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Tindersticks aus England
Meister der Melancholie

Die gemächlichen, schweren Songs der Band Tindersticks laden ein, sich darin zu verlieren. Auf ihrem neuen Album zelebrieren die Musiker üppige Melodien. Auch nach knapp 30 Jahren sind die fünf Engländer immer noch auf der Höhe ihrer Schaffenskraft. Und dann ist da diese Stimme von Stuart Staples!

Von Anke Behlert | 15.12.2019
    Fünf Männer stehen in einem Waldstück und blicken in die Kamera.
    Tindersticks halten Abstand zum Mainstream (Richard Dumas)
    Musik: "The Amputees"
    Diese Stimme, dieser brüchige anrührende Bariton. Stuart Staples könnte auch das Londoner Telefonbuch vorsingen, man würde trotzdem mit ihm leiden. Nicht zuletzt Staples' Gesang verdanken Tindersticks ihren charakteristischen Sound. Der wirkte von Anfang an irgendwie aus der Zeit gefallen. Als sie 1993 mit ihrem ersten Album auf der Bildfläche erschienen befand sich die Musikwelt gerade in Britpop-Rausch und Grunge-Fieber. Statt auf Union Jack-Shirts oder Holzfällerhemden setzten Tindersticks aber eher auf klassische Herrenmode und einen erwachsenen Indierocksound. Und waren damit überraschend erfolgreich, sie spielten als Support für Nick Cave auf seiner Tour im Vereinigten Königreich.
    Musik: "Her"
    Auch danach passen sich Staples und seine Mitstreiter nie irgendwelchen Trends an und halten immer genügend Abstand zum Mainstream. Das hat nichts mit Snobismus zu tun, im Gegenteil.
    Ein Überraschungserfolg
    Stuart Staples: "Mit 12 habe ich angefangen, mich für Musik zu interessieren. Das war 1977 und damals änderte sich Musik gerade grundlegend. Es kam nicht mehr darauf an, ob man ein Instrument spielen oder gut singen konnte. Man brauchte nur Ideen. Joy Divison haben diesen Geist für mich verkörpert. Nach dem Schulabschluss habe ich Neil und David kennengelernt, wir haben die Liebe für diese Art von Musik geteilt. Das ist bis heute der Kern unserer Band. Man muss sich immer wieder überraschen."
    Musik: "Black Smoke"
    Filme spielen von Anfang eine wichtige Rolle für Tindersticks. Mit dem Regisseur Martin Wallace drehen sie für ihre ersten Songs Videos, die natürlich nicht den Erwartungen entsprechen.
    "Was man sich Anfang der 90er so unter einem Musikvideo vorgestellt hat, das fanden wir ziemlich langweilig. Wir wollten etwas Abstrakteres machen. Für den Song "Travelling Light" haben wir dann eine Super-8 Dokumentation über ein befreundetes Paar aus Leeds gemacht. Ich kann mich noch genau an die Enttäuschung bei der Plattenfirma erinnern. Unser erstes Album war ein Überraschungserfolg und plötzlich wollten alle möglichen Leute irgendwas von uns. Als wir dann dieses Super-8 Video abgeliefert haben, konnte man richtig spüren, wie das die Leute genervt hat."
    Musik: "Travelling light"
    Schon auf den ersten Alben binden Tindersticks Streicher-, Perkussions- und Blasinstrumente in ihre Arrangements ein. Zu ihren Konzerten bringen sie auch mal ein ganzes Orchester mit. Auf dem vierten Album "Simple Pleasures" erfolgt dann ein leichter Richtungswechsel: die Soul- und Jazzeinflüsse, die immer im Hintergrund pulsierten, werden nach vorne geholt.
    Musik: "Can we start again"
    2003 erscheint das Album "Waiting for the moon". Ein Höhepunkt der Platte ist der Song "Sometimes it hurts" - ein wunderschönes Duett mit der mexikanisch-amerikanischen Sängerin Lhasa de Sela. Die 2010 verstorbene Musikerin war für Staples eine Seelenverwandte.
    Der Beginn einer Freundschaft
    "Wir hatten damals ihr erstes Album gehört und dachten uns: Wow, sie sollte "Sometimes it hurts" singen. Ich habe sie vom Eurostar an der Waterloo Station abgeholt. Wir haben uns sofort gut verstanden. Wir haben etwas gegessen und dann den Nachmittag im Studio verbracht und den Song aufgenommen. Das war der Beginn unserer Freundschaft. Wenn man Musik macht, gibt es nicht besonders viele Leute, denen man ästhetisch völlig vertraut und sie war einer dieser Leute."
    Musik: "Sometimes it hurts"
    Sie hören den Deutschlandfunk, "Rock et cetera" mit einem Porträt der englischen Band Tindersticks. Nach einer nie offiziell verkündeten Auflösung aber langen Pause macht Staples 2008 mit zwei alten Bandkollegen, neuem Drummer und neuem Bassisten weiter. Die Arbeiten an dem Album "The Something Rain" werden vom Tod einiger Familienmitglieder und enger Freunde der Band überschattet. Sie reagieren darauf mit großer Klarheit, die Songs sind um David Boulters Orgelspiel, Trompeten und Alt-Saxofone arrangiert, die einem die Haare zu Berge stehen lassen, auf äußerst angenehme Weise. Mit dem Song "This Fire of Autumn" legen sie allerdings richtig Tempo vor.
    Fünf Männer sind als Collage dargestellt.
    Tindersticks nehmen auch mehrere Soundtracks auf (Suzanne Osborne)
    Bei "This fire of autumn" hatte ich zuerst nur ein Gefühl und den Refrain. Aber ich konnte das Gefühl noch nicht so richtig fassen, ich wusste noch nicht was "The Fire Of Autumn" ist. Als wir den Song schießlich aufgenommen haben, merkte ich, dass er mehrere Bedeutungen hat. Wenn ich den Text sofort aufgeschrieben hätte, wäre er eindimensional geworden. Ich lasse mir die Ideen gerne länger durch den Kopf gehen und versuche, sie aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Vor zehn Jahren hätte mich das ziemlich beunruhigt, aber heute macht mir das Spaß.
    Musik: "This fire of autumn"
    Immer wieder nehmen Tindersticks auch Soundtracks auf, vor allem mit der französischen Regisseurin Claire Denis arbeiten sie eng zusammen. Für ihr letztes Album "The Waiting Room" haben sie die Sache umgedreht und selbst für jeden einzelnen Song einen Kurzfilm anfertigen lassen.
    Filme zur Musik
    "Vor ein paar Jahren saß ich in der Jury des Kurzfilmfestivals von Clermont-Ferrand. Dort schaut man sich Kurzfilmprogramme an, die etwa 45 Minuten lang sind. In einer Woche habe ich sicher sieben oder acht solcher Programme gesehen. Der Direktor des Festivals Calmin Borel und ich hatten dann die Idee, Filme zu unserem Album zu machen. Wir haben also Regisseure aus verschiedenen Disziplinen beauftragt. Ich habe ihnen Stücke geschickt und so hat sich das Projekt langsam entwickelt."
    Der Film zu dem Song "Were we once lovers?" zum Beispiel zeigt im Zeitraffer eine endlos lange Autofahrt über eine Schnellstraße in einer Metropole, durch Tunnel und unter Brücken hindurch. Die sonst so schleichend-schöne, langsame Musik der Band wird hier durch die Bilder quasi beschleunigt.
    Musik: "Were we once lovers?"
    Nach "The Waiting Room" hat Staples viel Zeit allein in seinem Studio verbracht und zwei Soloplatten aufgenommen. Für "No Treasure But Hope" lag der Fokus deshalb umso mehr auf Teamwork.
    "Wir als Band haben mittlerweile ein fast intuitives Level der Zusammenarbeit erreicht. Was zwischen uns fünf passiert ist sehr kraftvoll. Aus dieser Situation heraus sind die neuen Songs entstanden. Es war uns wichtig den Fokus auf das Menschliche zu legen, das Körperliche, den Moment. Außerdem finde ich das sehr progressiv. Wir sind alle so sehr mit unserer Technik verbunden und das hört man auch in der Musik, die heute gemacht wird. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Aber wir fanden es am interessantesten, einen Raum für uns und diese Songs zu schaffen."
    Musik: "Trees fall"
    Musik: "Take care in your dreams"
    Vor allem im Vergleich zum letzten Album wirken die Stücke leicht zugänglich, ohne Brillianz oder Tiefe einzubüßen. Es gibt sogar beschwingte, mediterran anmutende Momente inklusive Bouzouki, wie in "Pinky in the daylight" - das beschreibt wie Farben sich im Tageslicht verändern. Und dem ersten "richtigen" Liebeslied, das Staples geschrieben hat.
    Einer Idee vertrauen
    "Das ist neu für mich. Als mir die Idee für den Song gekommen ist, war das so unkompliziert und so fröhlich, daran bin ich gar nicht gewöhnt. Aber ich vertraue immer meiner Idee, also habe ich mich daran gehalten. Die restlichen Stücke auf dem Album sind ja auch ganz anders, zum Teil sehr düster. "Pinky" balanciert das ein bisschen aus."
    Die Musikseite Pitchfork hat einmal festgestellt: "Tindersticks haben noch nie ein schlechtes Album veröffentlicht." Das ist korrekt und gilt auch für "No Treasure But Hope", dessen intime, expansive Stimmungslieder sich noch ein bisschen tiefer eingraben. Gerade in dunkler Jahrezeit.
    Musik: "Pinky in the daylight"