"Die ersten Kanzler - vor allem Helmut Schmidt hat sehr intensiv Akten bearbeitet, sichtbar Spuren in den Papieren hinterlassen mit seiner persönlichen Position, manchmal seitenweise. Kohl ist als gelernter Historiker sparsamer damit umgegangen, hat auch Spuren hinterlassen in den Akten, die er aber versucht zu verwischen über Tipp-Ex, dass ganze Bataillone damit beauftragt waren, Tipp-Ex einzufügen, damit dann das, was in den Geschäftsgang geht, nicht mehr sichtbar ist, also man die Spur des Kanzlers persönlich verwischt. Die Generation danach, Schröder, aber auch bei Merkel ist das zu sehen, arbeitet mit den gelben Zetteln, Post-It, die man notizartig nutzt, aber dann, wenn es öffentlich wird, den Akten entzieht."
Karl-Rudolf Korte sucht und dechiffriert die Spuren der Macht. Korte ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg Essen und Direktor der NRW School of Governance. Die Einrichtung widmet sich der Regierungsforschung, untersucht, wie politische Steuerung funktioniert und wie Entscheidungen zustande kommen, lange bevor es in die Parlamente geht. Früher konzentrierten sich die Politikwissenschaftler allein auf die Staats- und Institutionenlehre, studierten anhand von Organigrammen Ämter und Funktionen. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, heißt es dazu im Grundgesetz. Aber wie macht er das eigentlich in einer Demokratie, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die Macht auch des Kanzlers einschränkt?
"Sein Handlungsspielraum ist davon abhängig, ob seine Partei ihn unterstützt, ob die Abgeordneten ihn unterstützen, und dafür ist es wichtig, dass er Mitarbeiter in der Regierungszentrale hat: Chef der Staatskanzlei, Chef des Bundeskanzleramtes. Büroleiter ist eine ganz wichtige Person in der Machtarchitektur einer Regierung - vielleicht die meistunterschätzte Funktion in so einer Regierung. Der Regierungssprecher ist ein anderer wichtiger Akteur, all das sind Akteure, die dafür sorgen müssen, dass die Koalition zusammenhält, dass die Partei weiterhin den Kanzler unterstützt, so dass der Kanzler tatsächlich Führung ausüben kann."
Der Politologe Timo Grunden, ebenfalls an der Universität Duisburg-Essen, betont das politische Gewicht der Regierungszentralen. Das Bundeskanzleramt und die Staatskanzleien der Länder seien, so Timo Grunden, Innenhöfe der Macht. Und dort spielten vor allem Personen eine größere Rolle, als eine funktionalistisch ausgerichtete Politikwissenschaft glauben macht:
"Joschka Fischer hat einmal gesagt, für die Durchsetzung einer richtigen Politik seien Personalfragen von überragender Bedeutung. Er sagte mal, 50 Prozent in der Politik sind Personalfragen: Ich brauche eine bestimmte Person, auf die ich mich verlassen kann, die loyal ist, die die richtigen Ansichten vertritt, damit ich meine politischen Interessen wahren kann, damit ich bestimmte politische Ziele erreichen kann. Wenn man so will: Für Spitzenakteure in der Politik sind Personalfragen so eine Art Komplexitätsreduktion - ich brauche den richtigen Mann am richtigen Ort, dann wird es schon klappen."
Die Politikwissenschaftler erweitern ihre Forschungsperspektive, sie wollen die nicht-sichtbaren Bereiche der Politik erhellen und aufklären. Denn von der Idee bis zum Gesetz, ist es ein weiter Weg, der teilweise im Dunkeln liegt. Eine große Strecke verläuft durch die parlamentarischen Ausschüsse, wo die politische Kärrnerarbeit geleistet wird. Aber während die Parlamentsdebatten und -abstimmungen im Rampenlicht der Medien stattfinden, erfährt das Geschehen in den Ausschüssen viel weniger Aufmerksamkeit, obwohl die Ausschüsse vom Prinzip her öffentlich sind, erklärt Friedbert Rüb, der Politik an der Berliner Humboldt Universität lehrt:
"Wenn man dort rein will, muss man das beantragen, aber normalerweise ist es relativ problemlos, dass man Zugang hat zu Diskussionen in den Ausschüssen des Parlaments - es sei denn es sind Ausschüsse, die sich mit bestimmten Fragen beschäftigen, Kontrolle der Geheimdienste, militärischen Fragen und so weiter, das ist eine andere Ebene. Vor allem ist auch immer die politische Opposition dort vertreten, die im Zweifelsfall bestimmte Sachen öffentlich machen kann, die vielleicht die Regierung oder die Ministerien oder wer auch immer nicht der Öffentlichkeit zukommen lassen wollen."
Aber der formelle und geregelte Bereich politischer Arbeit, dieser harte Kern aus Parlamentsdebatten, aus Kabinetts- Fraktions- und Ausschusssitzungen ist umgeben von einer weichen Hülle aus informellen Gesprächen, wo gleichwohl Politik gemacht wird. Hier ist wichtig, wer mit wem redet, in der Sitzungspause auf dem Flur, mittags im Restaurant oder abends bei einem Empfang. In solchen informellen Vier-Augen-Gesprächen oder auch Telefonaten wird die Stimmung in der Fraktion sondiert, werden Ideen getestet oder beim Koalitionspartner um Zustimmung geworben. Wolfgang Gerhards, ehemaliger Justizminister in NRW schildert die Praxis:
"Politik ist, unterschiedliche Interessen zusammenzuführen und eine Lösung zu finden, mit der jedenfalls die meisten Beteiligten einigermaßen gut leben können. Das geht nie nur mit formalen Prozessen, das kann nur geschehen, wie das sonst im Leben auch ist, man spricht miteinander, man hört sich die unterschiedlichen Argumente an, zum Teil in Parlamentsdebatten, in Ausschüssen, aber man macht es auch informell, indem man sich mit den Beteiligten im kleinen Kreise trifft. Das heißt Informelles und Formelles sind notwendigerweise bezogen und verwoben, die können gar nicht ohne einander sein."
Informelle Gespräche finden allerdings nicht in einem Machtvakuum statt. Manchmal wird auch gedroht und eingeschüchtert, ein anderes Mal Patronage ausgeübt, werden Posten als Belohnung angeboten. Über diese Seite hat Wolfgang Gerhards jedoch nichts verraten. Und auch die Einflussnahme von Lobbyisten wurde erst abends in der Podiumsdiskussion angesprochen, bezeichnenderweise durch einen Journalisten. Die Wissenschaftler hingegen hatten sich am Nachmittag in akademischer Scholastik verheddert über der Frage, wie sie nun das neu gewonnene Forschungsfeld informelles Regieren begrifflich sauber vom formellen Geschehen trennen könnten. Friedbert Rüb rief dazu auf, nicht die entscheidende Frage, die demokratische Kontrolle politischer Prozesse - seien sie nun formell oder informell - aus den Augen zu verlieren:
"Meine Disziplin, die Politikwissenschaft müsste verstärkt untersuchen, wie und in welchen Kontexten politische Entscheidungen zustande kommen, und parallel fragen, ob wir das tatsächlich öffentlich kontrollieren können. Und wir wissen, dass viele Entscheidungsprozeduren sich in die Exekutive, in die Regierung hineinverlagern, und dass das immer mit einem Bedeutungsverlust der Parlamente und damit mit einem Bedeutungsverlust der gewählten Repräsentanten des Volkes verbunden ist. Da gibt es viel Forschung, aber da sind wir noch lange nicht am Ende."
Karl-Rudolf Korte sucht und dechiffriert die Spuren der Macht. Korte ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg Essen und Direktor der NRW School of Governance. Die Einrichtung widmet sich der Regierungsforschung, untersucht, wie politische Steuerung funktioniert und wie Entscheidungen zustande kommen, lange bevor es in die Parlamente geht. Früher konzentrierten sich die Politikwissenschaftler allein auf die Staats- und Institutionenlehre, studierten anhand von Organigrammen Ämter und Funktionen. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik, heißt es dazu im Grundgesetz. Aber wie macht er das eigentlich in einer Demokratie, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die Macht auch des Kanzlers einschränkt?
"Sein Handlungsspielraum ist davon abhängig, ob seine Partei ihn unterstützt, ob die Abgeordneten ihn unterstützen, und dafür ist es wichtig, dass er Mitarbeiter in der Regierungszentrale hat: Chef der Staatskanzlei, Chef des Bundeskanzleramtes. Büroleiter ist eine ganz wichtige Person in der Machtarchitektur einer Regierung - vielleicht die meistunterschätzte Funktion in so einer Regierung. Der Regierungssprecher ist ein anderer wichtiger Akteur, all das sind Akteure, die dafür sorgen müssen, dass die Koalition zusammenhält, dass die Partei weiterhin den Kanzler unterstützt, so dass der Kanzler tatsächlich Führung ausüben kann."
Der Politologe Timo Grunden, ebenfalls an der Universität Duisburg-Essen, betont das politische Gewicht der Regierungszentralen. Das Bundeskanzleramt und die Staatskanzleien der Länder seien, so Timo Grunden, Innenhöfe der Macht. Und dort spielten vor allem Personen eine größere Rolle, als eine funktionalistisch ausgerichtete Politikwissenschaft glauben macht:
"Joschka Fischer hat einmal gesagt, für die Durchsetzung einer richtigen Politik seien Personalfragen von überragender Bedeutung. Er sagte mal, 50 Prozent in der Politik sind Personalfragen: Ich brauche eine bestimmte Person, auf die ich mich verlassen kann, die loyal ist, die die richtigen Ansichten vertritt, damit ich meine politischen Interessen wahren kann, damit ich bestimmte politische Ziele erreichen kann. Wenn man so will: Für Spitzenakteure in der Politik sind Personalfragen so eine Art Komplexitätsreduktion - ich brauche den richtigen Mann am richtigen Ort, dann wird es schon klappen."
Die Politikwissenschaftler erweitern ihre Forschungsperspektive, sie wollen die nicht-sichtbaren Bereiche der Politik erhellen und aufklären. Denn von der Idee bis zum Gesetz, ist es ein weiter Weg, der teilweise im Dunkeln liegt. Eine große Strecke verläuft durch die parlamentarischen Ausschüsse, wo die politische Kärrnerarbeit geleistet wird. Aber während die Parlamentsdebatten und -abstimmungen im Rampenlicht der Medien stattfinden, erfährt das Geschehen in den Ausschüssen viel weniger Aufmerksamkeit, obwohl die Ausschüsse vom Prinzip her öffentlich sind, erklärt Friedbert Rüb, der Politik an der Berliner Humboldt Universität lehrt:
"Wenn man dort rein will, muss man das beantragen, aber normalerweise ist es relativ problemlos, dass man Zugang hat zu Diskussionen in den Ausschüssen des Parlaments - es sei denn es sind Ausschüsse, die sich mit bestimmten Fragen beschäftigen, Kontrolle der Geheimdienste, militärischen Fragen und so weiter, das ist eine andere Ebene. Vor allem ist auch immer die politische Opposition dort vertreten, die im Zweifelsfall bestimmte Sachen öffentlich machen kann, die vielleicht die Regierung oder die Ministerien oder wer auch immer nicht der Öffentlichkeit zukommen lassen wollen."
Aber der formelle und geregelte Bereich politischer Arbeit, dieser harte Kern aus Parlamentsdebatten, aus Kabinetts- Fraktions- und Ausschusssitzungen ist umgeben von einer weichen Hülle aus informellen Gesprächen, wo gleichwohl Politik gemacht wird. Hier ist wichtig, wer mit wem redet, in der Sitzungspause auf dem Flur, mittags im Restaurant oder abends bei einem Empfang. In solchen informellen Vier-Augen-Gesprächen oder auch Telefonaten wird die Stimmung in der Fraktion sondiert, werden Ideen getestet oder beim Koalitionspartner um Zustimmung geworben. Wolfgang Gerhards, ehemaliger Justizminister in NRW schildert die Praxis:
"Politik ist, unterschiedliche Interessen zusammenzuführen und eine Lösung zu finden, mit der jedenfalls die meisten Beteiligten einigermaßen gut leben können. Das geht nie nur mit formalen Prozessen, das kann nur geschehen, wie das sonst im Leben auch ist, man spricht miteinander, man hört sich die unterschiedlichen Argumente an, zum Teil in Parlamentsdebatten, in Ausschüssen, aber man macht es auch informell, indem man sich mit den Beteiligten im kleinen Kreise trifft. Das heißt Informelles und Formelles sind notwendigerweise bezogen und verwoben, die können gar nicht ohne einander sein."
Informelle Gespräche finden allerdings nicht in einem Machtvakuum statt. Manchmal wird auch gedroht und eingeschüchtert, ein anderes Mal Patronage ausgeübt, werden Posten als Belohnung angeboten. Über diese Seite hat Wolfgang Gerhards jedoch nichts verraten. Und auch die Einflussnahme von Lobbyisten wurde erst abends in der Podiumsdiskussion angesprochen, bezeichnenderweise durch einen Journalisten. Die Wissenschaftler hingegen hatten sich am Nachmittag in akademischer Scholastik verheddert über der Frage, wie sie nun das neu gewonnene Forschungsfeld informelles Regieren begrifflich sauber vom formellen Geschehen trennen könnten. Friedbert Rüb rief dazu auf, nicht die entscheidende Frage, die demokratische Kontrolle politischer Prozesse - seien sie nun formell oder informell - aus den Augen zu verlieren:
"Meine Disziplin, die Politikwissenschaft müsste verstärkt untersuchen, wie und in welchen Kontexten politische Entscheidungen zustande kommen, und parallel fragen, ob wir das tatsächlich öffentlich kontrollieren können. Und wir wissen, dass viele Entscheidungsprozeduren sich in die Exekutive, in die Regierung hineinverlagern, und dass das immer mit einem Bedeutungsverlust der Parlamente und damit mit einem Bedeutungsverlust der gewählten Repräsentanten des Volkes verbunden ist. Da gibt es viel Forschung, aber da sind wir noch lange nicht am Ende."