Sonntag, 19. Mai 2024

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''Timequake''

Pünktlich zu seinem 75. Geburtstag hat Kurt Vonnegut in den USA einen neuen Roman veröffentlicht: "Timequake", "Zeitbeben", so der Titel. Es wird sein letzter Roman bleiben, wenn man seinem Vorwort zu "Timequake" glauben darf. Aber was heißt überhaupt Roman? Ein Schwanengesang ist es, in dem all die Themen und Passionen noch einmal Revue passieren, die Vonnegut sein Leben lang begleitet haben: die Einsicht, in einem stochastischen, also vom Zufall bestimmten Universum zu leben; der Glaube an die jederzeitige Veränderbarkeit aller Aporien und Axiome unseres Daseins, die Überzeugung von der Relativität aller Werte, gleichzeitig aber auch der Abscheu vor jeder Form von Totalitarismus.

Denis Scheck | 01.01.1980
    Interviews will Kurt Vonnegut heute keine mehr geben. Er habe doch schon alles gesagt, läßt er über seinen Agenten ausrichten, und überhaupt: ich solle doch einfach unser altes Gespräch von 1992 verwenden, seine Ansichten hätten sich nur in unwesentlichen Details geändert, die historische Entwicklung habe seinen düstersten Prognosen, den dystopischen Elementen seines Werks in größerem Maße recht gegeben, als er es je befürchtet hätte.

    Damals, vor knapp fünf Jahren, lernte ich einen großen, schlanken Mann kennen, der mit seiner dichten Lockenmähne, dem Schnurrbart und zerknautschten Gesicht aussah wie einer der schrulligen Typen auf Gemälden Norman Rockwells. Als ich Vonnegut zu Beginn unseres Gesprächs im Hotel Excelsior in Manhattan um einen Satz bat, um mein Bandgerät auszusteuern, erklärte er: "I'm a sceptic, not a cynic, I don't distrust people's motives but their intelligence."

    Er sei Skeptiker, kein Zyniker, er mißtraue nicht den Motiven der Menschen, sondern ihrer Intelligenz. Mich frappierte, wie rasch Vonnegut die Ebene des zur Begrüßung vorangegangenen Smalltalks verließ, wie übergangslos er von Banalem zu Tiefsinnigem kam, mich verblüffte vor allem aber die Übereinstimmung zwischen Vonneguts Art zu reden und seiner Art zu schreiben: wie in den Kurzkapiteln seiner Romane lief fast alles, was er sagte, auf eine Pointe, eine Witzelei hinaus, die nicht selten im rauhen, kurzatmigen Gelächter und Gehuste des Kettenrauchers unterzugehen drohte.

    Der abrupte Wechsel zwischen E und U ist seit je Erzählprinzip Vonneguts, daraus resultiert ein Teil der bitteren Komik seiner Texte, daraus resultiert aber auch die Verwirrung, die Vonnegut bei der Kritik in Deutschland und Amerika stiftete.

    Die Literaturkritik, sie hat sich traditionell schwer getan mit diesem Kurt Vonnegut Jr., wie er sich bis zu seinem 60. Lebensjahr nannte. Danach ließ er das Jr. weg, sein Vater war seit über dreißig Jahren tot.

    Daß Kurt Vonnegut ausgerechnet in Deutschland nicht der populärste aller amerikanischen Romanciers ist, muß verwundern. Hat Vonnegut doch nicht nur als amerikanischer Kriegsgefangener in Dresden den Feuersturm überlebt, nein, Vonnegut stammte ausgerechnet auch noch von rein deutschen Vorfahren ab - Kaufleuten, die aus Westfalen und Sachsen als Teil der riesigen deutschen Einwanderungswelle zwischen 1820 und 1870 nach Amerika kamen und sich im Mittleren Westen ansiedelten:

    "In gewisser Weise bin ich das Opfer eines anhaltenden Deutschenhasses, der in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurückgeht", so Vonnegut über seine deutschen Wurzeln. "Jeder vierte weiße Amerikaner stammt von Deutschen ab. Ich habe rein deutsche Vorfahren, aber mir war immer bewußt, daß die Angloamerikaner in unserer Gesellschaft die Deutschen nicht mochten. Dieser Haß trat während des Ersten Weltkriegs an die Oberfläche - damals wurden die Geschäfte meiner Verwandten boykottiert. Selbst heute mögen die Angloamerikaner die Deutschen nicht, denn sie wißsen nicht recht, was sie von ihnen halten sollen. Alles, was in diesem Land Antisemiten abstoßend an Juden finden, ist in Wahrheit abstoßend an Deutschen. Es waren ja auch deutsche Juden, die durch ihr Deutschtum dieses Klischee überhaupt erst aufkommen ließen. Meine Verwandten bildeten einen regelrechten Klüngel. sie heirateten untereinander und gingen keine Mischehen mit den Angloamerikanern ein, sie sprachen zu Hause eine fremde Sprache und waren äußerst erfolgreiche Geschäftsleute. Die Deutschen sind eben äußerst fleißige Menschen. Mein Gott, was für eine Tragödie: einfach unerträglich."

    Von der unerträglichen Tragödie des Seins erzählen alle vierzehn Romane Kurt Vonneguts: von "Das höllische System" aus dem Jahr 1952 bis zu "Timequake" 1997. Die Literaturkritik wußte wenig mit ihnen anzufangen. Zu unkonventionell waren die Stoffe, zu innovativ die Konstruktionsprinzipien seiner Romane, um sich bequem in die gängigen Kategorien der Zeit einordnen zu lassen. Helmut Heissenbüttel fragte in den 70er Jahren: "Ist Vonnegut ein politischer Autor, kann ich seine Bücher als politische Satire verstehen wie etwa die Satiren von Nathanael West? Kaum. Aber ebensowenig gehört er in die Klasse der Science-fiction oder der Fantasy-Autoren. Das Politische bleibt als Referenzebene erkennbar. Früher als die "dichtenden" Autoren hat er erkannt, daß es heute darauf ankommt, sich seine eigene Textwelt zu erschaffen, in deren Metamorphose alles zu spiegeln ist. Er hat ein historisches Klima erfaßt, in dem wir unsere Welt erkennen können. Vielleicht werden seine Weltuntergangs- und Nachweltuntergangsphantasien einst das sein, was von uns übrigbleibt."

    Für wen er schreibe, wurde Kurt Vonnegut einmal gefragt. Seine Antwort: Für Leute, die intelligenter sind, als ihre Position in der Gesellschaft vermuten lasse. Dieser Satz verrät etwas vom stolzen Habitus des Autodidakten Kurt Vonnegut, eines Autodidakten, der sich zeit seines Lebens um die literarische Avantgarde wenig gekümmert hat. So auch in "Timequake", seinem neuesten Roman. Die Protagonisten darin: ein Universum, das keine Lust mehr hat, ständig zu expandieren, Vonnegut selbst und natürlich Kilgore Trout.

    Kilgore Trout, das ist das literarische alter ego Kurt Vonneguts: ein Nichts, ein Niemand, ein Verfasser obskurer Science Fiction-Romane, der zum erstenmal 1965 in dem Roman "Gott segne Sie, Mr. Rosewater" auftaucht. Dieser Kilgore Trout steht für all das, was Vonnegut damals zu werden befürchtete: ein als Trivialautor abgestempelter Versager. In "Timequake" ist Trout endlich zum wohungslosen Penner auf den Straßen Manhattans abgesunken. Doch in Gestalt von Kilgore Trout hat sich Vonnegut mehr als ein Sprachrohr geschaffen - Trouts fiktive Werke, die Vonnegut in fast allen seinen Romanen zitiert, sind immer ein Spiegel des tatsächlichen Texts, dienen zur Kommentierung und Illustrierung der darin entwickelten Ideen.

    So auch in "Schlachthof 5", jenem neben Joseph Hellers "Catch 22" wohl bedeutendstem amerikanischen Roman über den Zweiten Weltkrieg. 1943 meldete sich Vonnegut freiwillig zum Heer und wird nach Übersee geschickt. Im Herbst des folgenden Jahres erlebte Soldat Vonnegut die größte Niederlage der amerikanischen Armee. Die Ardennenoffensive am 16. Dezember 1944 reibt Vonneguts Bataillon restlos auf. Hinter den deutschen Linien gerät er in Kriegsgefangenschaft und wird nach Dresden geschickt. Der Name des Behelfsquartiers, in dem die amerikanischen Kriegsgefangenen untergebracht sind, wird 25 Jahre später zum Titel von Vonneguts berühmtesten Roman: Schlachthof 5.

    In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 fliegen britische, kanadische und amerikanische Bomberverbände einen militärisch sinnlosen Angriff auf das mit Flüchtlingen überfüllte Dresden. Am Ende des Flächenbombardements steht eine unvorstellbare Zahl von Opfern - die Schätzungen reichen von mindestens 60.000 bis zu über 135.000 Toten.

    "Damals war ich ungefähr zwanzig Jahre alt, und für mich war das bloß ein Abenteuer. Meine politische Einstellung wurde dadurch nicht verändert, und da ich von amerikanischen Freidenkern abstamme, die Atheisten waren, verlor ich auch nicht meinen Glauben an Gott. Ich hatte keinen Glauben, den ich verlieren konnte. Um zu verstehen, was meinen Charakter geprägt hat, müßten Sie wissen, welche Hunde in meiner Nachbarschaft gelebt haben, als ich acht Jahre alt war. Ich erinnere mich an alle, und ich wußte, welche man streicheln durfte und welche nicht. Für mich war Dresden also ein großes Abenteuer, und nicht nur das - auch ein gewinnträchtiges Abenteuer. Ich habe das schon öfters gesagt: Nur ein Mensch auf auf dieser Erde hat von dem Bombenangriff auf Dresden profitiert. Kein einziger wurde auch nur eine Mikrosekunde früher aus einem Konzentrationslager entlassen, kein einziger deutscher Soldat wich von seiner Stellung zurück und verkürzte dadurch den Krieg. Nur ein Mensch hat daraus Vorteil gezogen, und dieser Mensch bin ich, ein amerikanischer Gefreiter, der dabei war. Ich habe fünf Dollar an jedem Toten verdient, indem ich ein Buch darüber geschrieben habe. Außerdem darf ich in diesem Land sagen, was ich will, richtig unverschämte Sachen über die Regierung, den Kapitalismus oder sonstwas - und das alles nur, weil man glaubt, ich hätte gelitten, als ich den Dresdner Feuersturm überlebt habe, dabei war das für mich nur ungeheuer interessant. Und natürlich auch tragisch, natürlich auch schrecklich. Die Kriegsgefangenen durften ins Zentrum der Stadt, man teilte uns dazu ein, die Leichen aus den Kellern zu holen. Auf diese Weise habe ich verdammt viele Leichen zu Gesicht bekommen. Später habe ich Fotos und Wochenschauen von den Wachmannschaften der Konzentrationslager gesehen, die ich wirklich für den Abschaum der Menschheit halte, furchtbare Menschen - die SS. Nach der Befreiung der Lager durch die Amerikaner, Briten oder Franzosen wurden diese Leute gezwungen, Leichen in Kalkgruben zu tragen. In alten Wochenschauen ist zu sehen, wie die SS-Leute das machen, während die Bevölkerung zusieht. Na ja, das habe ich auch gemacht."

    "Unser Dasein hat keinen bestimmten Sinn, es sei denn, wir erfinden einen", lautet ein Kernsatz in Kurt Vonneguts Roman "Slapstick". In allen seinen Werken hat Vonnegut immer wieder neu einen Sinn für unser Dasein erfunden. Dafür ein Dankeschön zum 75. Geburtstag: Thank you, Mr. Vonnegut, whereever you are.

    Link: The Kurt Vonnegut Web