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Tierversuche und alternative Methoden

Wenn das EU-Programm zur Prüfung und Klassifizierung alter Wirkstoffe wie geplant in den nächsten 12 Jahren umgesetzt wird, könnte das nicht nur mehrere Milliarden Euro verschlingen, sondern auch mehrere 100 Millionen Tiere verbrauchen - meint der Biochemiker und Mediziner Thomas Hartung:

von: Yvonne Mabille |
    Das ist die große Herausforderung, das zu vermeiden. Und der große Erfolg der Ersatzmethoden war hier, dass die EU bereits in den bisherigen Vorlagen ganz eindeutig formuliert, es sollte nach Möglichkeit in vitro getestet werden. Also, mit tierversuchsfreien Methoden. Und es ist jetzt unser großer Ehrgeiz, so schnell wie möglich, solche Methoden in validierter Form bereitzustellen.

    Thomas Hartung, der sich über viele Jahre an der Universität Konstanz mit Alternativmethoden zu Tierversuchen befasst hat, ist neuer Leiter der "Europäischen Zentralstelle für die Bewertung von Ersatzmethoden zum Tierversuch:

    Wer immer eine Ersatzmethode entwickelt hat und glaubt, dass sie nun einen Tierversuch ersetzen kann, legt uns eine solche Methode vor. Wir prüfen diese Methode zunächst auf Herz und Nieren und versuchen sie dann zu fördern, indem wir sie in Ringversuche einbringen - je nach ihrem Entwicklungsstand.

    Eine Methode, deren Bewertung in internationalen Ringversuchen Ende Januar beendet sein wird, hat schon vor Abschluss der Prüfung großes Interesse geweckt: der sogenannte Pyrogentest. Thomas Hartung und ein Forscherteam der Uni Konstanz haben den Test in enger Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut entwickelt. Die breite Anwendungsmöglichkeit des Pyrogentests macht ihn für Behörden und Industrie besonders attraktiv. Pyrogene sind Verunreinigungen, die in bestimmten Arzneimitteln vorkommen. Sie können beim Menschen Fieber auslösen. Thomas Hartung:

    Das kann bis hin zu einer tödlichen Schockreaktion gehen und muss deshalb kontrolliert werden. Das erfolgt normalerweise, indem man das Medikament einem Kaninchen spritzt, um damit zu prüfen, ob die jeweilige Charge einwandfrei ist. Das ist ein Versuch, der in Deutschland etwa 80 000 Kaninchen pro Jahr verbraucht.

    Europaweit dürften es 200 000 Kaninchen sein. Eingespannt in eine enge Halterung bekommen sie in dem Versuch die Prüfsubstanz injiziert. Dann wird über mehrere Stunden rektal Fieber gemessen. Nur wenn die Kaninchen fieberfrei bleiben, konnte man bisher sicher sein, dass auch für die Patienten keine Gefahr besteht.

    Statt am Versuchskaninchen soll künftig im Reagenzglas die Produktsicherheit geprüft werden, anhand der natürlichen Fieberreaktion des Menschen. Dafür genügen ein paar Tropfen des menschlichen Bluts, sagt Klaus Cußler, der am Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe zuständig ist:

    Diese Blutprobe wird versetzt mit dem zu prüfenden Stoff. Und aus der Reaktion dieses menschlichen Blutes mit der Substanz kann man ableiten, wie die Fieberreaktion beim Menschen auf diese Probe voraussichtlich aussehen wird. Und dieser Test - man nennt dieses Versuchsprinzip ex vivo - ist dann voraussagend für die Fieber erzeugende Wirkung im Menschen.

    Wenn sich keine Signalstoffe aus weißen Blutzellen bilden als Abwehrreaktion gegen Infektionen, liegt keine Verunreinigung im Arzneimittel vor. Nach erfolgreichem Abschluss der Ringversuche müssen alle Ergebnisse der "europäischen Arzneibuchkommission" vorgelegt werden. Sie entscheidet über Änderungen an den Prüfvorschriften für Medikamente und Impfstoffe. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihr Test auch diese Hürde zügig nimmt, damit dieser Kaninchenversuch schnell aus den nationalen Gesetzen gestrichen werden kann. Parallel bemüht sich eine Expertenkommission um die Koordinierung mit Japan und den USA. Kommt sie zustande, kann der Test weltweit eingesetzt werden.