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Thriller über Schein und Wirklichkeit

Seitdem der Schweizer Martin Suter Bücher schreibt, schafft er es etwa alle zwei Jahre auf die Bestsellerlisten. Sein jüngster Roman "Der Teufel von Mailand" ist ein atmosphärischer Psycho-Thriller, in dem die Heldin völlig verunsichert über Schein und Wirklichkeit ist. Dabei nähert sich Suter an die alten Sagen und Mythen an und schreibt gleichzeitig einen Heimatroman.

Von Patrick van Odijk | 08.08.2006
    Es roch nicht mehr schieferblau, und auch die Stimmen konnte sie
    nicht mehr sehen. Die Türklinke fühlte sich kühl an. Nicht weiter. Nicht zartbitter oder
    süßsauer, einfach kühl.


    "Mir geht es in dem Roman vor allem um die Verunsicherung. Ich möchte dass man beim Lesen sich immer weniger auf irgendwas verlassen kann. Dass man fragt, natürlich auch meiner Heldin geht das so. in welcher Wirklichkeit lebe ich, gibt es das was ich sehe oder ist das alles nur in meinem kopf."

    Sie betrat ein verdunkeltes Zimmer und hörte tiefe, regelmäßige
    Atemzüge. Hörte. Nicht hörte und sah. Immerhin.


    Sonia sieht Töne, riecht Farben, spürt Gerüche. Synästhesie nennt man diese seltene Fähigkeit. Bergamotte zum Beispiel, fühlt sich für Sonia an, wie die Chromstahlverzierung bei einem Amischlitten. Die Ex-Bankiersgattin führte nach ihrer Scheidung ein Leben als Partygirl. Ein LSD Trip beschert ihr nun unkontrollierbare Halluzinationen. Und ihr früherer Ehemann, gutsituiert und gewalttätig, bedroht sie.

    Immer wieder die drei Worte. Drei scharf geschliffene, stahlglänzende
    Dreiecke.
    MANN: ICH. KILL. DICH.

    Sonia beschließt ihr Leben radikal zu ändern und flieht mit ihrem Wellensittich Pavarotti aus der Stadt in das Engadiner Dorf Val Grisch. Dort beginnt sie als Physiotherapeuten in einem neu eröffneten Wellnesshotel. Aber nicht nur das Wetter ist unfreundlich, auch die Einheimischen wollen das Schicki-Micki-Hotel nicht. In Val Grisch ist man bodenständig und nicht Jet-Set-mäßig überdreht wie im benachbarten St. Moritz. Und plötzlich geschehen eigenartige Dinge und das vermeintlich ruhige Versteck verwandelt sich in ein ungastliches Spukhaus in dem Wellensittiche ertränkt werden , die Turmuhr zur Unzeit schlägt, ein Hund entführt wird und ein Kreuz Kopf steht. Zusammen mit einigen skurillen Dorfgestalten, dem Engadiner Dauerregen und Sonias Halluzinationen konstruiert Martin Suter einen atmosphärischen Psycho-Thriller , in dem nicht nur seine Heldin Sonia verunsichert ist über Schein und Wirklichkeit.
    "In diesem Roman ist nichts so wie es ist und alles so wie es ist und das gleichzeitig. "
    Mit Hilfe einer alten Sage beginnt Sonia die rätselhaften Vorgänge zu deuten. Offenbar treibt der Teufel sein Unwesen in Dorf und Hotel. Möglicherweise hat er die Seele der schönen Hotelbesitzerin gekauft. Woher hat die undurchsichtige Frau das viele Geld. Martin Suter spielt mit dem alten Sagenstoff. Natürlich denken wir an den Faust und an die schwarze Spinne, jene Novelle mit der im 19 Jahrhundert der Schweizer Pfarrer Jeremias Gotthelf seinen Lesern die Gottesfurcht beibringen wollte. Aber trotz aller Skurrilität und Anlehnung an die alten Sagen und Mythen: Martin Suter hat natürlich einen modernen Heimatroman geschrieben.

    "Ja das sollte es auch sein. Alle meine Romane sind Homages an ein Genre das ich gerne hab. Da ist mein erster Roman, small world ist ein Zeitreiseroman, die dunkle Seite des Mondes ist eine Art Robinson–Ritterroman, ein perfekter freund ist meine art von Detektivgeschichte, Lila, lila ist meine Hochstaplergeschichte, und das ist jetzt meine Heimatroman oder meine Sage. "

    Und es ist ein Schauerroman fügt er noch hinzu und dazu habe ihn ETA Hoffmann inspiriert. Und dann gibt es da noch Albert Hofmann, der Erfinder des LSD. Die Geschichte von Wahrnehmung und Wirklichkeit wurde für Suter zu einem wichtigen Thema nach einer Begegnung mit dem 100 Jahre alten Chemiker.

    "Der mir wieder in Erinnerung gerufen hat, dass das was wir hier sehen, also wenn wir beide hier sitzen. die Farben der Dinge entstehen alle nur in unserem Kopf und wir wissen gar nicht … wir sehen wahrscheinlich nicht das Gleiche, es gibt wahrscheinlich schon zwischen uns sehr viel verschiedene Wirklichkeiten, und das wollte ich mit diesem Roman eigentlich thematisieren. "

    Es ist das zweite Mal, dass Martin Suter die Folgen von Rauschmitteln zum Thema eines Buches macht. In der "Dunklen Seite des Mondes" verändert sich ein Wirtschaftsanwalt nach einem Drogenrausch mit Pilzen zum einsamen Waldschrat und tödlichem Rächer

    "Es ist weniger der Rausch selber, als die Möglichkeit die Figuren zu verändern, ohne dass sie von sich aus diesen Veränderungsprozess auslösen oder durchmachen. Eine solche Veränderung braucht eine gute Geschichte und mich interessiert mehr die Veränderung des Helden und mich interessiert die unfreiwillige Veränderung des Helden. Mich interessieren Figuren, denen etwas zustößt mehr, als Figuren die von sich aus ihr Schicksal in die hand nehmen. "
    Das klingt technisch und dramaturgisch durchdacht und das ist es auch. Martin Suter hat damit kein Problem.

    "Ich schäme mich auch nicht zuzugeben, dass ich handwerklich vorgehe. Natürlich nicht nur, aber finde schon dass ich es den Lesern schuldig bin, sich an gewisse handwerkliche regeln zu halten. Damit die Leser dieses Vergnügen haben nach diesen bewährten Gesetzen einer Geschichte unterhalten zu werden. "

    Damit fand Martin Suter gleichzeitig das Hauptthema all seiner Bücher. Der Verlust der Identität. Seinen Helden wider Willen entgleitet das Leben, ob durch Alzheimer bei "Small World", durch Amnesie in "Ein perfekter Freund", oder durch die große Liebe in "Lila Lila".
    "Wer bin ich und wer könnte ich noch sein. Und diese unfreiwillige Übertretung dieses schmalen Grades zwischen dem der ich bin, und dem, der ich auch sein könnte , der interessiert mich. Und bei der "Teufel von Mailand" gehe ich noch einen Schritt weiter, nämlich, diese Überschreitung des schmalen Grades zwischen der Wirklichkeit wie sie ist vielleicht und wie sie noch sein könnte oder wie sie halt auch ist. Diese Verunsicherung wird hier noch etwas größer. "

    Martin Suter ist zur Zeit vermutlich der erfolgreichste Schriftsteller der Schweiz. Seit knapp 10 Jahren schreibt er alle zwei Jahre einen Bestseller. Davor war er über 20 Jahre lang ein erfolgreicher Werbetexter und Creativdirektor. Dazwischen stieg er immer wieder aus, machte lange Reisen und arbeitete als Reporter für die Zeitschrift Geo. Das Thema seiner Buchhelden, wer bin und wer könnte ich noch sein, trifft deshalb auch auf sein Leben zu. Schon mit 16 wusste er genau, dass er Schriftsteller werden wollte. Aber er konnte sich nicht vorstellen, damit genug Geld zu verdienen und landete erst mal in der Werbung.

    "Ich dachte immer, jetzt machst du halt mal das und schreibst später das Buch, und jetzt schreibts du fürs Geo und später den Roman, und dann schreib ich das Theaterstück und später den Roman, und jetzt halt die Fernsehserie und später den Roman. Irgendwann war ich 45, hab ich gedacht, ja Moment jetzt, immer kannst du das Leben nicht verschieben, irgendwann musst du auch tun, was du dir vorgenommen hast. "

    Sein erster Roman "Small World" ist gerade in der 25. Auflage erschienen. Die Leser schätzen an Martin Suter, dass er Geschichten schreibt, von denen man wissen will, wie sie weiter – und vor allem - ausgehen. Und dass Martin Suter auf den Punkt genau schreibt. Keine Schnörkel, keine langatmigen Beschreibungen, keine überflüssigen Details.

    "Ich glaube, mein Stil ist das Weglassen, auch das Weglassen von allen Formulierungsposen. Zeigen wie gut ich die Sprache beherrsche, wie schön ich das wieder formuliert habe. Ich glaube mein Stil ist, die Sprache ganz in den Dienst der Geschichte zu stellen. Und dann hab ich vielleicht immer schon Freude an einer pointierten Sprache gehabt, überhaupt an der Pointe, also an der sprachlichen Überraschung, das ist mir vielleicht ein bisschen ins Blut übergegangen …

    Mit einer tollen Idee hat Martin Suter in seinem neuen Roman "Der Teufel von Mailand" die pointierte Sprache auf die Spitze getrieben. Es sind die Protokolle von SMS Gesprächen zwischen Sonia und ihrer Freundin Malu in Zürich.

    alles ok
    alles noch sehr neu
    das wolltest du ja
    und du
    alles immer noch sehr alt


    Er schreibe moderne Romane, sagt Martin Suter und das ist ihm gerade mit dieser SMS-Poesie – dieser SIMS-Lyrik auch perfekt gelungen. Ansonsten ist "Der Teufel von Mailand" ein handwerklich gut konstruierter Thriller, Auch wenn die Geschichte leider vorhersehbarer ist als in Suters früheren Büchern. Und dann ist da noch etwas;
    "Die Heldin fragt ja auf einmal ihren Patienten, der ein Neuropsychologe ist, ob es in einer dieser vielen Wirklichkeiten, ob es da auch einen Teufel gibt, und der sagt. Vielleicht gibt’s den in allen Wirklichkeiten. "

    Martin Suter scheute bisher, - wie der Teufel das Weihwasser- , in all seinen Büchern irgendwelche Parolen, politische Programme und vor allem religiöse Botschaften Jetzt lässt Martin Suter sein neues Buch zwar ganz irdisch in einem grandiosen Showdown enden – aber viele Erscheinungen bleiben dennoch unerklärt. Glaubt er jetzt etwa an einen Schöpfer, gar an Gott oder ist es nur so eine Art New Age? Martin Suter zuckt unsicher die Schultern und zitiert seine Romanheldin Sonia. Sie sagt, Sie wäre gern religiös gewesen. Das könnte, meint Martin Suter, auch eine Antwort von ihm sein.

    "Ja es ist schon mein religiösester Roman. Es hat mit dem alter zu tun. Es hat auch mit dieser Wahrnehmungs- und Wirklichkeitsgeschichte zu tun. Es hat auch mit meiner Begegnung mit Albert Hofmann zu tun, der sagt : Er können gar nicht verstehen, wie ein Wissenschaftler nicht auch Mystiker sein könne, das ist für ihn unerklärlich. Also – wenn wir zugeben müssen, wie wenig wir wissen, haben wir gar nicht die Kompetenz und Voraussetzung irgendetwas auszuschließen und das ist ein Thema, das mich beschäftigt und das ist auch, hoffe ich, etwas das aus dem Roman hervorgeht, dass man nichts ausschließen kann.