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Tierisches Sozialleben
Hierarchie-Sprache bei Erdmännchen

Sie teilen sich die Arbeit bei der Aufzucht der Jungen und halten abwechselnd Ausschau nach Angreifern. Erdmännchen leben in komplexen Sozialgefügen. Die Beziehungen der einzelnen Tiere sind dabei hierarchisch organisiert. Verhaltensforscher wollten herausfinden, ob sich das auch in ihrer akustischen Kommunikation widerspiegelt.

Von Lennart Pyritz | 01.10.2015
    Die Erdmännchen im Zoo Neuwied
    Erdmännchen regulieren also tatsächlich wie sie klingen, je nach benachbartem Tier. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Bei Erdmännchen pflanzt sich meist nur ein Paar pro Gruppe fort. Die anderen Weibchen bekommen selbst keinen Nachwuchs, sondern helfen, die Jungen des dominanten Weibchens groß zu ziehen. Doch auch unter den untergeordneten Weibchen gibt es eine Hierarchie: Je älter und schwerer ein Tier, desto höher der Rang. Zu offen ausgetragenen Kämpfen kommt es dabei erstaunlicherweise selten.
    "Erdmännchen haben ein sehr großes Repertoire an Lauten, mit dem sie ihr Sozialleben koordinieren. Wir haben überlegt: Auch die Hierarchie unter den Weibchen könnte durch Vokalisationen ausgedrückt und aufrecht erhalten werden, um Konflikte zu vermeiden."
    Inês Braga Gonçalves ist Biologin. Nach einer Doktorarbeit über Seenadeln wechselte sie 2011 an die Universität Zürich, um das Sozialleben von Erdmännchen zu erforschen. Um ihre Idee der akustischen Hierarchie zu prüfen, untersuchten sie und ihre Kollegen Erdmännchen im Forschungsgebiet des Kalahari Meerkat Project. Dort, in der südafrikanischen Trockensavanne, erkunden Wissenschaftler seit Jahrzehnten das Verhalten der Tiere. Für die aktuelle Studie nahmen die Forscher sogenannte "close calls" ins Visier. Die Vokalisation ist typisch für die ausgedehnten Streifzüge der Tiere nach Nahrung.
    "Diese Rufe äußern sie ständig. Das dient einerseits dazu, die anderen nicht zu verlieren. Und gleichzeitig auch dazu, sich bei der Nahrungssuche nicht in die Quere zu kommen."
    Rufe aus schnellen Pulsgeräuschen
    Die Rufe setzen sich aus schnellen Pulsgeräuschen zusammen und klingen bei jedem Tier etwas anders.
    Doch variieren die Tiere, wie oft sie rufen oder die Abfolge einzelner Lautelemente, je nachdem, wer zuhört? Um die Frage zu beantworten, nahmen die Forscher in hunderten Situationen Rufe von Weibchen mehrerer Gruppen bei der Nahrungssuche auf. Gleichzeitig notierten sie, wie weit das jeweils nächste Weibchen entfernt war und wie die Tiere in der Rangordnung zueinander standen. Anschließend analysierten sie am Computer die Rate und zeitliche Struktur der Rufe, darunter die Gesamtlänge und die Länge der Intervalle zwischen den einzelnen Pulsgeräuschen.
    "War das dominante Weibchen das nächste, haben alle Tiere ihre Rufe angepasst. War das benachbarte Tier rangniedriger, haben die älteren subdominanten Weibchen dagegen nie ihre Lautäußerungen verändert. Die jungen Weibchen wiederum haben ihre Rufe gegenüber älteren besonders stark angepasst: Je näher die Nachbarin, desto mehr Rufe. Je weiter entfernt, desto längere Pulsgeräusche und kürzere Intervalle. Erdmännchen regulieren also tatsächlich wie sie klingen, je nach benachbartem Tier."
    Dabei sei durchaus eine Analogie zu Gesprächen unter Menschen vorstellbar.
    "Gegenüber einem Vorgesetzten sprechen wir manchmal schnell, um schnell damit fertig zu sein. Etwas Ähnliches könnten die älteren untergeordneten Weibchen machen, wenn sie in die Nähe eines dominanten kommen: Sie äußern besonders kurze Rufe. Sie zeigen, dass sie da sind, aber wollen nicht viel Aufmerksamkeit erzeugen. Auf der anderen Seite gibt es auch Situationen, in denen Menschen sehr zugewandt und langsam sprechen, um jemandem Respekt zu zeigen. Die eigenen Lautäußerungen jeweils gezielt anzupassen, könnte ein Weg sein, Konflikte von vornherein zu verhindern."
    Analogie zu Gesprächen unter Menschen
    Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler Play-back-Experimente machen, die Erdmännchen also gezielt mit akustischen Hierarchiebrüchen beschallen. Die Reaktionen der Tiere könnten dann zeigen, wie fein sich die Rangordnung in den Lautäußerungen widerspiegelt. Eine Erkenntnis habe die Studie in jedem Fall schon gebracht, sagt Inês Braga Gonçalves: Lange Zeit sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass tierische Rufe aufgrund anatomischer und genetischer Beschränkungen starr sind. Die Erdmännchen seien dagegen in der Lage, ihre Lautstruktur flexibel anzupassen - eine Fähigkeit, die im Tierreich bislang weitgehend übersehen worden sei.