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Tiefster Blick aller Zeiten

Astronomie. - Vor knapp einem Jahr versetzte eine neue Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops die Astronomen in Aufregung - und in Wehmut. Das zwölf Tage lang belichtete Foto eines winzigen Himmelsausschnitts zeigt einzigartige Details des frühen Kosmos. Jetzt sorgen Analysen der berühmten Aufnahme für Aufsehen.

    Es war ein winziger Blick an den Himmel, aber ein gigantischer Sprung zurück in der Zeit. So detailliert wie im "Hubble Ultra Deep Field" haben die Astronomen das frühe Universum noch nie gesehen, erklärt Sangeeta Malhotra, Astronomin am Space Telescope Science Institute in Baltimore:

    Wir haben in diesem kleinen Himmelsausschnitt den entferntesten Galaxienhaufen entdeckt, der je beobachtet wurde. Diese Galaxien sehen wir zu einer Zeit, als das Universum nur eine Milliarde Jahre alt war - heute ist es etwa 14 Milliarden Jahre alt. Die Galaxien, die wir da sehen, sind also sehr, sehr jung und sehr, sehr weit entfernt. Das Licht war 13 Milliarden Jahre unterwegs, um von dort zu uns zu kommen.

    Noch vor wenigen Jahren wähnten die Forscher in dieser großen Entfernung, also zu dieser frühen Zeit in der kosmischen Geschichte, das Dunkle, weil noch sternlose, Zeitalter. Für diese Untersuchungen müssen die Astronomen die Entfernungen der schwachen Objekten bestimmen, was sehr schwierig ist, manchmal unmöglich. Die Faustregel - je röter, desto weiter entfernt - hilft auch nicht immer. Denn ein schwaches rotes Objekt könnte eine extrem helle Galaxie am Rande des beobachtbaren Kosmos sein - oder ein ganz schwaches Sternchen in der Nachbarschaft der Sonne, mahnt Sangeeta Malhotra:

    Das Hubble Ultra Deep Field ist der tiefste Blick ins Universum aller Zeiten. Wir haben diesem flachen Bild die dritte Dimension dadurch gegeben, daß wir das Licht in Spektren zerlegt und so die Entfernungen der einzelnen Objekte bestimmt haben. Nie zuvor war das für so ferne und damit so schwache Objekte möglich. Die Kamera von Hubble hat das normale Bild gemacht und dann auch die recht groben, aber ausreichenden Spektren aller Objekte aufgenommen. Wir können jetzt sehr zuverlässig die entferntesten Galaxien im Kosmos ermitteln.

    Beim Hubble Ultra Deep Field bestimmt Sangeeta Malhotra mit ihrem "Grapes"-Projekt die Entfernungen der Objekte - diese Abkürzung ist das englische Wort für Trauben. Die bei der letzten Wartungsmission 2002 eingebaute neue Kamera zeigt, wie hoch die Trauben in der Aufnahme hängen. Die Messungen trennen die nahen schwachen Objekte von den wegen der immensen Entfernung ebenso schwach erscheinenden jungen Galaxien im frühen Universum - und von denen zeigen sich überraschend viele. Ein verwirrender Befund - denn bald nach dem heißen Urknall war die Materie im Kosmos stark abgekühlt. Im All war es finster und kalt. Es sollte einige Zeit dauern, bis die ersten Sterne und Galaxien wieder Licht gemacht haben. Heute gibt es viele Sterne und die lose zwischen den Galaxien verteilten Gasmassen sind heute extrem heiß. Der Kosmos durchlebte ein Wechselbad - erst heiß, dann kalt und dunkel, jetzt wieder heiß und hell. Malhotra:

    Wann, wo und wie sind die ersten Sterne und Galaxien entstanden? Wir sehen jetzt, daß bereits im erst eine Milliarde Jahre jungen Kosmos das Gas schon fast komplett aufgeheizt war. Es gab bereits viele heiße Sterne und Galaxien - aber wie ist das möglich? Wie konnten die so schnell entstehen? Darüber ist viele Jahrzehnte spekuliert worden. Mit dem Ultra Deep Field haben wir erstmals echte Daten aus dieser frühen Zeit. Natürlich wird darüber noch immer heftig gestritten - aber die Debatte geht nicht mehr um Phantome, sondern um konkrete Objekte: Um die Galaxien, die wir wirklich sehen. Wir blicken immer weiter zurück in den kosmischen Nebel.