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Tierärzte bemühen sich um besseren Tierschutz

Enge Käfige und Ställe, Spaltenböden, Kastration von Ferkeln ohne Betäubung, Züchtung von Kühen auf immer höhere Milchleistung: Wie wirken sich solche Haltungsformen eigentlich auf die Tiere aus? In Nürtingen beraten derzeit Tiermediziner über Tierschutz aus fachlicher Sicht. Ein Ergebnis: Der Käufer der Produkte muss wissen, was sein Einkauf für die Tierhaltung bedeutet.

Von Thomas Wagner |
    Verbraucher im Supermarkt orientieren sich je nach Geschmack und Neigung mal am Öko-Siegel, mal am Qualitäts- und Sicherheitssiegel. Kommt schon bald auf der knackigen Salami oder auf dem abgepackten Rindersteak das Tierschutz-Siegel hinzu?

    "Dass ein Verbraucher tatsächlich ein höheres Niveau am Tierschutz mitbezahlt, setzte voraus, dass er sehr genau weiß, was er da tut. Und da sehe ich die meisten Verbraucher ganz einfach überfordert."

    Professor Peter Kunzmann arbeitet als Tierschutz-Ethiker an der Universität Jena. Das Bewusstsein der Bevölkerung für den Tierschutz sei in den vergangenen Jahren erheblich größer geworden, sagt er. Nur: Beim Einkaufsverhalten schlägt sich das noch nicht nieder. Gekauft wird in der Regel, was preiswert ist - ganz einfach deswegen, weil Verbraucher, deren Herz für den Tierschutz schlägt, bislang auf der Verpackung vergeblich nach Informationen darüber suchen, ob das Steak, die Wurst oder das Ei nun von einem artgerecht gehaltenen Tier stammt oder nicht. Dies ließe sich ändern, meint Peter Kunzmann und verweist auf das Beispiel England:

    "Also ich kenne solche Labeling-Systeme aus Großbritannien schon seit den 80er Jahren. Und ich finde, das ist eine gute Idee, auch dass eine Tierschutzorganisation mit einem Supermarkt wie Tesco zusammen tut und sagt: Okay, dieses Schnitzel kostet etwas mehr, aber dafür mit dem Segen RSPCA."

    Das wäre eine Art "Lebensmittel-TÜV" durch eine Tierschutzorganisation. Ob es dafür ein eigenes Tierschutz-Siegel braucht, wird von den Experten in Nürtingen allerdings kontrovers diskutiert. Statt eines neuen Labels reiche es völlig aus, Tierschutz-Kriterien in bereits vorhandene Qualitätssiegel einzuarbeiten, findet Professor Thomas Blaha von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover:

    "Ob es Sinn macht, einen Extra-Tierschutz oder "Tierwohlergehens-Label" zu machen, ist fraglich. Aber die Komponenten des Tierschutzes in ein generelles Qualitätssiegel hinein zu nehmen, so dass der Mensch sagt: Wenn ich "QS" kaufe, kann ich mir sicher sein, dass die Lebensmittelsicherheit gut ist und der Tierschutz gewahrt ist - das macht Sinn!"

    Allerdings ist damit die Gefahr verbunden, dass sich nach Einführung eines solchen Tierschutz-Labels eine Art "Zwei-Klassen-Gesellschaft" in der Nutztierhaltung auftun könnte, so jedenfalls die Befürchtung von Professor Thomas Richter vom Studiengang Agrarwirtschaft der Hochschule Wirtschaft und Umwelt Nürtingen:

    "Mein Interesse ist nicht, dass es irgendeinem Prozentsatz von Elite-Tieren besonders gut geht, sondern mein Interesse ist, dass es allen Tieren möglichst gut geht. Und wenn wir die Entwicklung im Rinderbereich anschauen, dann stellen wir fest, dass wir heute Haltungsverfahren haben, die viel besser sind als vor 50 Jahren und die auch viel besser als vor 20 Jahren."

    Dies habe nicht nur mit neu gefassten gesetzlichen Standards zu tun, sondern auch mit einer wichtigen Erkenntnis, die sich, so Agrar-Experte Thomas Richter, bei den Lebensmittel-Produzenten immer häufiger durchsetze:

    "In der Landwirtschaft bringt Tierschutz in der Regel Geld. Weil: Tierschutz heißt ja Schutz der Tiere vor Schmerzen und Schäden. Weil: Schmerzen und Schäden entstehen durch Krankheiten. Und die Krankheiten verhindern ja einen wirklich vernünftigen Profit. Weil: Nur von gesunden Tieren kann ich eine optimale Leistung erwarten. Verbesserungen im Tierschutz in der Landwirtschaft sind in fast allen Fällen auch ökonomisch interessant."

    In fast allen, aber eben nicht in allen Fällen. Beispiel: Die Käfighaltung für Hühner, die bis vor kurzem auf engstem Raum zusammen gepfercht ihr Dasein fristen mussten. Das ist nun gesetzlich verboten. Stattdessen müssen die Hühnerhalter auf Freiland- Boden- oder auf die so genannte "Kleingruppenhaltung" ausweichen. Hier untersuchen die Experten derzeit, wie sich solche Haltungsarten unter Tierschutzaspekten weiter optimieren lassen. Professor Michael Erhard, Veterinärmediziner an der Ludwig-Maximilians-Universität München:

    "Es geht los mit entsprechenden Sitzstangen, Legenestern, Scharrmöglichkeiten. Und diese Systeme müssen entsprechend richtig angeordnet sein. Es muss Substrat vorhanden sein. Es muss das Nest eine entsprechende große Fläche haben - also da gibt es viele Parameter, die noch entsprechend optimiert werden müssen."

    Alles in allem zeigen sich die Experten in Nürtingen zufrieden über die Fortschritte, die der Tierschutz in den vergangenen Jahren gemacht habe. Dies finde auch seinen Niederschlag in einer Fülle rechtlicher Regelungen. Beispiel: Die Einrichtung einer Ethik-Kommission vor zehn Jahren, die über die Zulassung von Tierversuchen in der Forschung entscheidet - ein Instrument, das sich bewährt hat, findet Professor Theo Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer Bonn:
    "Tatsche ist, dass die Anträge mehrfach und sehr oft wieder zurück überwiesen werden, weil eben hier noch irgendwelche Begründungen fehlen. Hier hat der Gesetzgeber wirklich sehr, sehr hohe Hürden aufgebaut. Und es kann oft Monate bis Jahre dauern, bis so ein Versuchsvorhaben genehmigt wird."