Donnerstag, 28. März 2024

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Tiere erschnüffeln Krankheiten
Manuskript: Mr. Keane lernt riechen

Forschergruppen tüfteln an sogenannten elektronischen Nasen, die im Atem von Patienten nach Krankheiten suchen sollen. Flüchtige Moleküle könnten Hinweise geben auf Krebs, auf eine Sepsis oder Infektion. Noch fahnden Wissenschaftler nach den verantwortlichen Substanzen, aber unterschiedliche Muster können sie bei manchen Krankheiten schon erkennen.

Von Jochen Steiner | 18.05.2014
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    Riesenhamsterratten werden von der Apopo-Stiftung zur Tuberkulose-Erkennung abgerichtet. (Apopo/Xavier Rossi)
    Eine Ratte huscht an der Haupttribüne entlang, strauchelt über einen synthetisch riechenden Fan-Schal, trippelt weiter. Sie hat ein Ziel.
    "Rats, they have a very great sense of smell"
    Ratten haben einen ausgezeichneten Geruchssinn.
    Auf dem Betonboden staubige Schuhe, in denen Männerfüße ausdünsten. Abgase der nahen Straße, Schweiß. Stärker jetzt: Salz, Kurkuma, Kreuzkümmel - Fleisch. Die Ratte reckt ihre Schnauze nach oben, schnüffelt. Mit jedem Schritt wird der Geruch stärker. Noch eine Sitzreihe, dann wird sie endlich auf eine Pappschale mit Currywurst stoßen.
    "They are intelligent creatures which you can train very well."
    Ratten sind intelligente Tiere, die man sehr gut trainieren kann.
    "Das ist Keane, benannt nach einem Fußballspieler von Manchester United. Keane ist mit seinen fünf Jahren schon eine alte Ratte."
    Morogoro – eine kleine Stadt im ostafrikanischen Tansania, 200 Kilometer westlich der Millionenstadt Daressalam. Auf einem Gelände so groß wie mehrere Fußballfelder stehen zwei flache, rötliche Backsteinbauten. In einem davon kleine Ställe dicht an dicht, jeder mit einem kleinen Holzhäuschen ausgestattet und einer Trinkflasche am Gitter. Hier lebt Keane, die Ratte. Tiertrainer und Manchester-Fan Peter Luanda hat sie so genannt. Namensvetter Roy Keane schoss für den englischen Fußball-Klub 50 Tore, bekannt war er auch für sein aufbrausendes Temperament. Die Ratte Keane dagegen hat ein eher ruhiges Gemüt.
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    Ein Apopo-Trainer mit einer der Riesenhamsterratten im Tb-Käfig. (Apopo/Alvaro Laiz & David Rengal)
    "Wir beginnen mit dem Training, wenn die Ratten noch sehr jung sind, mit vier Wochen.
    Keane gehört zu den Gambia-Riesenhamsterratten. Der Name verrät schon viel über ihr Aussehen: Sie sind etwas größer als ein Hamster, mit einem langen Schwanz, rötlich-braunem Fell, großen Ohren und einer langen Schnauze.
    Luanda: "Dann gewöhnen wir sie an Menschen, alle möglichen Gerüche, Geräusche und Dinge ihrer Umgebung. Das machen wir zwei Wochen lang. Danach führen wir den Klicker und die Futter-Belohnung ein. Das ist eine Möglichkeit, wie der Trainer mit der Ratte kommunizieren kann."
    Immer wenn Keane etwas richtig macht, drückt Peter Luanda auf ein kleines Plastik-Teil, das an einen Knackfrosch erinnert, ein Spielzeug aus Kindertagen. Sofort danach gibt es eine Belohnung, erzählt er, ein Stückchen Banane zum Beispiel.
    Luanda: "Ich heiße Peter und das hier ist auch Peter. Und diese Ratte habe ich nach meiner Frau Leila benannt. Und die hier heißt Queen, wie meine Tochter."
    Luanda arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Apopo. Wenn er seine Nager aufzählt, kommt er auf zwölf, eine komplette Fußball-Mannschaft. Keane ist einer seiner besten Spieler.
    "Er ist sehr gut beim Auswahltest und hat schon viele neue Tuberkulose-Patienten aufgespürt. Eine Ratte wie Keane kann 100 Proben in wenigen Minuten überprüfen."
    Ratten, die Tuberkulose erschnüffeln können. Irgendetwas lässt Kranke anders riechen als Gesunde – und die Ratten können es wahrnehmen. Auch andere Tiere sind mit feinen Nasen ausgestattet, Hunde etwa, oder Fruchtfliegen. Sie könnten in der Diagnostik behilflich sein – wenn es gelingt, sie zuverlässig zu trainieren.
    Die Idee ist nicht neu, doch sie führte eher ein Schattendasein. Bis Dr. Rainer Ehmann in der Hochgebirgsklinik in Davos auf einen alten Aufsatz stieß.
    "Ich habe dort in einer alten Bibliothek einen Aufsatz gefunden eines Davoser Arztes, der einen Schäferhund hatte. Und der hat ihn bei den Visiten begleitet. Und dieser Schäferhund hat ihm offensichtlich Signale über den Tuberkulose-Status der Patienten gegeben, also er hat bei der 'Sortierung' dieser Patienten in Tuberkulosekranke und Nicht-Tuberkulosekranke ihm ein Signal gegeben noch bevor das Röntgenbild gemacht war, weil der Hund offensichtlich begriffen hatte, wonach der Arzt sucht. Und er hat das dann auch veröffentlicht in einer Tabelle: was meint mein Hund, was meint mein Röntgenbild und eine hohe Übereinstimmung gefunden."
    Erste Versuche mit Hunden, die möglicherweise Krebs riechen konnten, hatte es Ende der 80er Jahre gegeben. Rainer Ehmann recherchiert weiter und findet eine Studie aus dem Jahr 2006, in der die US-amerikanischen Autoren von fünf trainierten Hunden berichten, die Atemproben von Patienten mit Lungenkrebs von Proben gesunder Probanden unterscheiden konnten. Der Internist möchte die Untersuchung in Deutschland wiederholen und nimmt Kontakt zu Kollegen der Klinik Schillerhöhe in Gerlingen bei Stuttgart auf. Mittlerweile hatte er sich hier niedergelassen.
    "Ich hatte diese Idee abgelehnt..."
    Thorsten Walles, damals noch an der Klinik Schillerhöhe, heute Professor an der Universitätsklinik Würzburg,
    "man hat natürlich immer wieder mal Berichte gehört, dass Hunde durch bestimmte Fertigkeiten auffielen, allerdings war das für mich so ein bisschen Hörensagen und Esoterik, Hokuspokus, in dieser Ecke stand das bei mir."
    Ärzte können Lungenkrebs nur in einem frühen Stadium erfolgreich behandeln, doch da haben die Betroffenen meist noch keine Symptome. Diese treten erst später auf und dann ist ihnen oft nicht mehr zu helfen. Eine verlässliche Früherkennung für Lungenkrebs gibt es noch nicht. Thorsten Walles stimmt der Studie schließlich zu. Rainer Ehmann:
    "Der Ansatz war, dass wir drei Gruppen gebildet haben. Einmal Atemluftproben von Lungenkrebs-Patienten, dann Atemluftproben von Gesunden und Atemluftproben von an chronischer Bronchitis erkrankten Patienten. Die chronische Bronchitis kann eine Krebsvorstufe sein. Und wir haben dann versucht zu differenzieren, kann der Hund nicht nur zwischen gesund und Krebs, sondern auch zwischen entzündlicher Lungenerkrankung, chronischer Bronchitis, und Krebs unterscheiden."
    Eindrucksvolle Studie mit Hunden
    Der Hundetrainer Uwe Friedrich soll fünf Hunde ausbilden. Nach neun Monaten Training ist es so weit: die Hunde schnuppern in mehreren Durchgängen an über 200 Atemproben und können 72 Prozent der Lungenkrebs-Proben herausriechen.
    Thorsten Walles: "Am Ende der Studie war mir klar, dass in der Atemluft ein Lungenkrebs nachgewiesen werden kann. Und dass die Fertigkeiten, die die Hunde an den Tag gelegt haben, besser ist als jedes Nachweisverfahren, was wir im Moment als Mediziner in den Händen halten, so dass es für mich eine Motivation ist, eben die Ursache, oder den verborgenen Schlüssel zu finden, der uns helfen kann, aus der Atemluft eine Lungenkrebs-Diagnose zu stellen."
    "Die Stuttgarter Studie ist sicher sehr eindrucksvoll, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie, nach meiner Meinung jedenfalls, die einzige wirklich hinweisende und echten wissenschaftlichen Kriterien genügende Studie auf dem Markt ist derzeit."
    Dr. Rudolf Jörres, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Umweltmedizin an der Uniklinik München,
    "und die vorangegangenen Studien teilweise mit so traumhaften Trefferquoten gearbeitet haben, dass man, verglichen mit anderen Markern aus der Tumordiagnostik, da ein bisschen skeptisch werden muss."
    Klar ist aber auch: In 28 Prozent der Fälle haben die Hunde den Lungenkrebs nicht gerochen. Noch wäre es zu früh, sich bei der Diagnose von Lungenkrebs auf sie zu verlassen. Was also können Tiere, was soll man ihnen zutrauen?
    Mitte Februar in Löffingen im Schwarzwald. Eine Mischung aus Regen und Schnee fällt vom Himmel. Am Rande der kleinen Stadt liegt ein ehemaliger Pferdestall, der dem Hundetrainer Uwe Friedrich und seinem Team als Arbeitsplatz dient. Gerade ist Mittagspause. Thomas Stoll ist mit seiner Hündin Baya zu Besuch.
    "Die Idee war faszinierend einen Hund zu haben, der mir bei meiner Diabetes-Einstellung hilft, der mir hilft, nachts besser zu schlafen, beruhigter zu schlafen. Und insofern habe ich mir vorgestellt, dass ein Hund da eine sinnvolle Ergänzung wäre zu meinem Zucker und auch zu meinem Leben."
    Baya ist zwei Jahre alt und genauso lang weicht sie Thomas Stoll nicht mehr von der Seite. Der Rentner hat seit über 50 Jahren Typ1-Diabetes.
    "Am Tag merke ich eine Unterzuckerung sehr gut. Wenn man als Diabetiker aber im Stress ist, wenn man Schwierigkeiten hat, wenn man erkrankt ist, wenn man eine Grippe hat, dann verschieben sich diese Grenzen und da hat mich Baya einmal gewarnt rein durch ihr Verhalten, was außergewöhnlich war. Und ich habe dann gemessen und habe gemerkt, dass der Wert bei weit unter 60 lag, den habe ich also verpasst."
    Seit etwa einem Jahr kommen Thomas Stoll und Baya zum Training. Uwe Friedrich hat der Golden-Retriever-Hündin mittlerweile beigebracht, am Bein von Thomas Stoll zu kratzen, wenn sie eine Unterzuckerung riecht. Bellen ist nicht so ihr Ding.
    Friedrich: "Der Stimulus ist tatsächlich der Geruch von Unter- beziehungsweise Überzucker, wo der Hund über eine lange Zeit auf Kleidungsstücke, auf sterile OP-Tupfer, die dann am Körper von Herrn Stoll getragen werden, also an bestimmten Bereichen vom Körper, wo ein Mensch die sogenannten apokrinen Schweißdrüsen hat, wo dann einfach der unverfälschteste Geruch herkommt, und auf dieses Geruchsbild wird der Hund konditioniert. Und da hat der Hund einfach diesen Unterzucker-Geruch in einem Behältnis und muss den erst mal von allen anderen Behältnissen differenzieren."
    Wie die Trainer bei Apopo setzt auch Uwe Friedrich den Klicker und eine Belohnung ein, wenn Baya etwas richtig gemacht hat – positive Konditionierung nennen das die Verhaltensforscher.
    "Jetzt kommt der letzte Klick für die Baya und die letzte Ration von mir. Toll gemacht Süße, ja du bist eine Tolle!"
    Welche Moleküle von Frauchen oder Herrchen es sind, die Diabetes-Warnhunde im Ernstfall handeln lassen, ist noch nicht abschließend geklärt, es könnte Aceton sein, das bei einer Unterzuckerung gebildet wird. Anders als Blindenführhunde sind Diabetes-Warnhunde nach §33 des Sozialgesetzbuchs nicht als sogenannte medizinische Hilfsmittel anerkannt. Noch gibt es nicht genügend Studien, die untersucht haben, wie sicher ein Hund die Unterzuckerung anzeigen kann. Die Deutsche Diabetes-Hilfe warnt deshalb vor blindem Vertrauen in die Vierbeiner. Uwe Friedrich sieht es genauso.
    "Es wird nur dann seriös ausgebildet, wenn den Leuten nichts vorgegaukelt wird, denn die Leute müssen ihren Diabetes selber beherrschen. Der Hund ist dann eine Unterstützung, damit man sagen kann, das Gesamtpaket gibt dann den Betroffenen einfach eine hohe Sicherheit."
    Riesenhamsterratten mit scharfem Geruchssinn
    Immer freitags kommen aus Daressalam und Morogoro in Tansania die Auswurf-Proben von über 20 Krankenhäusern und Behandlungszentren. Es sind Proben von Menschen, die vermutlich bereits an Tuberkulose erkrankt sind, und Proben, bei denen noch völlig unklar ist, ob sie die Tb-Bakterien enthalten. Zuerst stellen die Apopo-Mitarbeiter die Plastikröhrchen für 30 Minuten in den Autoklav, der sie bei 100 Grad Celsius in ungefährliche Proben für Mensch und Tier verwandelt. Diese Prozedur hat keine Auswirkung auf die späteren Tests mit den Ratten, das haben die Forscher untersucht. In einem Käfig im Testraum läuft sich bereits eine Riesenhamsterratte warm. Es ist Keane. Der Käfig besteht vorne und an den Seiten aus Glas, damit die Mitarbeiter genau sehen können, was die Ratte macht. Zwei Trainer platzieren eine Metall-Stange mit zehn Löchern unter dem Käfig [Geräusch], in jedem Loch befindet sich eine Auswurf-Probe.
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    Eine Riesenhamsterratte des TB-Programms von Apopo wird gefüttert. (Apopo/Lieve Blancquaert)
    Dann geht es los: Nach und nach zieht einer der Trainer am Käfig kleine Plättchen nach vorne, die Proben werden nacheinander freigelegt und Keane schnuppert an Loch 1, 2, 3 und so weiter – in Windeseile. Nur manchmal verharrt er an einem Loch. Von Probe 5 wissen die Trainer bereits, dass sie Tuberkulose positiv ist. Der Klicker ertönt und Keane bekommt an einem kleinen Fenster am Ende des Käfigs seine Belohnung. Schon rennt er weiter. Und stoppt noch einmal, bei Probe 10.
    Zögert eine Ratte an einem Loch mit unbekanntem Befund, machen sich die Trainer eine Notiz. Diese Proben werden später mit dem Mikroskop auf Tuberkulose-Bakterien untersucht. Der Klicker gibt in diesen Fällen aber keinen Ton von sich, da die Mitarbeiter ja nicht sicher wissen, ob die Proben positiv oder negativ sind.
    "Wir finden eine Menge neuer Tb-Patienten. 2013 haben wir 1800 zusätzliche Patienten aufgespürt, die das Gesundheitssystem nicht auf dem Schirm hatte."
    Christiaan Mulder arbeitet als Epidemiologe für Apopo. Die Organisation, erzählt er, setzt die Riesenhamsterratten in Afrika und Südostasien schon seit mehr als zehn Jahren bei Landminen ein. Die Nager haben gelernt, TNT zu erschnüffeln. Im verminten Gelände ist das für sie ungefährlich, da die Minen durch das geringe Gewicht der Tiere nicht explodieren. Vor ein paar Jahren kam dann die Idee auf, die Ratten auch auf die Erkennung von Tuberkulose zu trainieren. Der Auswurf von Erkrankten kann selbst für Menschen manchmal unangenehm riechen.
    "Wir brauchen kaum technisches Gerät, um mit den Ratten zu arbeiten im Vergleich zu den recht aufwändigen molekularbiologischen Verfahren in den Industrieländern."
    An Tuberkulose erkranken weltweit jedes Jahr etwa neun Millionen Menschen, rund 1,5 Millionen sterben, jährlich. Besonders häufig ist die Krankheit in Asien und in einigen Ländern Afrikas. Tansania ist besonders betroffen, hier steigt die Zahl der Erkrankten an, 60.000 neue Patienten kommen jedes Jahr hinzu. Ausgelöst wird Tuberkulose von Mykobakterien, die sich vor allem in der Lunge vermehren und sie zerstören.
    Mulder: "In den meisten afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist das Gesundheitswesen auf Mikroskope angewiesen, um Tuberkulose zu diagnostizieren. Die Sensitivität dieser Methode ist aber sehr gering, viele Tuberkulose-Patienten werden übersehen."
    Tuberkulose-Diagnose übersieht in Afrika viele Fälle
    40 bis 80 Prozent der Erkrankten fallen dabei durchs Raster. Kommen Keane und die anderen Riesenhamsterratten zum Einsatz, sind es nur etwa 20 bis 30 Prozent, 70 bis 80 Prozent der Betroffenen können die Nager also ausfindig machen. Das Training dauert zwar sechs bis neun Monate, dafür ist die Ratte dann aber bis zu sieben Jahre einsatzbereit. Und dabei sind Keane und seine Kollegen sogar etwas günstiger als die Mikroskopie, pro untersuchter Probe gerechnet. Das könnte sich vor allem dann auszahlen, wenn man in großen Menschenmengen die wenigen Kranken aufspüren will.
    "Wir denken darüber nach, die Ratten für Massen-Untersuchungen einzusetzen. Man könnte mit einem mobilen Labor zu Tuberkulose-Risikogruppen fahren, zum Beispiel zu Minen oder Gefängnissen. Dort könnten wir aktiv nach Infizierten suchen, bei denen Tb noch nicht festgestellt wurde, anstatt nur zu warten. Denn in der Zwischenzeit können sie andere Menschen anstecken."
    Rainer Ehmann: "Wo es sehr häufig Tuberkulose gibt, für solche Länder braucht man eine Methode, die sehr schnell funktioniert, dann trotzdem zuverlässig funktioniert und die an die Gegebenheiten dort angepasst ist. Hochtechnisierte elektronische Geräte können zwar inzwischen Ähnliches leisten, aber die sind noch sehr viel langsamer und sie sind wesentlich störanfälliger und auch wesentlich teurer im Unterhalt.
    Erste Projekte zeigen: Tierische Nasen könnten ihren Beitrag leisten in der Medizin.
    Ehmann: "Ich denke, das ist ein über Jahrmillionen entwickeltes Detektorsystem, das der Technik, auch der Biotechnologie, noch weit voraus ist.
    Tierische Nasen könnten aber auch als Modell dienen.
    "Wenn unser Fernziel ist, künstliche Nasen zu schaffen, die besonders empfindlich sind, die besonders gut verschiedene Düfte unterscheiden können, da liegt es nahe, dass wir in der Evolution nachschauen, bei verschiedenen Tierarten, denn das sind genau die Probleme, die die Tiere ja auch über die Jahrmillionen gelöst haben: viele Düfte zuverlässig und wiederholbar zu erkennen."
    Also - tierische Nasen als Vorbild für elektronische Nasen.
    Sensoren nach tierischem Vorbild
    An der Hochschule Reutlingen forscht Jörg Baumbach an und mit elektronischen Nasen für die Medizin. Es gibt unterschiedliche Gerätetypen, doch eines ist ihnen gemeinsam: Sie haben es mit verschwindend kleinen Stoffmengen zu tun.
    "Spurenstoffe in einem Bereich, den man sich sehr schwer vorstellen kann, also Piko- bis Nanogramm pro Liter. Stellen Sie sich vor, nehmen wir den Bodensee und man nimmt eine Tasse Kaffee, die Tasse Kaffee kippt man in den Bodensee. Und dann möchte man anschließend noch bestimmen, was es war und wie viel es war. Und das bewegt sich ungefähr in dieser Größenordnung, dass man also sehr geringe Konzentrationen in der Ausatemluft bestimmen kann, um dann auf den Gesundheitszustand oder einen Stoffwechselzustand zurückzuschließen."
    2009 hatte der Physiker ein Spin-Off-Unternehmen mitgegründet, das aus dem Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften in Dortmund hervorging und das Spektrometer herstellt. Er hat sich mittlerweile aus der Geschäftsführung zurückgezogen und ist Professor für allgemeine und analytische Chemie.
    "Also eigentlich geht der Bereich von der klassischen Nase, das ist ein Sensorsystem, bis zum anderen Ende: Massenspektrometrie, große Geräte, raumfüllende Geräte, mit denen man alles machen kann, die man aber nicht so leicht zum Patienten führen kann. Und in der Mitte gibt es noch Ionenbeweglichkeitsspektrometer und andere Spektrometer, die also nicht ganz so groß sind. Und so reicht das Spektrum von klein – elektronische Nase, über mittel – am Patienten einsetzbar, bis groß – im Labor einsetzbar, je nachdem, welche Fragestellung man beantworten möchte."
    Bislang setzen Jörg Baumbach und seine Kollegen elektronische Nasen und Spektrometer nur in ihren Laboren ein, in die Arztpraxen und Krankenhäuser haben es diese Geräte bis auf eine Ausnahme noch nicht geschafft. Diese Ausnahme ist der Stickstoffmonoxid-Gehalt in der Ausatemluft, der als recht sicherer Nachweis für eine Asthma-Erkrankungen dienen kann. Davon abgesehen sind die Wissenschaftler noch dabei, die Grundlagen zu erforschen. Es gab zwar Versuche, über die Ausatemluft etwa unterschiedliche Krebsarten, Infektionen oder Sepsis nachzuweisen, aber der Weg bis zu einer gesicherten Diagnose ist noch lang.
    "Wenn man gar nichts weiß, sollte man Massenspektrometer nehmen. Wenn man etwas weiß, Ionenbeweglichkeitsspektrometer. Und wenn man genau ein Biomolekül hat, dann findet sich ein Sensor, der genau dieses Molekül detektieren kann."
    Vor Jörg Baumbach auf dem Tisch steht ein kleines graues Kästchen, das über einen dünnen Schlauch mit einem Ionenbeweglichkeitsspektrometer von der Größe eines Aktenkoffers verbunden ist.
    "Man nimmt ein Mundstück. Ich packe es aus, es ist desinfiziert. Ich nehme es in die Hand. Stellen Sie sich vor, es ist ein Röhrchen, zehn Zentimeter lang, innen hohl, zylindrisch."
    Der Forscher steckt das Mundstück in das kleine graue Kästchen, ein Spirometer. Darüber lässt sich exakt einstellen, wie viel Ausatemluft von dort ins Spektrometer gelangen soll.
    "Ich nehme es in den Mund und atme ein und aus."
    Wenig später sind die unterschiedlichen Ionen der Ausatemluft im Spektrometer eine bestimmte Strecke umhergesaust. Dies lässt sich am Computer auswerten.
    "Und jeder dieser Punkte, der hier entsteht, hat als charakteristische Eigenschaft eine Retentionszeit und eine Driftzeit. Und wenn man das Spektrometer vorher kalibriert hat, kann man aus der Retentionszeit und aus der Driftzeit auch schließen, welcher Analyt gerade an dieser Position erscheint und aufgrund der Höhe der Signale kann man auch schließen, wie viel es ist."
    Nach wenigen Minuten liegt das Ergebnis vor:
    "Und Sie sehen hier inzwischen ein Muster meiner Ausatemluft-Probe. Zugegebenermaßen, es ist ein bisschen Kaffee drin. Es ist auch... Da ich vor einiger Zeit etwas gegessen habe, sind Signale vom Essen drin. Es ist ein bisschen Aceton, es ist ein bisschen Alkohol im Spurenbereich, und ein paar andere flüchtige organische Verbindungen sind zu sehen, die bei jedem Menschen vorhanden sind, sonst würde er nicht leben."
    Jörg Baumbach hat ein Muster seiner Ausatemluft erhalten. Solche Muster haben andere Forscher auch schon vor sich liegen, aber daraus können sie noch nicht eindeutig herleiten, welche Analyte aus dem Atem etwa charakteristisch für einen Lungenkrebs sind. Auch Umweltmediziner Rudolf Jörres von der Uniklinik München forscht seit vielen Jahren in diesem Bereich.
    "Welche von denen bedeutsam sind, das wissen wir einfach nicht zur Zeit. Und es muss ja keineswegs so sein, dass eine am meisten vorkommende Komponente auch am bedeutsamsten ist. Das ist der eine Punkt. Und der andere Punkt ist, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass für die meisten interessanten Erkrankungen eine einzelne Komponente nur verändert ist. Man muss da wahrscheinlich tatsächlich auf ein Muster, also auf eine Zusammenstellung, eine Kombination mehrerer Komponenten schauen."
    Fruchtfliegen schnuppern Krankheiten
    Auch der Würzburger Arzt Thorsten Walles möchte herausbekommen, was den Atem eines Kranken anders riechen lässt. Er arbeitet zur Zeit an einer neuen Studie mit, bei der Hunde und elektronische Nasen zum Einsatz kommen sollen.
    "Die Chemiker, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, finden es ehrenrührig, dass die Hunde in der Lage sind, etwas nachzuweisen, was sie mit ihrem ganzen apparativen Aufwand nicht können. Und ich habe erlebt, wie motiviert die an die Sache herangehen und, ja, ich glaube, dass die etwas herausbekommen werden."
    Seit mehr als 20 Jahren entwickeln Forscher elektronische Nasen unterschiedlicher Art, manchmal können sie kleine Erfolg verzeichnen, auch, weil sie sich im Tierreich so manches abgeschaut haben. Zum Beispiel bei der Fruchtfliege.
    "Wir haben in den Arbeiten der letzten Jahre auch oft gesehen, dass das olfaktorische System, also das Duftriechsystem der Fruchtfliege sehr, sehr breit gefächert ist. Viele, viele Chemikalien können gerochen werden, sehr viel mehr Chemikalien, als wir in einem normalen ökologischen Alltag der Fruchtfliege erwarten würden."
    Professor Giovanni Galizia, Zoologe und Neurobiologe an der Universität Konstanz.
    "Und da lag dann der Schritt zu ganz, aus Sicht der Fliege, ganz abstrusen Düften relativ nahe."
    Etwa dem Duft von Brustkrebszellen. Galizia und seine Kollegen arbeiten mit besonderen Fruchtfliegen. Sie besitzen im Erbgut der Duftsinneszellen ein neues Gen. Dieses sorgt dafür, dass ein grün leuchtendes Protein in den Zellen entsteht. Es leuchtet umso stärker, je höher die Calcium-Konzentration in den Duftsinneszellen ansteigt. Das ist immer dann der Fall, wenn die Fliege etwas riecht.
    Eine Fruchtfliege im Flug
    Fruchtfliegen werden von ihrem Geruchssinn zielsicher zu Apfel, Birne und Banane geleitet. (dpa / Björn Brembs)
    "Die verschiedenen Rezeptorzellen reagieren auf unterschiedliche Duftgruppen, unterschiedliche Moleküle. Und dadurch entsteht bei jedem Duft ein charakteristisches Muster. Die eine Rezeptorzelle reagiert stark, die andere ein bisschen schwächer, die dritte gar nicht, die vierte irgendwo dazwischen."
    Sprecher:
    Die Forscher fixieren die kleinen Insekten unter einem Fluoreszenzmikroskop. Dann leiten sie mit einem dünnen Schlauch Luft auf die Antennen, die sie zuvor über den Kulturschalen verschiedener Brustkrebs-Zelllinien abgesaugt haben. Unter dem Mikroskops entstehen schließlich 3D-Bilder mit grünlichen Flecken. Die Fliegen mussten dafür nicht trainieren, sie riechen einfach.
    "Was wir gesehen haben ist, dass verschiedene Krebszelllinien unterschiedliche Muster, aber zueinander ähnliche Muster erzeugen im Vergleich zum Nährmedium, was immer in diesen Kulturen mit drin ist, und im Vergleich zu gesunden Zellen."
    Wenn die Fruchtfliegen Brustkrebszellen riechen, entsteht also ein deutlich anderer Fingerabdruck als bei gesunden Zellen.
    "Das heißt, es gibt etwas, in den krebskranken Zellen, was die produzieren, was riecht, was als Substanz oder als Gruppe von Substanzen besonders ist. Oder, und das ist eigentlich eher unsere Hypothese, oder es ist eine Verschiebung von den Substanzen, die darin sind."
    Wie genau die Ingredienzien aussehen, treibt die Grundlagenforscher um, denn mit diesem Wissen ließe sich vielleicht ein Sensor bauen, der zum Beispiel Krebs nachweist. Die Medizin muss aber darauf nicht warten. Denn es gibt sie längst: Riechkünstler, die fast alles am Geruch erkennen. Hunde wie Baya unterstützen heute schon Diabetiker, Ratten wie Keane erkennen Tuberkulose. Denkbar sind weitere Krankheiten und ein noch größeres Team von Riechassistenten: Hirsche, Bienen oder Moskitos gelten als vielversprechende Kandidaten.
    Fußballstadion: In der Luft die Spuren der Großstadt. Feuchtigkeit schleppt Staub mit sich, auf den Rängen nervöse Menschen, Kaugummi kauend, manche hustend. In der Hand eine Bratwurst oder Becher voller Bier.
    Jörg Baumbach: "Dass man nur noch pustet und alle Parameter werden automatisch auf der Gesundheitskarte gespeichert, das glaube ich nicht."
    Tausende flüchtiger Moleküle verlassen ihren Ursprungsort, verteilen sich in der Luft. Empfindliche Nasen können sie deuten.
    Rudolf Jörres: "Man muss aber festhalten, dass der Ansatz, rein anhand der Ausatemluft wertvolle Informationen zu gewinnen, dass der so attraktiv ist, dass man den auf alle Fälle weiter verfolgen sollte, damit tatsächlich etwas herauskommt, womit man was anfangen kann."