. Ich sage auch nicht, dass das gar kein Argument sei. Oder dass es total irrelevant sei. Ich würde eher sagen: Es ist bloß die eine Hälfte. Natürlich entsteht jede Partnerschaft durch das, was man etwas vage "Liebe" nennt. Man könnte auch sagen "Anziehung." Oder Verbundenheit. Aber wenn Sie sich zu jemanden hingezogen fühlen, mit dem Sie nicht kompatibel sind, dann entsteht – ich sage jetzt mal – so etwas wie eine unheilige Allianz. Also eine Nähe, die eigentlich nicht sein dürfte, weil man sich eben nicht versteht.
    Und das ist kein Votum gegen die Liebe und auch kein Abwerten der Liebe, überhaupt nicht, sondern die Aussage lautet: "Liebe? Ja, schön und gut. Aber das ist nicht alles!" Die andere Hälfte des Erfolgs einer schönen Partnerschaft besteht in der Frage der Kompatibilität und des Wohlbefindens, nämlich: "Tut mir das gut, diesem Menschen nahe zu sein?" Ist das gut für mich? Bringt es mich weiter? Lässt es mich Ich selbst sein? Ist das produktiv und konstruktiv für mich, hier in dieser Nähe dieses Menschen mich aufzuhalten? Und das ist eine Frage, die sich absolut unabhängig von der Frage der Liebe abspielt. Man hat leider oder man hat zu häufig das Gefühl: Ich liebe diesen Menschen und das heißt, ich werde mit ihm eine schöne Partnerschaft führen können. Und das ist ein Irrglaube!
    Funck: Ich würde ganz gern nochmal nachhaken bei dem Aspekt "Wohlfühlfaktor". Weil den benennen Sie ja in Ihrem Buch als entscheidendes Kriterium dafür, ob es in einer Beziehung passt oder nicht. Also Sie sagen: Die Frage, ob das Ganze glückt, hängt ganz stark damit zusammen, ob der Partner / die Partnerin Ihnen "gesamthaft guttut." So drücken Sie das aus. Und Sie sagen zum Beispiel auch, beim Abschiedsgespräch – wenn es dann zur Trennung kommt – dann solle man gar nicht mehr lange reden, sondern dann würde als Antwort ausreichen: "Weil unsere Beziehung mir nicht guttut." Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich habe da schon ein bisschen geschluckt, weil damit erheben Sie ja Ihr persönliches Wohlbefinden zum entscheidenden Faktor für die Qualität einer Partnerschaft. Das klingt ja schon ziemlich hart und auch – Pardon! – ziemlich egoistisch, finden Sie nicht?!
    Meyer: Nein, finde ich nicht. Und wenn egoistisch, dann meiner Meinung nach in einem gesunden Verständnis dieses Wortes. Ich finde, es gibt eine gesunde Form von Egoismus, die man konstruktiv auch als Selbstliebe bezeichnen könnte. Denn es geht ja genau darum: Die Qualität einer Beziehung misst sich tatsächlich daran, wie ich mich in dieser Beziehung fühle. Und ich denke nicht, dass das egoistisch ist. Im Gegenteil. Ich finde, man nimmt sich sehr ernst dabei, wenn man sich fragt: Ist das, was ich da habe, ist das zu meinem Wohlbefinden? Und ich meine mit "Wohlbefinden" nicht: Ich lege mich Freitagabend in die Badewanne mit einem Glas Rotwein. Es geht mir hier nicht um Genuss und Vergnügen, sondern um gute Energie und um Selbstrespekt.
    Funck: Gut, aber was ist denn in Krisensituationen? Also was ist, wenn Ihre Partnerin zum Beispiel schwer krank wird, wenn ein Unfall passiert? Wenn sich die Lebensumstände dramatisch ändern? Also wenn man dann so einen Satz liest bei Ihnen wie Leidensfreiheit sei "ein moralisches Grundrecht für jeden einzelnen" und für jeden sei es wichtig, ein Leben in Freude und möglichst "frei von Schmerz" zu verbringen, dann klingt das für mich schon so, als ob die Gefahr besteht, dass Sie dann sagen: "Oh, jetzt wird’s mir zu kompliziert, jetzt wird’s mir zu schmerzhaft, jetzt wird’s mir zu anstrengend", "jetzt beende ich die Beziehung, denn: Ich möchte ja keinen Schmerz erleben!"?
    Meyer: Verstehe ich! Das hätte man durchaus ins Buch aufnehmen können. Denn ein solcher Fall, wie Sie ihn hier skizzieren, hebelt natürlich tatsächlich meine gesamte Argumentation aus. Also wenn Sie und ich eine schöne Beziehung führen und Sie haben einen schweren Unfall, dann wäre es tatsächlich egoistisch und zwar im schlechten Sinne von mir zu sagen: "Och, das ist jetzt aber sehr mühsam, jetzt habe ich keine Lust mehr!" Das wäre äußerst charakterlos und bloß, weil ich es nicht erwähne, heißt es ja nicht, dass ich es so sehe. Denn selbstverständlich: Eine gute, stabile, schöne Beziehung geht auch weiter, wenn der Partner verunfallt oder krank wird, das steht ja außer Frage.
    Funck: Was hat mir auch etwas gefehlt hat in Ihrem Buch, wenn ich das mal sagen darf, ist der Unterscheid zwischen Mann und Frau. Denn in der Soziologie wird ja gerade heiß debattiert darüber, dass Liebe und Partnerschaft heute oft unter Maßgaben einer Liebesökonomie funktionieren. Also dass unser ökonomisches, kapitalistisches Denken uns innerlich auch in unserem Gefühlsleben korrumpiert hat. Und die Soziologin Eva Illouz zum Beispiel, die sagt, dass eine Trennung für eine Frau darum viel nachteiligere Auswirkungen hat als für einen Mann. Weil es für eine Frau – ich sage mal: ab 30, ab 35 – viel schwieriger ist, alleine zu leben. Gesellschaftlich gesehen als für einen Mann. Das ist ein Aspekt, der kommt in Ihrem Buch gar nicht vor. Warum nicht?
    Meyer: Das stimmt, der kommt nicht vor. Und es ist auch richtig, dass eine Trennung für eine Frau, zumal für eine Mutter, anders ausfällt als für einen Mann. Es gab kürzlich im "Spiegel" einen interessanten Bericht darüber, dass trotz aller Emanzipationsbemühungen und –bestrebungen es immer noch so aussieht, dass die Mutter nach den Kindern schaut und der Vater das Geld heimbringt. Und wenn die Beziehung zerbricht, dass es häufig darauf hinausläuft, dass die Frau dann ohne irgendetwas dasteht. Das ist ein großes Problem. Aber ich habe mich in diesem Buch der Geschlechterfrage überhaupt nicht gewidmet, weil ich finde, das ist eine Diskussion, die nachher erst stattfindet.
    Und ich glaube auch, dass die sozialen und finanziellen Folgen einer Trennung natürlich nicht zu ignorieren sind, aber diese Überlegungen halten einen vielleicht davon ab, etwas zu tun, was trotz allem richtig ist für einen. Ich habe gerade kürzlich eine Sendung gesehen über die Ultra-Orthodoxen in Israel, und da hat eine Frau ihre Gemeinde verlassen, weil sie ein Leben führte, was nicht im Einklang mit ihrer Seele und ihrem Wohlbefinden war, mit ihrem seelischen Wohlbefinden. Und das hat dazu geführt, dass diese Frau ihre Kinder nicht mehr sehen darf. Aber sie sagte ganz klar: Ich lache wieder, ich bin wieder ich selbst. Ich fühle mich gut.
    Natürlich hatte ich jetzt diese tiefe Traurigkeit in mir, weil meine Familie weg ist. Aber das Leben vorher war nicht richtig für mich. Und ich glaube, dass das auch für Ihre Frage gilt. Was auch immer an Konsequenzen auf mich zukommt, ob Mann oder Frau, ich glaube, negative Konsequenzen dürfen einen nicht davon abhalten, ehrlich zu sein und die nötigen Konsequenzen zu ergreifen, damit man diesen Leidensdruck endlich loswird, diesen unerträglichen Druck eines Lebens, das nicht im Einklang mit sich selbst steht.
    Funck: Wir müssen ganz schnell noch ein Lieblingsargument gegen eine Trennung von Paaren zu sprechen kommt. Nämlich die Sorge um gemeinsame Kinder. Denn so heißt es ja oft, Kindern könne man das Trauma einer Elterntrennung nicht zumuten. Doch dieses Argument gegen eine Trennung lassen Sie in Ihrem Trennungsratgeber auch nicht gelten. Warum nicht?
    Meyer: Natürlich nicht, natürlich lasse ich das auch nicht gelten! Denn erstens wird hier oft ignoriert, was ein elterliches Dauer-Zerwürfnis aus dem Nicht-Passen heraus für die Kinder bedeutet. Man lebt im Glauben, dass dieses ständige Streiten, diese Vorwürfe, die schlechte Stimmung, die Traurigkeit, dass das irgendwie an den Kindern vorbeigeht oder bei denen quasi nur einen minimalen Schaden anrichtet, weil die ja so klein sind. Aber das Gegenteil ist der Fall! Kinder sind erstens äußerst sensibel, die nehmen alles voll wahr und auf. Und zweitens sind sie total hilflos. Die können nichts dagegen machen. Und man vermittelt denen, wenn man trotz Streit zusammenbleibt, ganz schreckliche Lektionen über Themen wie Kommunikation, Beziehung, Glück, Männerbild, Frauenbild. Aber das wird alles komplett ignoriert.
    Also, die Frage, was man den Kindern eigentlich antut, wenn man zusammenbleibt unter diesen schlechten Vorzeichen. Und zweitens glaube ich, wenn man sich nicht trennen will, weil man findet, das ist so schrecklich, das können wir den Kindern nicht antun, dann ist für mich eine Ausrede. Denn in Wahrheit will man sich das selbst nicht antun. In Wahrheit findet man nur selbst die Trennung schrecklich, das hat mit den Kindern gar nichts zu tun! Im Gegenteil.
    Wenn man das möglichst sachlich und vernünftig – ich sage absichtlich: möglichst, weil das ja nicht immer geht oder nicht immer gleich gut – wenn man das fair und anständig und respektvoll und konstruktiv angeht, dann wird das für die Kinder kein Zuckerschlecken sin, aber sie werden es mitmachen können. Wenn man aber selbst in sich das Bild der Katastrophe trägt, die diese Trennung auslösen wird, dann ist das natürlich auch für die Kinder so. Die nehmen das, was man ihnen serviert, sie haben ja nichts anderes. Und wenn ich eine Trennung schrecklich gestalte und mich quasi am Ex-Partner räche, dann bekommen sie schon die nächste negative Lektion. Da muss man sich wirklich fragen: Was ist hier für die Kinder wirklich am besten?
    Funck: Mmmh, ich habe gelesen, Sie selbst haben sich von der Mutter Ihres Sohnes getrennt, als Ihr Sohn vier Monate alt war. Wie schwer ist Ihnen denn dieser Schritt gefallen und haben Sie den wirklich nie bereut?
    Meyer: Dieser Schritt ist mir selbstverständlich sehr schwer gefallen. Das möchte ich durchaus betonen, dass dieses Buch auf einer Retrospektive basiert. Auf all' meinen schmerzhaften Erfahrungen, die ich gemacht habe. Und wenn das Buch jetzt etwas abgeklärt daherkommt, dann ist das, weil ich es mir mittlerweile erlauben kann und weil ich so viel erlebt habe, so dass ich inzwischen eine nüchterne Haltung dazu einnehmen kann. Damals ist mir das ungeheuer schwer gefallen, mich zu trennen.
    Erstens, weil ich diese Frau ja geliebt habe und weil ich gern mit ihr eine Familie gewesen wäre. Also, es gab auch ganz viele Argumente, die dafür sprachen, das weiterzuführen. Aber es gab eben auch eine Reihe von Argumenten, die dagegensprachen. Es ging mir einfach nicht mehr gut in dieser Beziehung. Und meiner Partnerin ging es übrigens auch nicht gut. So ist es dann nämlich: Es geht immer beiden nicht gut. Und das hat mich dann dazu bewogen zu gehen, selbstverständlich auch gegen eigene große Widerstände. Das war ein Riesendilemma und bestimmt nichts, was ich mal eben so zwischen Abendessen und Zähneputzen erledigt habe.
    Das war alles sehr traurig und äußerst unangenehm. Natürlich: Eine Trennung ist nie schön. Das kann man nicht von der Hand weisen. Und das mache ich auch gar nicht in meinem Buch. Ich sage keineswegs, das sei eine leichte, lustige Angelegenheit, die einen überhaupt nicht zu kümmern braucht. Nein, das ist ein Riesending, ein Riesenschritt, der in den meisten Fällen gegen die Stimme des Herzens vorgenommen werden muss. Eine rabiate Aktion des Willens.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Thomas Meyer: "Trennt Euch!"
    Salis Verlag, 120 Seiten, 18 Euro

    Anm. d. Red.: In der Abschrift wurden nach der Erstveröffentlichung noch einzelne Transkriptionsfehler korrigiert.