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Thomas Müntzer und seine radikale Reformation
Die Gewalt dem "gemeinen Volk" geben

Zunächst waren Martin Luther und Thomas Müntzer sich nahe. Dann kam es zum Bruch. Müntzer und Luther bezeichnen sich derweil wechselseitig als "Eselsfleisch" und "Erzteufel". Letztlich geht es darum: Soll die Reformation mit den politisch Mächtigen durchgesetzt werden - oder auch gegen sie? Müntzer zettelt ein Aufstand der Bauern in Mühlhausen an. Der eskaliert.

Von Christian Pietscher | 04.10.2016
    Eberhard Linkes Terrakotta-Plastik «Luthers Erinnerung an Müntzer», aufgenommen am 22.05.2013 in der Marienkirche in Mühlhausen (Thüringen).
    Luther nannte Müntzer unter anderem den "Satan von Allstedt" (dpa/ Mühlhäuser Museen)
    Thomas Müntzer verliert 1524 seinen Rückhalt. Im kursächsischen Allstedt hatte er den Fürsten ihr Christsein abgesprochen. Der aufmüpfige Prediger verlässt Allstedt und sucht in der freien Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen einen neuen Wirkungskreis. Ein "anderes Regiment" – das ist sein Ziel. Er gründet den "Ewigen Bund Gottes". Der Historiker Günter Vogler beschreibt, wer dazu gehörte.
    "Hauptsächlich handelte es sich um Zunfthandwerker, darunter mehrere Fleischer, Gerber, Leineweber, Sattler, Schmiede und Schneider. Ein großer Teil war allerdings besitzlos und gehörte den unteren Vermögensgruppen an."
    Müntzer wird ausgewiesen
    Doch auch in Mühlhausen kann sich Müntzer zunächst nicht durchsetzen. Der fürstliche Druck von außen und der Widerstand vieler Bürger der Stadt sind zu groß. Mit einem seiner Mitstreiter wird er ausgewiesen. Nach der turbulenten Zeit in Allstedt und Mühlhausen kommt Thomas Müntzer endlich dazu, sich gegen die Angriffe seines Erzrivalen, Martin Luther, zu verteidigen. In Nürnberg erscheint im Dezember 1524 eine Schrift mit dem Titel:
    "Hoch verursachte Schutzrede und Antwort wider das geistlose sanft lebende Fleisch zu Wittenberg, welches mit verkehrter Weise durch den Diebstahl der heiligen Schrift die erbärmliche Christenheit also ganz jämmerlich besudelt hat."
    Unter Anspielung auf die alttestamentlichen Propheten Jeremia und Hesekiel attackiert er darin Luther ganz persönlich:
    "Schlafe sanft, liebes Fleisch! Ich röche dich lieber gebraten in deinem Trotz durch Gottes Grimm in der Röhre oder Topf beim Feuer. Denn in deinem eigenen Südlein gekocht sollte dich der Teufel fressen. Du bist ein Eselsfleisch, du würdest langsam gar und ein zähes Gericht werden deinen Milchmäulern."
    Das Leid der Kleinbauern
    Im Winter 1524/25 unternimmt Thomas Müntzer eine Reise nach Basel und Südwestdeutschland. Dort erlebt er erstmals mit, wie sich Bauern gegen die Obrigkeit auflehnen. Die deutschen Bauern gehörten zu den großen Verlierern im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, schreibt der Luther-Biograph und Historiker Heinz Schilling.
    "Je höheren Erlös die Agrarprodukte versprachen, desto stärker legten die Grund- und Leibherren ihren Bauern die Daumenschrauben an und verlangten immer höhere Abgaben."
    Besonders Kleinbauern hatten darunter zu leiden, weil sie den Druck nicht durch Größe kompensieren konnten. Mit dem Hinweis auf Gottes Recht, das höher als Fürstenrecht ist, wollten die Bauern keine ungerechtfertigten Abgaben mehr leisten. Der Ruf nach mehr Eigenständigkeit wurde laut. Und zu den Waffen zu greifen, lag da nicht mehr fern.
    Unter der Regenbogen-Fahne
    Im Februar 1525 kehrt Thomas Müntzer zurück nach Mühlhausen und zettelt einen Aufstand an. Mit seinen Anhängern setzt er an die Stelle des Honoratiorenrats den "Ewigen Rat" ein, der die Regierungsgeschäfte der Stadt übernimmt.
    Mühlhausen (Thüringen): In der Kornmarktkirche in Mühlhausen betrachtet eine Besucherin am 16.03.2003 die Ausstellungsstücke des Bauernkriegsmuseums
    Das Bauernkriegsmuseum in Mühhausen erinnert an die Aufstände, die Thomas Müntzer angezettelt hatte. (Zentralbild)
    Unter einer Fahne mit einem Regenbogen - in Erinnerung an Gottes Bund mit Noah - sollen sich alle Auserwählten sammeln und in Erwartung des endzeitlichen Gerichts in die letzte Schlacht ziehen. Nach diesem Freiheitskampf werde dann – so Müntzers Vision, die Gewalt dem "gemeinen Volk" gegeben.
    "Dran, dran, solange das Feuer heiß ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden, erlahmt nicht! Schmiedet pinkepanke auf den Ambossen Nimrods, werfet ihnen den Turm zu Boden!"
    Müntzer spielt an auf den Turm zu Babel, das Symbol der gottlosen Überheblichkeit der Tyrannen.
    "Dran, dran, solange ihr Tag habt; Gott geht euch voran, folget, folget!"
    Die Aufständischen - unter ihnen Handwerker, Bergknappen und Bauern - zerstören Schlösser und Klöster, vertreiben Nonnen und Mönche, töten Adlige und wollen die neue Ordnung Gottes aufrichten. Der Historiker Günter Vogler zählt auf, was sie in Frankenhausen im April 1525 vom Rat der Stadt fordern.
    "Die Wahl des Rats durch die Gemeinde, die unverfälschte Predigt des Evangeliums, die Pfarrerwahl und die Einziehung des Kirchenguts. Steuern sollten nach altem Herkommen entrichtet, aber nicht erhöht, andere Abgaben abgeschafft werden, und jedem erlaubt sein, Wiesen, Gewässer, Wälder und Wildbahn zu nutzen."
    Zu viel Blut geflossen
    Martin Luther nimmt in der Auseinandersetzung mit den Bauern zunächst eine vermittelnde Rolle ein. In seiner Flugschrift "Ermahnung zum Frieden" redet er noch beiden Konfliktparteien ins Gewissen: den Bauern und den Fürsten. Doch sein Vermittlungsversuch kommt zu spät. Längst hatten beide Seiten Blut vergossen.
    Zwei Wochen später revidiert Luther seine Meinung und verfasst den Aufruf "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern". Über Thomas Müntzer und seine Anhänger fällt er ein vernichtendes Urteil.
    "Sie treiben eitel Teufelswerk, und in Sonderheit ist´s der Erzteufel, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet."
    Der "Sieg Christi" über diese "Mächte der Finsternis" besteht für Luther nun darin, dass die Fürsten ihrer christlichen Pflicht als Obrigkeit nachkommen und mit allen Mitteln für Ruhe und Ordnung sorgen.
    "Drum, liebe Herren, löset, rettet, helft, erbarmet euch der armen Leute; steche, schlage, würge hier, wer da kann! Bleibst du darüber tot, wohl dir, einen seligeren Tod kannst du nimmermehr erlangen. Denn du stirbst im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort und Befehl."
    Die entscheidende Schlacht
    Luthers harte Worte erreichen die Fürsten zwar nicht mehr vor der entscheidenden Schlacht. Aber die fürstlichen Truppen handeln bereits in seinem Sinne. Und sie sind dem thüringischen Bauernhaufen militärisch weit überlegen.
    Am Ende liegen etwa 5.000 Aufständische tot auf dem Schlachtfeld bei Frankenhausen und in den Straßen der Stadt. Das Fürstenheer hat erbarmungslos zugeschlagen und beklagt gerade einmal sechs Tote. 50 "Aufrührer" werden anschließend hingerichtet, viele andere samt ihren Familien aus der Stadt vertrieben.
    Gedenktafel für den Denker, Prediger und Revolutionär Thomas Müntzer in Bad Frankenhausen
    Gedenktafel für den Denker, Prediger und Revolutionär Thomas Müntzer in Bad Frankenhausen (picture-alliance / ZB / Heinz Hirndorf)
    Müntzer selbst wird gefangen genommen und schreibt zwei Tage später aus dem Kerker an den Stadtrat und an seine Gemeinde in Mühlhausen:
    "Die Schlappe von Frankenhausen ist ohne Zweifel daraus entstanden, dass ein jeder seinen Eigennutz mehr gesucht hat als die Rechtfertigung der Christenheit."
    Müntzers Reaktion auf die Niederlage interpretiert Heinz Schilling so:
    "Das war kein Zynismus, sondern Ausdruck der Tatsache, dass auch Thomas Müntzer nicht die revolutionäre Umgestaltung der Welt zugunsten eines besseren irdischen Lebens der Armen im Auge hatte. Nicht anders als sein Wittenberger Widerpart hatte auch er letztlich ein heilsgeschichtliches Ziel verfolgt, nämlich die 'Rechtfertigung der Christenheit' im Ringen mit dem Antichrist."
    Müntzers Abschiedsbrief
    Auch Folter und Haft können Thomas Müntzer am Ende nicht einschüchtern. "Heil und Seligkeit" empfängt er jetzt, als er "Angst, Tod und Hölle" erleidet. In dem Abschiedsbrief an seine Anhänger in Mülhausen zeigt er sich zufrieden, ...
    "... nachdem es Gott also wohlgefällt, dass ich von hinnen scheiden werde in wahrhaftiger Erkenntnis des göttlichen Namens."
    Thomas Müntzer wird am 27. Mai 1525 öffentlich enthauptet und sein Leib zur Abschreckung auf einen Pfahl gespießt. Den Kampf um die Leitungsfunktion in der reformatorischen Bewegung hat Thomas Müntzer verloren. Es war einfach kein Platz für zwei Führungspersönlichkeiten, von denen sich jeder als einziger Bote und Prophet Gottes verstand.
    Jahrhunderte lang wurde Thomas Müntzer als wilder Rebell verteufelt und sein Erbe verfälscht - eine Rezeption, die Martin Luther selbst angestoßen hatte, als er Müntzer den "Satan von Allstedt" oder den "leibhaftigen Teufel" nannte. Aber auch diejenigen, die Müntzer später gewürdigt haben - wie Heinrich Heine, Friedrich Engels oder Ernst Bloch, sind seinem Erbe kaum gerecht geworden. Wenn die DDR Thomas Müntzer als Sozialrevolutionär und als ihren Nationalhelden feierte, hatte das mit historischen Fakten wenig zu tun.
    Mitglieder des DDR-Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend (FDJ) während einer Zeremonie im Ferienlager "Thomas Müntzer" am Kyffhäuser in Thüringen. Im Hintergrund ein großes Porträt des evangelischen Theologen und Reformators Thomas Müntzer
    Thomas Müntzer als Ikone der DDR Jugend (dpa / gerig)
    Müntzers Ziel war nicht der Umsturz politischer Verhältnisse oder die Solidarisierung mit den unteren Schichten. Der Berliner Kirchenhistoriker und Müntzer-Biograph Siegfried Bräuer:
    "Müntzer ging es um mehr. Es ging ihm um eine neue Welt, eine neue Welt Gottes. Wo die Gottesfurcht, das erste Gebot, an erster Stelle steht. Und da erkennen wir auch, wo wir Impulse von Müntzer aufnehmen können. Diese Apokalyptik, dieses Endzeitbewusstsein, macht ihn auch frei gegenüber allen Strukturen, gegenüber allen eingesetzten Regierungen und Instanzen und so weiter."
    So sperrig seine Theologie heutzutage auch wirken mag, Thomas Müntzer war eine der großen Leitfiguren der reformatorischen Bewegung. Und obwohl er den Kampf um den neuen evangelischen Glauben in Deutschland verloren hat, sah er sich nicht als Verlierer.