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Tiefenrausch

Sport.- Wenn Menschen für längere Zeit abtauchen, tun sie das meistens mit einer oder mehreren Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Doch gibt es auch Alternativen zum herkömmlichen Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch. Der Wissenschaftsjournalist Wolfram Koch berichtet im Gespräch mit Gerd Pasch.

25.01.2010
    Gerd Pasch: Die Wassersportmesse Boot hat am Wochenende in Düsseldorf begonnen. Die Besucher können in diesem Jahr viel ausprobieren. Auch an bezahlbaren Freizeitaktivitäten am auf und im Wasser. So können die Besucher jetzt Nordic Walking auf dem Wasser Betreiben. Und in der Taucherhalle lässt sich das Atmen unter Wasser mit einem richtigen Tauchgerät testen. All das hat sich Wolfram Koch angesehen, er sitzt jetzt bei mir im Studio. Faszinierende Welten tun sich ja wohl in der Tiefsee auf. Wie tief können den Menschen inzwischen in die Tiefe tauchen?

    Wolfram Koch: Also in die Tiefsee kommt der Mensch. Aber der Traum, sich wie ein Fisch im Wasser zu bewegen, der ist nach wie vor überhaupt nicht in greifbare Nähe gerückt. Aber es gibt Mittel, um zum Beispiel einige Hundert Meter schon mal tief zu tauchen. Der einfachste und auch gefährlichste, das ist Apnoetauchen. Man hält quasi die Luft an, und taucht so tief man kann. Und Spitzensportler erreichen Tiefen um die 200 Meter. Und beim Abtauchen muss man sich das so vorstellen, dass die Lunge auf Apfelgröße komprimiert wird – irgendwann geht es nicht mehr weiter, weil wir haben ja einen Brustkorb. Und dann wird im Prinzip durch den entstehenden Unterdruck Plasmaflüssigkeit aus den Gefäßen der Lungenbläschen gezogen, also dass man dann die Lunge voll mit Flüssigkeit hat, das hört sich schon gar nicht so gut an. Das ist sehr, sehr gefährlich und nur ein paar Spitzensportler können das überhaupt machen.

    Pasch: Und das geht auch nur eine kurze Zeit. Mit Technik tauchen heißt dann, Luft oder in dem Falle Pressluft mitnehmen. Das ist der klassische Weg. Was ist denn aber von der Flüssigkeitsatmung zu halten, die immer wieder mal ins Gespräch kommt.

    Koch: Mit Flüssigkeitsatmung hat man so die Vorstellung gehabt, muss man auch schon sagen, dass man über 1000 Meter tief tauchen kann. Und in diversen Versuchen hat man mit Sauerstoff versetzte Perfluorcarbone, das ist also eine Carbon-Flüssigkeit, genommen, und da ist praktisch der Sauerstoff drin gelöst. Die wird in die Lungen eingefüllt und dann kann man eigentlich ganz normal atmen. Und die Lunge kann ja dann nicht mehr komprimiert werden, weil sie ist schon mit Flüssigkeit gefüllt. Das Ganze funktioniert wunderbar, nicht nur beim Tauchen, auch bei der Medizin. Bei schweren Lungenverletzungen wird dieses Verfahren in Spezialkliniken eingesetzt. Funktioniert wie gesagt prima – nur: ein Riesenproblem gibt es: man bekommt die Flüssigkeit nicht mehr aus den Lungen raus. Und damit ist dieses Verfahren eigentlich kaum einsetzbar.

    Pasch: Welche Lösungen wären denn, um das Problem zu lösen?

    Koch: Also die Atmung mit Flüssigkeit lässt sich nicht lösen. Dieses Problem besteht nach wie vor. Man muss also irgendwie mit Pressluft tauchen, man muss verschiedene Presslufttanks mit sich nehmen.

    Pasch: Der klassische Weg. Wo sind denn die Grenzen der Pressluft.

    Koch: Ich sag mal: Presslufttauchen – 40 Meter, das lernt jeder Freizeittaucher in seiner Ausbildung, weil wir haben Stickstoff, ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch, sprich Atemluft. Und dieser Stickstoff bewirkt, dass wir eine Stickstoff-Narkose ... wir werden praktisch so benebelt unter Wasser. Das Denken fällt schwer, einfachste Rechenaufgaben fallen extrem schwer. Das ist der Tiefenrausch, der auftritt, und das ist ein Problem, ein limitierender Faktor.

    Pasch: Nun sind viele Profitaucher aus der Ölindustrie, aus der Marine oder auch aus der Wissenschaft ständig unter Wasser, also längere Zeit unter Wasser, und sie arbeiten mit sogenannten Kreislaufgeräten. Wie sind denn die einzuschätzen?

    Koch: Kreislaufgeräte sind ganz fantastisch. Man fährt unter Wasser quasi wie auf Schienen, man atmet praktisch in ein System aus. Der Ausatemluft wird das Kohlendioxid entzogen, neuer Sauerstoff wird hinzugefügt. Und das geht über Stunden. Der limitierende Faktor hier ist, dass diese Kalkpatrone, die praktisch das Kohlendioxid dem Ausatemgas entzieht, wieder erneuert werden muss. Und dazu muss ich zwangsläufig aus dem Wasser raus. Weil sonst kann ich mich vergiften, durch dieses Kohlendioxid. Mittlerweile sind auch die Sauerstoffsensoren, die praktisch den Restsauerstoff messen, sehr, sehr gut. Und der neueste Clou ist: Man hat auch noch Sensoren entwickelt, die das Kohlendioxid messen, so dass ich nicht überrascht werde, dass auf einmal meine Kalkpatrone im Prinzip erschöpft ist.

    Pasch: Wolfram Koch, abschließend noch schnell eine Frage nach den Gemischen. Edelgase wie Helium und Neon: Wie lässt sich damit atmen?

    Koch: Dadurch umgehe ich den Tiefenrausch. Wenn ich zum Beispiel Helium statt Stickstoff verwende – Helium ist ein sehr, sehr kleines Molekül – da erleide ich nicht das Problem, dass ich eine Stickstoff-Narkose, sprich die schon erwähnte Taucher-Narkose – bekomme. Aber ich bekomme unter Umständen, wenn ich sehr, sehr schnell abtauche, ein sogenanntes Heliumzittern. Mit Helium hat man theoretische Tauchtiefen errechnet, weil das Molekül ja sehr klein ist, von über 600 Metern. De facto: Der Rekord liegt derzeit bei 330 Metern. Um dieses Taucherzittern zu umgehen, setzt man jetzt verstärkt auf Neon, auf Neon-Sauerstoff-Gemische. Und damit kann man zwar nicht so tief, aber man umgeht die Folgeerscheinungen.

    Pasch: Vielen Dank, Wolfram Koch.