Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Thomas Piketty
Mehr Europa, weniger Markt

Thomas Piketty ist der neue Popstar der Ökonomie. Jetzt erscheint sein neues Buch "Die Schlacht um den Euro" - und es dürfte wieder für Debatten sorgen.

Von Thomas Fromm | 09.03.2015
    Der Weg des Geldes ist manchmal verworren und kompliziert, aber es ist nicht so, dass man ihn nicht kennen würde. Schon 2010 gab die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde ihren Kollegen in Athen eine Liste mit den Namen von 2.000 Griechen – sie alle sollen Kunden der Schweizer Tochter einer britischen Großbank gewesen sein. Aber in Athen passierte erst einmal nichts. Ein paar Jahre später dann erfährt die europäische Öffentlichkeit von belastenden Dokumenten, die nahelegen, wie in Bankhinterzimmern offenbar in großem Stil jahrelang Geschäfte mit Steuerhinterziehern, Blutdiamantenhändlern und anderen dubiosen Anlegern gemacht wurden.
    Natürlich lässt sich diese Nachricht nicht trennen von einer anderen aktuellen Geschichte dieser Tage: dass Griechenland neue Milliardenhilfen braucht, um nicht zu kollabieren. Hier ein Land, das am Boden liegt, da sehr viele, sehr reiche Bürger, die mit ihren Millionen und Milliarden längst woanders sind. Der Weg des Geldes, er ist nicht nur kompliziert. Er ist oft auch voller Widersprüche.
    Spätestens seit seinem Bestseller "Das Kapital im 21. Jahrhundert" ist Thomas Piketty Fachmann für die Frage, warum einige mehr Geld haben und andere weniger. Seine Kernbotschaft, wonach Kapitalrenditen im historischen Rückblick weit über den Wachstumsraten liegen, lässt sich, verkürzt gesagt, auf eine einfache Formel bringen: Wer reich ist und Vermögen hat, wird immer reicher. Alle anderen müssen kräftig strampeln. Diesmal spannt der Franzose den ganz großen Bogen: Was in kapitalistischen Gesellschaften schiefläuft, lässt sich auch auf die Finanz- und Euro-Krise übertragen. Deshalb ist "Die Schlacht um den Euro" so etwas wie eine Art Fortsetzung des berühmten Vorgängers.
    "Heute helfen die Regierungen den Banken und großen Unternehmen wieder auf die Beine. Dadurch lässt sich die Depression verhindern. Da die geretteten Unternehmen aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden, leistet dieser Anfall staatlicher Großzügigkeit häufig einer Umverteilung von unten nach oben Vorschub."
    So Piketty unter der Überschrift "Wer wird von der Krise profitieren?" im Dezember 2009. Die dem Buch zugrunde liegenden Texte sind Aufsätze und Analysen - der Autor nennt sie Interventionen - die in den vergangenen Jahren in der linken Pariser Zeitung "Liberation" erschienen. Zu einem Buch verdichtet werden sie nun zu einer anschaulichen Chronologie der Ereignisse, einer Dokumentation der großen Fehler und Irrtümer der vergangenen sieben Jahre. Piketty nennt die Finanzkrise die "erste Krise des globalisierten Patrimonialkapitalismus des 21. Jahrhunderts". Und Patrimonialkapitalismus, das ist für ihn jene Spielart des Kapitalismus, die auf Vermögen und dem Vererben von Vermögen basiert. Ein System, das sich seine Regeln selbst macht: Ende der 70er-Jahre wurden Märkte dereguliert, das Geld sollte frei fließen und die Regierungen sich aus allem raushalten. Als dann die großen Privatbanken fielen und die großen Aktionäre schwitzten, musste der Staat ran, also die Steuerzahler. Manchmal ist er auch paradox, der Weg des Geldes.
    Pikettys Rezept: mehr Europa und weniger Markt
    Im Dezember 2010 schreibt Piketty einen Aufsatz mit dem Titel: "Der Skandal der irischen Bankenrettung": "Es ist ungeheuerlich, dass die Europäische Union heute etwa 90 Milliarden Euro zur Rettung der irischen Staatsfinanzen bereitstellt, ohne zuvor eine Anhebung der Körperschaftssteuer zu fordern, die in Irland derzeit bei 12,5 Prozent liegt, aber mindestens bei 25 - 30 Prozent liegen sollte. (...) Vor allem, weil Wachstumsstrategien, die auf Steuerdumping beruhen, zum Scheitern verurteilt sind – und für Nachbarländer so schädlich sind wie für jene, die auf diese Strategien setzen."
    Europa fünf Jahre später, das sind: Steueroasen, Luxemburg Leaks, Swiss Leaks, die Jachten der Milliardäre im Mittelmeer. Ein gespaltener Kontinent, eine Währung auf der Kippe. Und eine Europäische Zentralbank, die 60 Milliarden Euro monatlich in die Märkte pumpen will.
    Es ist Krise, könnte man meinen. Doch es gibt noch eine andere Seite. Der Dax auf einem Allzeithoch bei über 11.000 Punkten. Profianleger, Börsenspekulanten, Manager, die Teile ihres Gehalts in Aktienoptionen ausgezahlt bekommen, große Immobilienkonzerne - sie alle spüren nur wenig von der EZB-Politik. Die Schlacht um den Euro, sie wird eben nicht zwischen Nord und Süd ausgetragen, nicht zwischen Brüssel, Frankfurt, Berlin und Athen, nicht zwischen armen und reichen Ländern. Nach Piketty verläuft die Front zwischen den schwächeren Mitgliedsländern und denen, die am Markt gegen sie spekulieren. Sparprogramme und Austeritätspolitik sind da nur wenig zielführend. Deshalb will Piketty einen radikalen Neuanfang in Europa:
    "Der Grundirrtum lag darin, sich einzubilden, man könne eine Währung ohne Staat, eine Zentralbank ohne Regierung und eine gemeinsame Geldpolitik ohne gemeinsame Haushaltspolitik haben. Eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Schuld kann nicht funktionieren. In ruhigen Zeiten mag dies gerade noch gut gehen, aber in Krisenzeiten kann es direkt in die Katastrophe führen."
    Das Rezept des Autors gegen die Eurokrise sieht also so aus: Haushalts- und Fiskalunion, Schulden- und Schicksalsgemeinschaft - mehr Europa und weniger Markt, mehr Steuergerechtigkeit und weniger Steuerschlupflöcher.
    Am 2. Januar dieses Jahres fragt der Autor: "Was muss noch passieren, damit sich Europa bewegt?" Es ist der letzte, der aktuellste Aufsatz des Buches. Und es geht hierbei unter anderem um den EU-Kommissionspräsidenten:
    "Der Preis für den größten Zynismus geht zweifellos an Jean-Claude Juncker, der nach den Enthüllungen von LuxLeaks den fassungslosen Europäern in aller Seelenruhe erklärt, er habe seinerzeit als Premier Luxemburgs gar keine andere Wahl gehabt, als den Nachbarn ihr Steueraufkommen abzugraben. Schauen Sie, die Industrie meines Landes lag darnieder, also musste eine neue Entwicklungsstrategie her. Was konnte ich anderes tun, als Luxemburg zur übelsten Steueroase auf Erden zu machen?"
    Das ist Pikettys stärkste These zur Euro-Krise, und sie wird in der Öffentlichkeit diskutiert werden: Denn solange Europapolitiker selbst wie Spekulanten am Markt auftreten, kann man noch so viele Milliarden in den Markt pumpen und noch so viele Hilfspakete schnüren. Das Geld landet am Ende immer da, wo es für denjenigen, der es bewegt, am Lukrativsten ist. Retten lässt sich Europa so nicht.
    Buchinfos:
    Thomas Piketty: "Die Schlacht um den Euro. Interventionen", Übersetzung: Stefan Lorenzer, C.H. Beck Verlag, 175 Seiten, Preis: 14,95 Euro, ISBN: 978-3-406-67527-0