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Tierisches Geschnatter

Das Erste zeigt an Weihnachten die Verfilmung des Jugendbuchklassikers "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" von Selma Lagerlöf. Die Arbeit mit den Tieren in diesem Film hat der Tiertrainer Marco Heyse gemacht. Wie man Gänse auf Kommando zum Schnattern, Fliegen und Laufen bringt, verrät er im Corso-Gespräch.

Marco Heyse im Gespräch mit Hartwig Tegeler | 16.12.2011
    Hartwig Tegeler: Marco Heyse, was ist denn eigentlich, wenn man mal die ganzen Tiere in all diesen Filmen nimmt, was sind denn aus Ihrer Sicht eigentlich die Grundprinzipien des Tiertrainings, wenn man denn tatsächlich ein Tier in einen Film reinkriegen will?

    Marco Heyse: Also, das Tier muss ja vor der Kamera auf den Punkt funktionieren, wie ein Schauspieler agieren. Das heißt, es muss an dem Punkt, wo das Licht gesetzt ist, stehen bleiben, sodass das für uns immer so ein bisschen Puppenspiel. Also, wir sind dann hinter der Kamera, sodass wir die Tiere dirigieren, an den Punkten stoppen, vielleicht dann zum Bellen auffordern, wenn es beispielsweise ein Hund ist, durch Gesten, weil der Ton ja nicht leiden soll, dann wieder zum Weitergehen auffordern, sodass wir hinter der Kamera immer so eine Choreografie aufführen, auf die das Tier dann reagiert.

    Tegeler: Und wie schafft man das, dass die Tiere das machen. Ist das eine Art von Domestizierung, ist das wirklich ein Lernprozess, den die Tiere durchlaufen müssen?

    Heyse: Also, wir arbeiten natürlich mit Tieren, die da ein Talent zu haben, die da Spaß dran haben. Also, das ist ganz wichtig, weil wir ja nicht mehr einwirken können auf das Tier. Also, man will vor der Kamera kein leidendes oder unglückliches Tier sehen, und das kann man auch erkennen, dass wir eben auch nur mit Tieren arbeiten können, die dran Spaß haben. Das heißt, ein bisschen ist es so, als würden wir die Tiere aufziehen. Also, wir geben denen Instruktionen, was sie machen sollen, das muss natürlich trainiert werden, dann lässt man das Tier los, und es muss wirklich freudig und selbstständig die Handlung, die es gelernt hat, abspulen, damit es auch hinterher so aussieht, als wäre der Hund glücklich, weil der Hund spielt es nicht. Wenn der Hund mit dem Schwanz wedelt, dann freut er sich auch.

    Tegeler: Das Tier muss aber im Prinzip ja so tun, wenn es um eine Art von Kommunikation zwischen der Figur, also sprich dem Schauspieler Mensch und dem Schauspieler Tier geht, muss ja so tun, wenn ich das richtig verstehe, dass das Tier sich in irgendeiner Art und Weise auch bezieht auf den Schauspieler?

    Heyse: Ja, das ist, finde ich, für meine Arbeit immer ganz wichtig. Also, man sieht manchmal Tiere im Film, die wirklich am Schauspieler vorbei gucken, und dann weiß ich natürlich, okay, das steht der Trainer dahinter und gibt Instruktionen oder man hat ein Tier, das auch auf den Schauspieler achtet und dem Dialog folgt und den Kopf bewegt. Also, da muss man immer einen Mittelweg finden, dass man das Tier auf der einen Seite immer noch anlenken kann und auf der anderen Seite das auch natürlich aussieht. Und das ist so ein bisschen mein Ansatz, dass ich versuche, die Schauspieler zu instruieren, dass sie möglichst viel selbst machen können mit den Tieren.

    Tegeler: Marco Heyse, muss man denn als Tiertrainer eine Beziehung haben zu diesen Tieren, mit denen man an so einem Riesenset - laut, krachig, viele Lampen und so weiter -, mit denen man da arbeitet, oder ist das einer Ihrer Angestellten?

    Heyse: Nein, das ist eine sehr gute Frage. Also, man muss natürlich eine Beziehung zu dem Tier haben. Und Vertrauen spielt da eine ganz große Rolle. Also, es ist natürlich wichtig: Man muss natürlich auch Talent als Tiertrainer mitbringen. Das Talent zum einen, das richtige Tier auszusuchen. Und auf der anderen Seite muss das Tier dann soviel Vertrauen haben zu wissen, okay, auch, wenn ich ein Lasso ums Bein habe, an dem an mir gezogen wird, wenn der das macht, dann wir das in Ordnung sein. Also, dieses Vertrauen spielt da eine ganz große Rolle.

    Tegeler: Sie sind ja nun engagiert als Tiertrainer für einen Film, also für Dreharbeiten unter einem strikten, wahrscheinlich immer engen Zeitplan. Was ist denn nun, wenn Ihr Partner, der für Sie ja diesen Job macht, wenn der an diesem Tag nicht kann? Gibt es solche Tage?

    Heyse: Man ist natürlich ein bisschen immer auf das Tier angewiesen. Deshalb gibt es auch manchmal Tage, wo ich denke, ach, wäre ich doch Tischler geworden. Da weiß ich, was ich mit meinem Hobel machen kann. Klar, wenn das Tier krank ist, ist es krank. Dafür hat auch jeder Verständnis. Aber, wenn das Tier gesund ist und trainiert ist, dann muss das natürlich auch auf den Punkt klappen. Natürlich darf mal bei fünf Takes auch etwas nicht klappen, auch ein Schauspieler vergisst mal einen Satz, aber in der Regel ist gerade das Drehen mit Tieren natürlich so, dass die Leute Angst haben, dass da Zeit draufgeht. Und das möchte ich vermeiden, und man muss eben wirklich dann auf dem Punkt mit diesen Tieren arbeiten. Und das ist manchmal sehr schwer und kostet auch ganz viel Energie. Auch, wenn am Set totaler Druck herrscht, man muss diese gute Laune irgendwie immer in diesem Tier erhalten.

    Tegeler: Weil das Problem ist ja, dass das dem Tier relativ egal ist, ob der Regisseur gerade einen Oscar verdienen will oder nicht. Das Tier ist ja einfach immer nur authentisch.

    Heyse: Ja, genau. Und für mich ist die anstrengendste Arbeit am Set: Ein Hund, der sich freuen soll, und alle haben schlechte Laune. Auch der Schauspieler, der vielleicht mit dem Hund agieren muss, auch, wenn er sehr professionell ist, er trägt das irgendwie in sich. Und Hunde, gerade Hunde, sind da ganz, ganz sensibel. Aber auch andere Tiere. Und wenn der den dann anspringen soll und sich freuen soll, und der aber gerade keine Lust mehr hat zu spielen, dann ist das ganz, ganz schwer.

    Tegeler: Interessant ist das immer in Filmen, wo Pferde sind, und wenn man so einen gewissen Blick dafür hat, sieht man ja Zeichnungen an Pferden. Die haben eine Blesse, die haben einen weißen Mund, und dann, wenn man mal wirklich kritisch hinguckt, was einen die Illusion des Filmes manchmal auch nehmen kann, stellt man fest, beim nächsten Schnitt hat der doch gar keine Blesse mehr, also, mit anderen Worten, es wird mit mehreren Pferden gearbeitet. Gehen Sie beispielsweise für eine Hunderolle mit zwei Hunden an den Set?

    Heyse: Ich gehe nie mit - also ganz selten mit zwei Hunden an den Set. Es ist aber nicht so, dass ich das nicht machen möchte. Ich würde gerne ein zweites Tier als Backup haben, weil jedes Tier kann andere Sachen gut. Also, man kann dann auch sagen, okay, der bellt wie ein Wahnsinniger, der andere geht aber besser ins Wasser. Das ist in Deutschland aber ganz einfach ein Kostenfaktor. Das wird keine Produktion bezahlen.

    Tegeler: Sie haben das Tiertraining gemacht für die erste Realverfilmung des Literaturklassikers "Nils Holgersson". Es gibt eine Dokumentation über Ihre Arbeit als Tiertrainer. Und da ist eine wunderschöne Szene, wo eine Gans einfach stiften geht.

    Heyse: Ja, das sind natürlich so Momente, wo man denkt, das muss jetzt nicht passieren. Klar, das führt in dem Fall entweder tatsächlich zu einem Drehabbruch oder zumindest zu einer Verkleinerung des Tiertrainerteams. Ich habe dann mit einem Praktikanten die Gans gesucht und mein Kollege hat die Dreharbeiten weiter betreut. Das ist was, was man nicht braucht in dem Moment.

    Tegeler: Marco Heyse, es gibt ja durchaus eine Schattenseite bei dieser sehr großen Präsenz von Tieren in Filmen. Also sowohl in Animationsfilmen Findet Nemo - oder in Realfilmen wie jetzt in Nils Holgersson: Dass die Kinder, für die das ja auch ganz stark als Publikum ausgerichtet ist, natürlich eine große Faszination bekommen für die Tiere und danach zu Papa und Mama sagen, ich möchte aber auch gerne so ein Tier haben, und die landen dann nach kurzer Zeit, weil es ja auch sehr komplex ist, mit so einem Tier zu leben, landen dann an der Straße, an der Autobahn oder wo auch immer. Ist das etwas, was Ihnen manchmal Sorge macht?

    Heyse: Ich denke, dass es gut ist, wenn die Tiere Kindern oder auch Erwachsenen nahe gebracht werden. Es ist natürlich eine verantwortungsvolle Sache, aber da kann man, glaube ich, nichts dran ändern. Also, wenn jetzt keine Tiere gezeigt werden, dann glaube ich nicht, dass Leute verantwortungsvoller werden. Es ist schlichtweg Dummheit zu denken, ein Tier erfordert keine Arbeit. Und das können wir auch nicht ändern. Da sind wirklich die Eltern gefragt, sich vorher zu informieren und tatsächlich sich vielleicht mal mit Leuten auseinanderzusetzen oder auch auf Probe ein Hund aus dem Tierheim zu nehmen und zu gucken, ob das funktioniert.
    Tegeler: Marco Heyse, Tiertrainer, warum haben wir doch so relativ viele Filme inzwischen über Tiere, mit Tieren: Was regt das aus Ihrer Sicht an? Warum mögen wir die so gerne sehen auf der Leinwand oder im Fernsehen?
    Heyse: Also, Tiere begleiten uns ja schon seit der Menschwerdung. Also, seit es Menschen gibt. Also, einen Hund gäbe es nicht, gäbe es keinen Menschen. Also, ein Hund war ja nie ein Wildtier, also, das ist ein Haustier immer gewesen und ähnliche Tiere, Pferde, leben domestiziert seit Jahrhunderten mit dem Menschen zusammen, und ich denke, dass es da einfach eine Art Verbindung gibt, die uns was gibt, die uns Wärme gibt oder ein schönes Gefühl. Und, wenn man das vielleicht in der Stadt nicht hat, kann man sich einen Teil davon durch solche Filme einfangen.
    Tegeler: Und auf der anderen Seite ist dann natürlich die Tiefkühltheke im Supermarkt, wo abgepackt das Teil des Tieres liegt, was man isst. Ist ja auch ein ziemliches Missverhältnis in unserer Gesellschaft.

    Heyse: Ich sehe meine eigenen Tiere, und ich bin sehr gut befreundet mit einem Biobauern, wo ich weiß, wo kommt das Fleisch her, wo leben die Schweine, ja, da verantwortungsvoll mit umzugehen, wird sicherlich weiterhin für uns eine Aufgabe sein. Ja, und auch das weiterzugeben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Fernsehetipp:
    Das Erste sendet den zweiteiligen Spielfilm Nils Holgerssons wunderbare Reise am 25.12.2011 um 16 Uhr (Teil 1) und am 26.12.2011 um 16:20 Uhr (Teil 2). Zudem zeigt die ARD die dreiteiligen Tiertraining-Doku Eine Gans für Nils Holgersson. Sendetermine sind der 17.12.2011 um 10:30 Uhr, der 24.12.2011 um 11 Uhr und der 25.12.2011 um 9:35 Uhr.