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Tief gespalten

Die Nachricht schlug am Wochenende wie eine Bombe ein: Die türkische Generalstaatsanwaltschaft beantragt ein Verbot der regierenden Entwicklungs- und Gerechtigkeitspartei von Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der erst im vergangenen Sommer die Wahlen mit fast 50 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Der Generalstaatsanwalt wirft der AKP vor, zu einem "Zentrum anti-laizistischer Aktivitäten" geworden zu sein. Das Verfassungsgericht in Ankara hat nun mit einer ersten formellen Prüfung des Verbotsantrages begonnen. Gunnar Köhne berichtet.

    Deniz Arslan betreibt seit sieben Jahren eine kleine Weinhandlung im Istanbuler Ausgehviertel Beyoglu. In der holzgetäfelten Schankstube stehen neben türkischen auch internationale Weine zum Verkauf - darunter ein Mosel-Riesling. Das Geschäft läuft gut, sagt die Wirtin mit den feuerrot gefärbten Haaren, und sie betont: trotz der Hindernisse, die ihr von den Behörden in den Weg gelegt werden:

    "Vor fünf Jahren wurde auf einmal auf importierten Wein eine besondere Verbrauchersteuer von 60 Prozent gelegt. Das war für viele von uns eine ruinöse Verteuerung. Ich sehe das als Teil des Drucks, den die Religiösen auf uns ausüben. Hier in diesem Viertel haben wir den noch nicht so sehr zu spüren bekommen, aber andere Stadtteile wurden über den Entzug von Ausschanklizenzen teilweise "alkoholfrei" gemacht."

    Dass die regierende Entwicklungs- und Gerechtigkeitspartei AKP der türkischen Gesellschaft schleichend eine streng islamische Moral aufzudrücken versucht, diesen Vorwurf erhebt auch der Generalstaatsanwalt des Landes in seinem Verbotsantrag gegen die Regierungspartei. Seitdem tobt wieder einmal ein heftiger Streit über die Islamismusgefahr und es ist deutlich geworden, dass die Vorgehensweise des Generalstaatsanwalts nicht viele Befürworter im Land hat.

    Selbst AKP-Gegner halten ein Parteiverbot für keinen geeigneten Weg und empfehlen eine demokratische Auseinandersetzung mit der konservativen Politik der Regierung. Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagierte derweil mit der Idee, rasch die Verfassung zu ändern, um einem Verbot zu entgehen. Erdogan, für den der Generalstaatsanwalt ein lebenslanges Politikverbot beantragt hat, will die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen eine Partei künftig von der Erlaubnis des Parlaments abhängig machen. Auch über eine völlige Streichung des Parteienverbotsparagrafen wird spekuliert. Die Opposition warnt vor solchen Manövern. Der Abgeordnete der links-kemalistischen DSP, Tayfun Icli:

    "Jetzt fängt ein gefährliches Spiel an. Die Generalstaatsanwaltschaft ist nicht irgendwer, sie ist ein Pfeiler unserer Rechtsordnung. Wer versucht, sich über dieses Rechtsorgan zu erheben, kann für sich nicht die Demokratie in Anspruch nehmen."

    Die vom Generalstaatsanwalt in seiner Anklageschrift genannten Beispiele für mutmaßlich anti-laizistische Aktivitäten Erdogans liegen teilweise Jahre zurück und dürften aufmerksamen Zeitungslesern längst bekannt sein, wie die liberale Tageszeitung Radikal bemerkte. Noch als Istanbuler Bürgermeister nannte sich Erdogan in den neunziger Jahren "Imam von Istanbul" und bekannte, er sei "persönlich nicht laizistisch eingestellt".

    Doch auch aus jüngster Zeit finden sich in dem 60 Seiten starken Dokument Zitate und Vorfälle, vielfach aus der anatolischen Provinz. Da lässt der AKP-Bürgermeister der Kleinstadt Bolu so genannte Gebetsbusse für Frauen durch seine Gemeinde rollen, ein anderer verteilt im Namen der AKP Korane, ein dritter lässt den Alkoholverkauf in seinem Ort verbieten. Es sind solche kleinen Veränderungen, die auch die Istanbuler Wirtin Deniz Arslan um ihre Freiheit fürchten lässt:

    "Im Fastenmonat Ramadan fühlen sich viele unserer Gäste beim Alkoholtrinken neuerdings unwohl. Ich erhebe dann oft als erste das Glas, damit sie kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen. Aber in den meisten Stadtteilen machen Alkoholgeschäfte oder Kneipen während des Ramadan mittlerweile dicht."

    Ministerpräsident Erdogan hat das Verbotsverfahren als Segen für seine Partei verhöhnt. Er rechnet mit noch mehr Wählerzuspruch. Schon wird in Ankara über vorgezogene Neuwahlen spekuliert. Als möglicher Termin käme der 28. März des kommenden Jahres in Frage. An diesem Tag sollen ohnehin Kommunalwahlen stattfinden.