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Tinnitus-Beschwerden erfolgreich lindern

Rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter ständigen Ohrgeräuschen - dem chronischen Tinnitus. Oft schlafen die Betroffenen schlecht, können sich nur schwer konzentrieren oder werden depressiv. Am Anfang kann Tinnitus noch geheilt werden. Wenn er chronisch ist, nicht mehr. Aber auch dann gibt es noch Hilfe: Eine besondere Therapie wird an der Berliner Charité angeboten. In nur sieben Tagen lernen die Patienten, den Tinnitus zu lindern - mit Erfolg, wie erste Ergebnisse einer Studie zeigen.

Von Andrea Kalbe |
    Plötzlich ist es da - ein Geräusch, das niemand sonst hört. Es pfeift oder zischt, rauscht oder brummt - quälend, störend, die ganze Zeit. Auch Florian Schmidkunz, Direktor einer Berliner Grundschule, hat ständig ein nervendes Geräusch im Ohr.

    " Also, ich hatte eine Gesamtkonferenz, die ich leitete und als ich dann sprach, war das bei mir so, als wenn so ein Kribbeln vom Kopf über die Wirbelsäule in die Füße ging und gleichzeitig kam dann so ein Ton ins Ohr. Und der ist dann erst etwas lauter gewesen, aber dann wurde er leiser. Und dann ist dieses Klingeln aber geblieben, also dieses Zirpen oder dieses Grillgeräusch. So wie manchmal eine leichte Übersteuerung auch wahrgenommen wird oder wenn Stromleitungen über Land auch manchmal zu hören sind. Also, das ist dann dauerhaft geblieben. "

    Tinnitus entsteht meistens, wenn die Hörsinneszellen geschädigt werden - zum Beispiel durch zu viel Lärm oder einen Hörsturz, der oft mit Stress einhergeht. Die Hörsinneszellen leiten dann Töne weiter, ohne dass von außen ein akustischer Reiz da ist. Geht das länger als drei Monate, ist der Tinnitus chronisch. Und dann ist er nicht mehr heilbar, selbst Medikamente helfen nicht weiter. Aber: Die Ohrgeräusche können erträglich werden. Florian Schmidkunz hat sich deshalb an das Tinnitus-Zentrum der Berliner Charité gewandt. In der Tagesklinik lernt er, sich auf andere Dinge zu konzentrieren als auf den Lärm im Ohr. Während die stationären Reha-Kuren bis zu acht Wochen dauern, werden die Patienten hier in nur sieben Tagen behandelt. Dr. Birgit Mazurek, Leiterin des Tinnitus-Zentrums, zum Konzept der Therapie:

    " Also, es ist erst mal eine ambulante Therapie und sie ist interdisziplinär. Das heißt, die Patienten finden dort die Fachärzte direkt vor Ort, also die orthopädischen Fachärzte, die psychosomatischen Fachärzte, HNO-Fachärzte. Und dann wird ein Therapieregime mit den Patienten erarbeitet. Und das andere ist natürlich, dass es wohnortnah auch ist. Dass die Patienten morgens kommen und abends nach Hause gehen, so dass sie direkt das, was sie gelernt haben auch im alltäglichen Umfeld dann auch umsetzen können. "

    In einem speziellen Hörtraining schult die Gruppe zum Beispiel ein besseres Hörempfinden. Dafür müssen sich jeweils zwei Patienten zusammentun. Der eine liest eine Geschichte vor. Der andere muss in bestimmten Abständen die Sätze wiederholen. Weil alle in der Gruppe gleichzeitig reden, ist absolute Konzentration gefragt - das Gehirn wird wieder angeregt, störende Nebengeräusche auszublenden. Parallel dazu lernen die Patienten einfache Entspannungstechniken, um mit Stress besser umzugehen. Und Gespräche mit Psychologen sollen die Ursache des Tinnitus klären. Alle Fachärzte und Therapeuten hier arbeiten eng zusammen. Acht Patienten pro Woche - das ist die Obergrenze. Denn jeder hier soll einen individuellen Therapieplan bekommen. Seit zwei Jahren arbeitet man so, wie eine erste Studie zeigt, mit guten Ergebnissen:

    " Es konnte gezeigt werden, dass innerhalb der Sieben-Tage-Behandlung sich zum Beispiel Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und auch die Tinnitus-Belastung massiv reduziert. Und das Gute ist, dass diese Reduzierung auch sechs Monate in der Nachkontrolle stabil blieb, also dass ein langfristiger Erfolg zu verzeichnen war. "

    Ein Beispiel: die 65-Jährige Barbara Häcker. Auch in ihren Ohren hat es ständig gepfiffen und geknistert. Sie ist von einem Arzt zum anderen gelaufen - doch niemand konnte ihr wirklich helfen. Erst im Tinnitus-Zentrum der Charité hat Barbara Häcker eine gezielte und umfassende Therapie bekommen. Heute kann sie mit ihrem Tinnitus gut leben.

    " Ich höre es noch, aber es beunruhigt mich nicht. Ich höre es also leiser. Es ist zeitweise so, dass ich auf dem rechten Ohr gar keine Geräusche habe. Ich kann vor allen Dingen wieder gut schlafen. Und das ist ein ganz großer Gewinn, den ich hier bekommen habe. Und damit ist man natürlich auch physisch stärker. Also, ich bin physisch und psychisch gestärkt hier rausgegangen, so muss ich das sagen. "

    Barbara Häcker musste die Therapie-Kosten von rund 1.000 Euro selbst zahlen. Von den gesetzlichen Krankenkassen übernimmt bisher nur die DAK die Behandlung.

    Florian Schmidkunz verhandelt mit seiner Krankenkasse noch. In ein paar Tagen hat auch er die Therapie beendet - und hat dann hoffentlich gelernt, den Tinnitus einfach zu überhören.