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Tierische Wünsche zum Jahreswechsel

Vor 10.000 Jahren holte sich der Mensch das Schwein ins Haus - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Doch es gab in dieser Beziehung stets auch viele Missverständnisse, wie man im Schweinemuseum in Teltow-Ruhlsdorf besichtigen kann.

Von Joachim Dresdner | 30.12.2012
    Das alte Jahr, die arme Sau, geht im Schweinsgalopp zu Ende! Viele wollen alte Ferkeleien lieber vergessen. Das Borstenvieh kann nichts dafür! Es ist ein Glücksbringer. Das Glücksschwein ist das, was wir am liebsten sehen. Liefert Speck, Schnitzel oder Schweinebäckchen in Rotweinsoße. Deshalb fand ich, zum Glück, den Weg vor die Tore Berlin, um den zuständigen Bürgermeister und zwei Tierzuchtexperten zu besuchen. Teltows Bürgermeister, Thomas Schmidt, versteht was von Schweinekoteletts, als gelernter Koch, und von dem berühmten "Teltower Rübchen":

    "Es verbindet sich auch gerne mit dem Schwein auf dem Teller. Man kann es nur empfehlen, klar, das Schwein, und natürlich unser Teltower Rübchen."

    Die Tierzuchtfachmänner Gunter Nitzsche und Thomas Paulke haben das "Deutsche Schweinemuseum" in Ruhlsdorf bei Teltow in den 90er-Jahren aufgebaut. In einem ehemaligen Stall der traditionsreichen Versuchswirtschaft für Schweinehaltung.

    "Viele, die zu uns in die Stadt kommen und damit konfrontiert werden, dass man vom sogenannten 'Schweine-Ruhlsdorf' spricht, denken eher das ist ein Schimpfwort, aber nein, es bezieht sich eben tatsächlich auf diesen Standort dieses Museums und das gibt es nur in unserem Ruhlsdorf und wir sind da auch sehr stolz drauf."

    Messgeräte zur Speckdicke, Dokumente zur Schweinezucht, Züchterbiografien, Fotos von Rassesauen und Ebern. Fast 4000 Exponate! Mit ihrem Museum wollen Paulke und Nitzsche mit "Ferkeleien" aufräumen:

    "Dazu gehört zum Beispiel auch der Ausdruck 'Du dumme Sau'. Das Schwein ist sehr intelligent, man kann es zu erstaunlichen artistischen Leistungen bringen."

    Das Borstenvieh sei gelehriger als Schäferhunde oder Collis und in den USA als Mini-Haustier in Mode.

    "Die andere Seite ist, dass man sagt: 'Du Dreckschwein' und das stimmt auch nicht! Das Schwein ist, wenn man ihm seine natürliche Verhaltensweise ausleben lässt, sehr sauber."

    Seit etwa 10.000 Jahren schon, erfahre ich, halten sich die Menschen Schweine als Haustiere, als lebende Fleischvorräte.

    "Die Kirche spielt auch eine gewisse Rolle in der Darstellung des Schweins, in dem man dem Schwein nachsagt, weil es nun einmal gern frisst, das Schwein ist das Symbol für die Völlerei."

    Eine der sieben Todsünden. Stimmt auch nicht:

    "Sparschwein, also du hast immer das Futter gesammelt im Schwein und Weihnachten, oder in der kalten Jahreszeit, wurde es geerntet."

    Thomas Paulke folgte Gunter Nitzsche als Museumsleiter nach:

    "Früher war das überlebenswichtig. Meine Mutter hat mir so’n alten Fleischwolf vermacht, sagt sie, den habe ich vom Opa, wo die damals aus Pommern geflüchtet sind! Das war für die überlebenswichtig, dass die da Fleisch durchdrehen konnten, da konnten die wieder Wurst machen und konnten das konservieren. Und das war damals ein wichtiges Utensil, was mitgenommen wurde, wenn sie geflüchtet sind."

    Vor Kauf und Kochtopf kommen Zucht und Füttern. Schweine sind fruchtbar, bringen zwei Würfe im Jahr, mit je etwa zehn Jungen. Und: Schweine reden kein Schweinkram!

    "Die Sauen säugen im Prinzip mehrmals am Tag, also in kurzen Abständen, so, dann muss die im Prinzip den Ferkeln signalisieren, ich leg’ mich jetzt hin, jetzt könnt’ ihr kommen. Dieses zufriedene Grunzen, wenn die Muttersau, zum Beispiel, gesäugt wird, oder, wenn sie lockt, wenn sie ihre Ferkelchen lockt, dass sie trinken sollen, wenn dann Gefahr im Verzug ist, dann wird eben laut gekreischt und gequietscht, und wenn’s zum Futtern geht."

    Irgendwann hatte irgendwer die Idee, Schweine mit Geld zu füttern. Ein rosa Schweinchen mit einem Schlitz auf dem Rücken aus Ton gebrannt:

    "Ja, das ist eine Darstellung aus dem 13. Jahrhundert, das hat man gefunden in Billeben in Thüringen. Das Schwein sitzt auf den Hinterbeinen, es gibt noch keinen Verschluss, das heißt, wenn man dann an das Geld heran möchte, an den Sparinhalt, dann muss man es wirklich mit dem Hämmerchen zerstören."

    Schweine aus Ton, Gips oder Messing. In einer Glasvitrine zeigt mir Gunter Nitzsche:

    "Zum Beispiel ein chinesisches Messingschwein. Hier haben wir ein mexikanisches Schwein, sehr schön anzuschauen, auch alte Opfergefäße. Das Hausschwein, die Menschen mussten nicht mehr Jäger sein. Sie konnten einer Sau sogar Schmuck abgewinnen.

    Eine Schweinzahnkette. In der Kette sind Muschelteilchen enthalten und dann ist daran ein Hauerzahn befestigt."

    Muttersau "Bettina" brachte 175 Ferkel zur Welt. Das Prachtschwein gibt’s - in Gips:

    "Das ist ein Gipsabdruck, colorierter Gipsabdruck, dieser besonderen Sau, die hier in Ruhlsdorf gestanden hat."

    Die fleißigste Ruhlsdorfer Muttersau blieb lange in der Versuchswirtschaft:

    "Die Ahnherrin der Zuchtleistungsprüfung. Sie hat dann auch hier vom damaligen Direktor Müller das Gnadenbrot bekommen und ist dann im Alter von zwölf Jahren erst gestorben. Normalerweise wird eine Sau nicht älter als fünf, sechs Jahre."

    Den aktuellen Wurfrekord hält eine bayerische Sau mit 230 Ferkeln!
    Das Borstenvieh. Seine größten Verzehrer sind die Deutschen: Bis 45 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Ich möchte noch etwas wissen …

    "Über das Schwein und den Jahreswechsel."

    "Ja, Herr Nitzsche. Marzipanschwein mit Kleeblatt oder Münze in der Schnauze und einem Schornsteinfeger auf dem Rücken: Das Glückssymbol schlechthin! Auf einer bunten Karte ließ sich das – in den 30er-Jahren – noch steigern. Wo? Na, in Berlin."

    Man sieht auf dieser Darstellung beschwipste Schweine unter dem Brandenburger Tor, beschwipste Schweine ziehen durch Berlin.

    Ich glaub‘, mein Schwein pfeift! Zum Finale stehe ich vor einem ausgestopften Edel-Eber:

    "Der hat ja wirklich sein "Geschäft" erledigt, in einer Besamungsstation in Westfalen, der Eber 'Finale'."

    Der Besamungseber steht neben dem Holzimitat eines Schweinehinterteils zur Samengewinnung. Da hinein ejakulierte "Finale". So hing die Vermehrung nicht mehr von der Liebesfähigkeit eines Ebers ab. Zuviel Schwein? Rund 23 Millionen Tiere sollen in deutschen Ställen stehen. Der schlussendliche Einwand von Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt:

    "Aber es ist auch ein High-Tech-Standort Teltow und darum sprechen wir auch von der Rübchenstadt mit Spitzentechnologie."

    Schwein gehabt – die Kurve noch mal gekriegt!