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Tiefe Blicke mit Infrarotlasern

Medizin. – Wenn zerstörerische Gelenksveränderungen einsetzen, dann ist schnelles Handeln gefragt, um den Schaden in Grenzen zu halten. Denn beispielsweise bei der häufigsten Form solcher Prozesse, der rheumatoiden Arthritis, entstehen die größten Schäden an den Gelenken während der ersten Krankheitsjahre und damit häufig bevor die Diagnose ''Rheuma'' überhaupt gestellt wurde. Dabei hat die Behandlung der Gelenkentzündungen in letzter Zeit große Fortschritte gemacht, denn es existieren heute neue Medikamente, die den Krankheitsverlauf deutlich abbremsen und so Behinderungen vorbeugen können. Doch um die bestmögliche Wirkung zu entfalten, müssen sie eben schnell und gezielt eingesetzt werden. Eine neue Untersuchungsmethode, die auf Lasertechnik fußt, soll bald helfen, die Therapie früher zu beginnen und ihre Wirkung effizienter zu kontrollieren.

    Um die Grundlagen für sein neues diagnostisches Verfahren zu erläutern, greift Professor Jürgen Beuthan vom Institut für Medizinische Physik und Lasermedizin der Freien Universität Berlin zu anschaulichen Mitteln: Er füllt ein Glas mit Wasser und strahlt dann mit einem Laserzeiger durch das Gefäß. Das wenig überraschende Ergebnis – der Lichtstrahl tritt geradewegs hindurch und ist auch nach der Passage noch genau so groß wie vorher. Jetzt gibt der Forscher einige Tropfen Milch in die Flüssigkeit und ändert die optischen Eigenschaften des Mediums damit radikal: Die winzigen Fetttröpfchen und Eiweiße lenken die einzelnen Photonen des Laserlichts ab, streuen sie diffus in alle Richtungen und lassen den Strahl nicht mehr durch das trübe Wasser treten. Genau auf diesen Streueffekt baut Beuthan, um daraus ein neues diagnostisches Verfahren zur Rheumafrüherkennung zu entwickeln. Weil sichtbares Licht allerdings nicht durch den Körper dringen kann, verwendet der Berliner Forscher Frequenzen im nahen Infrarotbereich. Laserstrahlen in diesem Wellenlängenbereich können zumindest dünne Gewebeschichten durchdringen, wie beispielsweise einen Finger.

    Doch gerade die Gelenke der Finger sind bei vielen Rheumatikern zuerst betroffen, erläutert Jürgen Beuthan: "Bei Rheuma lösen Stoffwechselveränderungen in einer relativ frühen Phase eine Veränderung der so genannten ''Gewebeoptik'' aus. Dabei nimmt die Absorption etwas zu und die Streuung steigt stark an." Weil in einer bestimmten Messebene des Rheuma-Scanners, der so genannten Detektionsebene, schon kleinste Veränderungen der Lichtstreuung festgestellt werden können, bietet sich die Methode zur Beobachtung an. Dazu konstruierte das Institut für Lasermedizin eine denkbar einfache Messapparatur: Der zu durchleuchtende Finger wird in einen Ring gesteckt, über dem ein kleiner Infrarotlaser sitzt und einen Strahl aus 30 unterschiedlichen Positionen durch das Gelenk sendet. Eine Kamera in der Bodenplatte fängt dabei das Streulicht auf. Auf der Darstellung der Messung erscheinen schließlich die Enden der Röhrenknochen des Fingers rechts und links als dunkle Flecken, die von einem feinen hellen Streifen – dem Gelenkspalt - getrennt werden. Was dem Betrachter als eher diffus und wenig aussagekräftig erscheint, ist für das ausgeklügelte Auswertungsprogramm der Berliner Forscher eine wahre Fundgrube an Daten.

    Das neuronale Netz der Software wurde an Aufnahmen 72 rheumatisch entzündeter sowie 64 gesunder Fingergelenke trainiert. Zwar konnte das Programm auch nach vielen Trainingsläufen nicht gesunde von entzündeten Gelenken unterscheiden und ist vermutlich aufgrund der zu großen Unterschiede bei den Gelenken von Menschen offenbar für eine sehr frühe Diagnose von Rheuma und arthritischen Veränderungen ungeeignet. Doch bei der Beurteilung von Krankheitsverläufen und der Wirkung der eingesetzten Arzneien sei das Programm eine wertvolle Hilfe, so Beuthan: "Bei manchen Patienten wirkt ein Medikament schon beim ersten Versuch, während es bei anderen erst beim 30. Versuch anschlägt. Weil die Wirkung erst nach etwa zehn bis 14 Tagen feststellbar ist, wird im schlimmsten Fall die Therapie um ein halbes Jahr oder mehr verzögert." Genau hier setze das Laser-Verfahren im Schwerpunkt an. Der Computer konnte aus dem Streulichtbild zusammen mit dem Umfang des Fingergelenkes sehr genau berechnen, ob sich der Zustand eines Gelenkes zwischen zwei Messungen verschlechtert oder verbessert hatte. Denn wenn sich die Gelenkflüssigkeit infolge entzündlicher Prozesse stark eintrübt und sich die Gelenkkapsel durch Gewebewucherungen verdickt, nimmt die Streuung erheblich zu, während sie bei einer greifenden Therapie abnimmt. Derzeit befinde sich die Lasermessung allerdings immer noch in der Erprobung und es werde noch Jahre dauern, bis praxistaugliche Geräte zur Verfügung stünden, so Professor Beuthan.

    [Quelle: Volkart Wildermuth]