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Tiermehl muss offen deklariert werden

    Remme: Wir kommen zum Thema BSE. Immer neue Fälle, immer mehr Fragen über mögliche Übertragungswege, neue Schnelltests, die viele Millionen kosten, und ge-sundheitliche Folgen für den Menschen, die bisher nur sehr schwer abzuschätzen sind. Vielen Verbrauchern bleibt das Rindfleisch zur Zeit im Halse stecken. Die Politik bemüht sich um Schadensbegrenzung, doch das Vertrauen in gesundes Fleisch ist einmal mehr stark beschädigt. Insbesondere wird von vielen Seiten gefordert, die Fütterung mit Tier-mehl müsse nicht nur mit Blick auf Wiederkäuer, sondern generell gestoppt werden. Bun-deslandwirtschaftsminister Funke war bisher dagegen, doch Bundeskanzler Schröder vertrat gestern in Brüssel folgende Meinung:

    O-Ton Bundeskanzler Schröder: Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, wahrlich nicht, aber dass die Verfütterung von Tiermehl an Nutztiere, die sich normalerweise von Pflanzen ernähren, Probleme mit sich bringt, ich glaube das kann man auch als interes-sierter Laie begreifen. Anders ausgedrückt: ich bin durchaus dafür, eine solche Verfütte-rung zu verbieten. Das Problem, das sich auftut, ist, glaube ich, dass es auch funktionie-ren muss, dass man wissen muss, welche Konsequenzen das hat, sowohl was die Fut-termittelbereitstellung angeht als auch was die Entsorgung dieses bisher gebrauchten Futtermittels angeht. Ich muss Ihnen aber ehrlich sagen, wenn ich die Wahl habe zwi-schen der Lösung dieses gewiss nicht einfach zu lösenden Problems und der Sorge für die Gesundheit der Menschen, für die ich verantwortlich bin, dann steht Gesundheitsvor-sorge bei mir ohne jede Einschränkung ganz oben an. Die damit verbundenen ökonomi-schen und entsorgungstechnischen Probleme muss man so rasch wie es geht lösen.

    Remme: So weit Gerhard Schröder gestern in Brüssel. - Wie soll es nun weiterge-hen? Wie kann das Vertrauen der Verbraucher zurückgewonnen werden? Darüber möchte ich jetzt sowohl mit Dagmar Roth-Behrendt sprechen, der gesundheitspolitischen Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, als auch mit Bauernpräsi-dent Gerd Sonnleitner. Beide sind am Telefon. Guten Morgen!

    Roth-Behrendt: Guten Morgen.

    Sonnleitner: Guten Morgen.

    Remme: Herr Sonnleitner, beginnen wir mit Ihnen. Hat der Bundeskanzler Recht? Sollten wir generell auf Tiermehl verzichten?

    Sonnleitner: Es ist sehr interessant, was der Bundeskanzler gesagt hat, weil wir dies in Deutschland ja bereits schon immer vertreten und auch immer so machen, nämlich kein Tiermehl an Wiederkäuer, das heißt kein Tiermehl an Pflanzenfresser wie das Schaf und das Rind. Wir haben in Deutschland Tiermehle nur an Schweine und Geflügel, also an Tiere verfüttert, die in der freien Natur auch Allesfresser sind. Und wir haben noch eins gemacht, dass wir unser Tiermehl hochdrucksterilisiert haben, wie das Operationsbesteck zum Beispiel in den Kliniken. Wir haben immer alle Vorschriften beachtet und es tut uns, den deutschen Bauern natürlich weh, dass wir jetzt auf der Anklagebank sitzen, obwohl in Deutschland niemals BSE war und wir immer sauber gearbeitet haben, genauso wie es der Bundeskanzler gefordert hat.

    Remme: Frau Roth-Behrendt, können wir uns auf die Sicherheit von Tiermehl verlassen?



    Roth-Behrendt: Das was Herr Sonnleitner gesagt hat ist zum Teil richtig. In dem Teil ist es richtig, dass die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer, also an Pflanzenfresser, in Deutschland, aber auch in der Europäischen Union seit 1996 verboten ist. In Großbritannien ist es übrigens seit 1988 verboten. Es ist auch richtig, dass es übri-gens europäische Gesetzgebung gibt, die nicht nur in Deutschland, sondern in allen Län-dern der Europäischen Union eingehalten werden muss, mit Hitzedruck und Zeit Tier-mehle zu sterilisieren. Trotzdem ist es nach wie vor in der ganzen Europäischen Union und auch in Deutschland üblich, Abfälle zu Tiermehl zu verarbeiten. Das heißt tierische Abfälle von verendeten Tie-ren oder von Heim- und Nutztieren. Wenn man Tiermehl wirklich als ersten Teil der Nah-rungsmittelkette herstellen will, dann dürfen keine tierischen Abfälle ins Futtermehl gelan-gen. Man muss Tiermehl richtig erhitzen und mit entsprechender Zeit behandeln. Man darf nur Schlachtabfälle verwenden, die für die menschliche Gesundheit geeignet sind. Und - Herr Sonnleitner, das müssen Sie auch wissen - man muss es endlich offen dekla-rieren, was wir erst seit kurzem durch unseren BSE-Ausschuss im Europäischen Parla-ment durchgesetzt haben. Sie wissen und ich weis, dass es vor vielen Jahren keine offe-ne Deklaration für Futtermittel gab. Da können die Bauern noch so gutwillig sein, sie ha-ben oft gar nicht gewusst, was sie auf dem Hof hatten.

    Sonnleitner: Frau Roth-Behrendt, da stimme ich Ihnen zu. Auch wir fordern die offene Deklaration. Das heißt, dass in Futtermitteln genau angegeben ist, was drinnen ist. Wir deutschen Bauern haben auch keine Probleme, wenn es der Verbraucher nicht will, dass wir tote Tiere aus dem Tiermehl herausnehmen. Das heißt, dass es nunmehr Fleisch- und Knochenmehl gibt, also lebensmittelrechtlich taugliche Abfälle aus der Schlachtung, dass die zu Knochenmehl verwandt werden, und dass wir dann tote Tiere herausnehmen. Ich wehre mich jedoch dagegen, dass wir auf die Anklagebank kommen, weil wir sauber gearbeitet haben. Frau Roth-Behrendt, das Problem war doch in England oder in Frankreich, dass zwar Ge-setze vorhanden waren, nicht verfüttern und so weiter und so fort, aber dass dies nir-gends überwacht worden ist. Da möchte ich als Bauernpräsident und als Bauer darauf hinweisen, nicht immer nur Gesetze machen, sondern auch Gesetze prüfen.

    Roth-Behrendt: Herr Sonnleitner, das ist schön, das höre ich gerne von Ihnen. Sie machen auf deutscher Ebene intensiver Politik als ich das tue. Ich mache es auf eu-ropäischer Ebene. Das was Sie gesagt haben kann ich nur dick unterstreichen. Aber Sie wissen und ich weis: Ich kann gute Gesetzgebung machen im Europäischen Parlament, und das habe ich in den letzten fünf Jahren im Zusammenhang mit Wiedergewinnung von Verbrauchervertrauen für Fleisch. Die Kontrolle hinterher ist jedoch Sache der Mitglieds-länder. Das muss Deutschland kontrollieren und muss Frankreich kontrollieren. Ich gebe Ihnen Recht, dass in Frankreich die Kontrollen bestimmt nicht ordentlich funktio-niert haben. Dort ist auch Tiermehl anders erhitzt worden als es gesetzlich vorgeschrie-ben war. Deshalb war Frankreich auch mit einer Klage vom europäischen Gerichtshof bedroht. Großbritannien ist etwas anders. Dort ist es in den letzten sechs, sieben, acht Jahren schon sehr ordentlich gemacht worden.

    Remme: Frau Roth-Behrendt, vielleicht beschäftigen wir uns kurz mit der Situation in Deutschland mit dem Blick nach vorne. Reichen die Beschlüsse der Agrarminister von Anfang der Woche in Brüssel aus?

    Roth-Behrendt: Nein, die reichen überhaupt nicht aus. Diese Beschlüsse sind wirklich ein Skandal. 17 Stunden zu tagen und so etwas herauszubringen, das ist wirklich ein Armutszeugnis. Ich bedauere, dass der Landwirtschaftsminister aus Deutschland, Herr Funke, sich nicht durchsetzen konnte gegenüber Schweden, Finnland und Öster-reich. Erstens: Alle verendeten Tiere, egal welchen Alters und welche Risikos, zu testen mit einem BSE-Test und darüber hinaus bereits jetzt und nicht erst Mitte nächsten Jahres wenigstens Stichproben bei Schlachttieren, nach Möglichkeit über einen bestimmten Zeit-raum, aber alle Schlachttiere über 30 Monate zu testen.

    Remme: Und dann noch eine Frage an Sie: Ist Deutschland ein BSE-Risikoland?

    Roth-Behrendt: Es ist zumindest nur auf eigene Einschätzung BSE-frei. Ich kann es nicht einschätzen. Ich weis nicht, wie viel Rindersamen und Rinder zu Zuchtzwecken importiert wurden. Erst wenn wir diese BSE-Tests in allen Mitgliedsländern durchführen wissen wir, wie viel BSE-Fälle es in welchem Mitgliedsland wirklich geben kann. Ich kann in Deutschland aber nach wie vor gut Rindfleisch essen. Ich kaufe deutsches Rindfleisch!

    Remme: Wie ist Ihre Meinung, Herr Sonnleitner?

    Sonnleitner: Ich danke Frau Roth-Behrendt, dass sie noch deutsches Rindfleisch isst. Wir spüren in Deutschland noch keinen Verzehrsrückgang, weil das Vertrauen der Verbraucher in deutsche Ware sehr hoch ist. Ich darf ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir in den letzten Jahren bereits 13.000 Rinder auf BSE untersucht haben, sehr auffällige Tiere, die an auffälligen Krankheiten gestorben sind. Da hatten wir keinen einzigen BSE-Fall. Jetzt kommt's: Wir haben bereits vom Bauernverband über unsere Mitglieder und über unsere Schlachthöfe angeordnet, dass wir mit den BSE-Schnelltests nicht erst warten bis zum 1. 1. 2001 oder bei älteren Rindern am Schlachtband bis zum 1. 7. 2001, sondern dass wir bereits jetzt, sofort, gestern begonnen haben mit den Untersuchungen, mit den Schnelltests. Das heißt: wir wollen unserem Verbraucher Sicherheit bieten. Deswegen starten wir bereits mit den BSE-Schnelltests bei den gestorbenen Tieren, aber wir wollen auch sofort am Schlachtband bei den älteren Tieren über 30 Monate beginnen.

    Remme: Stimmt es denn, Herr Sonnleitner, dass ein Großteil des Fleisches von Tieren stammt, das gar nicht getestet worden ist, weil diese Tiere zu jung sind?

    Sonnleitner: Es stimmt. Man kann die Krankheit bei Tieren unter 30 Monaten durch den BSE-Test noch nicht feststellen. Jetzt muss man aber berücksichtigen, dass wir deswegen ja sofort bei den älteren Tieren beginnen. Wenn man bei älteren Tieren BSE feststellen würde, dann kann man auf den Nachwuchs zurückgreifen, kann man auf den Bestand des Betriebes zurückgreifen. Wir haben lückenlose Herdenidentifizierung durch unser Rinderdatensystem, so dass wir alles dann in den Griff bekommen, sollte irgendwo ein Fall auftreten. Wir haben also über das ältere Tier auch die Sicherheit über den Stall und über den Nachwuchs dieses Tieres und damit auch auf die jungen Tiere.

    Roth-Behrendt: Man muss natürlich ergänzend dazu sagen: Etwas, wogegen sich die deutschen Bauern, aber auch die deutschen Fleischer lange gewehrt haben, auch die deutsche Bundesregierung, haben wir ja angeordnet, nämlich die Entfernung von Risiko-material, zum Beispiel Rückenmark und Gehirn beim Schlachtvorgang bei allen Tieren. Wissenschaftler sagen, dass die Infektiosisät der Tiere, wenn sie denn vorhanden ist, bei 95 Prozent in diesem Material liegt.

    Remme: Welche Punkte, Herr Sonnleitner, kommen Ihnen in der jetzigen Debatte um BSE-Krise und das Vertrauen in Fleisch zu kurz?

    Sonnleitner: Die Punkte kommen zur kurz, dass Deutschland noch niemals bei deutschen Rindern BSE hatte, dass wir niemals Tiermehle an Pflanzenfresser verfüttert haben, dass wir, wenn wir Tiermehl hergestellt haben, dies mit einem speziellen Verfah-ren hergestellt haben, so dass unsere Tiermehle nicht mit französischen Tiermehlen ver-gleichbar sind, dass wir jetzt schon bei unseren Fleisch- und Qualitätsprogrammen Fut-termitteluntersuchungen gemacht haben, so dass nirgends in Rinderfutter Tiermehle ent-halten waren. All dies muss man erwähnen, dass wir 13.000 Rinder untersucht haben, dass wir einen extrem hohen Sicherheitsstandard haben und dass wir diesen noch ver-stärken werden. Das heißt: Das Vertrauen unserer Mitbürger ist berechtigt und wir sehen es auch in den Verzehrszahlen in Deutschland.

    Remme: Welche Punkte würden Sie stärker hervorheben, Frau Roth-Behrendt?

    Roth-Behrendt: Ich hebe natürlich stärker hervor, dass es ein Jammer ist, dass wir so lange warten mussten, bis wir dieses Risikomaterial entfernen konnten, dass wir uns nach wie vor mit dieser Maßnahme verteidigen müssen, dass lange Zeit Hirn und Rü-ckenmark noch verarbeitet wurde, auch zu Wurst und anderen Produkten, und wir tat-sächlich nicht wussten, wie gefährlich es war. Mir geht es bei der Debatte auch gar nicht darum, ob Deutschland Tiermehl immer richtig hergestellt hat, denn wir haben natürlich auch Tiermehle importiert. Es ist auch wichtig, dabei festzustellen - und das ist der wich-tigste Teil -, dass die Gesetzgebung, die wir brauchen, in ganz Europa bereits seit Jahren existiert und dass wir sicherstellen müssen, dass diese Gesetzgebung kontrolliert und eingehalten wird, übrigens auch in Deutschland. Wenn Herr Sonnleitner sich auf deut-scher Ebene dafür einsetzen kann, dass es in allen Bereichen mehr Veterinäre und Le-bensmittelinspekteure auch in Deutschland gibt, dann ist das schon ein weiterer Schritt dabei.

    Remme: Das war die gesundheitspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Europaparlament, Dagmar Roth-Behrendt, und Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. Ein Dank geht in beide Richtungen!

    Link: Interview als RealAudio