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Tim & Struppi, Polizei und verkaufte Lolitas

Der französische Film "Poliezei" zeigt eindringlich den Alltag einer Pariser Sondereinheit. Die Regisseurin Eva Ionesco verarbeitet in "I'm not a F***cking Princess" ihre Kindheit als Playboy-Model während Steven Spielberg mit "Tim & Struppi" nach langer Pause zur Familienunterhaltung zurückkehrt.

Von Jörg Albrecht |
    "Polizei, Polizei! Aufmachen! ..."

    Eine Razzia in einem Wohnwagenlager der Roma. Immer wieder sind Kinder der dort lebenden Familien bei Taschendiebstählen aufgegriffen worden.

    "Sie wissen, dass Sie wegen Misshandlung hier sind? ..."

    Die Befragung eines Vaters auf dem Polizeirevier. Der Vorwurf: Er soll sich an seiner Tochter vergangen haben. Zwei typische Fälle für die Jugendschutz-Einheit bei der Pariser Polizei. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Sie reichen von der Bekämpfung der Jugendkriminalität bis zu Ermittlungen in Missbrauchsfällen und anderen Gewaltdelikten gegen Kinder. Gut zwei Stunden lang gibt die französische Regisseurin Maïwenn einen Einblick in die tägliche Arbeit des Ermittlerteams, dem vier Frauen und fünf Männer angehören. Die Filmemacherin kombiniert diese Szenen mit Momentaufnahmen aus dem Privatleben der Polizistinnen und Polizisten. Dabei erstellt sie erstaunlich komplexe Persönlichkeitsprofile, wie sie in einem Ensemblefilm selten anzutreffen sind. Der knallharte Job bringt die Polizisten an die Grenzen ihrer psychischen Belastung. Der angestaute Frust entlädt sich am Arbeitsplatz.

    "Glaubst du, ich merke nicht, dass du auf Facebook unterwegs bist? … Bist du mein Chef? ... Muss ich dir Rechenschaft ablegen? ... Heute Morgen habe ich meinen Tee vor der zerfetzten Vagina eines elf Jahre alten Mädchens getrunken ... und gönn mir etwas Entspannung, bevor es wieder weiter geht."

    So authentisch vieles in "Poliezei" auch anmutet – es sind dramaturgisch zugespitzte Situationen wie diese, die den Film letztlich von einer Dokumentation unterscheiden. Und das ist gut so, denn wer benötigt einen als Pseudo-Doku getarnten Spielfilm, wenn eine Fernsehreportage die bessere Alternative geboten hätte. "Poliezei" ist ein konzentrierter und wirkungsvoller Film, der unter die Haut geht.

    "Poliezei" von Maïwenn – empfehlenswert

    "Ich habe dich nicht lieb. Du sollst nicht mehr meine Mutter sein."

    Es klingt wie ein weiterer Fall für die Sondereinheit der Pariser Polizei. Ein Mädchen – ungefähr zehn Jahre alt – wird von seiner Mutter auf eine ganz besondere Art missbraucht. Es muss als Objekt der Begierde in mal verführerischen, mal frivolen Posen Modell stehen, während es die Mutter abfotografiert.

    "Also, du bist eine Verführerin. Nein – sieh mich an! Ja – genauso! ... Du bist gut. Ich weiß nicht wieso, aber du bist es. ..."

    "Die verkauften Lolitas" hieß im Mai 1977 die Titelgeschichte im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Auf dem Cover ein Bild von Eva Ionesco, damals elf Jahre alt. Eine Aufnahme, die Evas Mutter, die Fotografin Irina Ionesco, geschossen hat und die in der italienischen Ausgabe vom "Playboy" erschienen ist. Das Mädchen von damals ist heute Schauspielerin und Filmemacherin. In ihrer zweiten Regiearbeit hat Eva Ionesco jetzt die eigene Kindheitsgeschichte aufgearbeitet. Der Titel, den der deutsche Verleih gewählt hat, ist dabei als Aussage und Abrechnung von Eva zu verstehen, die im Film Violetta heißt. "I´m not a F***ing Princess".

    " ... Alle sagen, ich bin eine Nutte. – Du tickst doch nicht richtig. … Ich will, dass du krepierst. Du hast mich nicht lieb. – Doch – ich liebe dich! Violetta."

    Isabelle Huppert – wie immer großartig – spielt Violettas Mutter Hannah. Eine extrovertierte und exzentrische Frau, die sich kleidet wie Marlene Dietrich. In den 1970er-Jahren wird sie mit den Aktaufnahmen ihrer Tochter zum gefeierten wie umstrittenen Star der Pariser Kunstszene. Dass sie Violetta für ihre Zwecke benutzt und ihrer Entwicklung schadet, kommt ihr nicht in den Sinn. Für Hannah zählt nur die Anerkennung als Künstlerin. "I´m not a F***ing Princess" kann man als Parabel verstehen auf fragwürdige Talentshows, in denen Kinder und Jugendliche vermarktet werden. Als Psychogramm einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung kann der sperrige und zu oberflächliche Film dagegen weniger überzeugen.

    "I´m not a F***ing Princess" von Eva Ionesco – zwiespältig!

    Seit er sein erstes "Tim und Struppi"-Buch gelesen hat, sei die Figur des neugierigen Reporters Tim immer ganz nah an seinem Herzen gewesen. So Steven Spielberg über die Comics des belgischen Zeichners Hergé. Für seinen Film hat Spielberg eine Geschichte ausgewählt, die 1942 erschienen ist unter dem Titel "Das Geheimnis der Einhorn".

    " ... Ich arbeite gerade an einer Story ... Was wissen Sie über die ´Einhorn´? ..."

    Was den Stil der "Tim und Struppi"-Comics mit den präzisen Konturen und den liebevollen, wirklichkeitsgetreuen Details betrifft, wird der Film der Vorlage durchaus gerecht. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, als genieße es Steven Spielberg, wieder einmal das Genre der Familienunterhaltung zu bedienen. Bei aller Begeisterung für die Comicvorlage dürfte der eigentliche Grund für die Existenz eines "Tim und Struppi"-Films dennoch ein anderer sein. Und das ist – ähnlich James Camerons "Avatar" – ein technischer. Spielberg will das Motion-Capture-Verfahren perfektionieren. Dabei werden Bewegungsabläufe erst mit Schauspielern gefilmt, um sie später dann am Computer nachzubearbeiten. Eine aufwendige Technik, deren Sinn sich allerdings nicht so recht erschließen lassen will bei Filmen, in denen vor allem Menschen agieren.

    "Die Abenteuer von Tim & Struppi – Das Geheimnis der Einhorn" von Steven Spielberg – empfehlenswert