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Tipps von einem sehr fernen Verwandten

Biologie. - Beim Wissenschaftsfachblatt "Nature" posierte im vergangenen Oktober Tetraodon nigrovidis als Titelstar, ganz in der Manier der Pop-Porträts von Andy Warhol - ein Serienbild in 21 unterschiedlich kolorierten Abbildungen, entsprechend der Anzahl seiner Chromosome. Was aber den grünen Kugelfisch aus Südostasien und beliebten Aquariumsbewohner wirklich zum Star für die Wissenschaftler macht: er gilt als das Wirbeltier mit dem kleinsten Genom. Zwar ist das menschliche Erbgut achtmal größer. Dennoch weist der Fischerbschatz große Sequenzähnlichkeiten auf mit den unseren auf.

Von Suzanne Krause |
    Schon 1997 begannen die Forscher in Frankreich, das Genom des kleinen grünen Kugelfischs zu entschlüsseln, zwei Jahre, bevor es weltweit richtig losging mit der Sequenzierung des menschlichen Erbgutes. Im Jahr 2000 wagten die Forscher des mittlerweile internationalen Tetraodon-Konsortiums die erste vergleichende Analyse zwischen den Genomen von Fisch und Mensch, damals noch mit einem eher mageren Datenstand. Olivier Jaillon vom Genoscope Projekt, der Schaltstelle der internationalen Arbeitsgruppe zu Tetraodon nigrovidis:

    Wir belegten damals schon, dass das menschliche Genom weniger als 30.000 Gene enthält. Das löste eine enorme Kontroverse aus, denn bis dahin ging die gesamte wissenschaftliche Gemeinde davon aus, dass das menschliche Genom aus rund 100.000 Genen bestehe, wegen der Komplexität des menschlichen Organismus. Doch heute weiß man, dass die Zahl der Gene mit der Komplexität des Organismus nichts zu tun hat, da sind andere Faktoren bestimmend.

    Mittlerweile ist das Erbgut von Tetraodon zu 90 Prozent sequenziert. Und die Forscher sind in der Lage, sich ein Bild zu machen vom Genom des Tieres, dass als letzter gemeinsamer Vorläufer von Fisch und Mensch gilt. Ein Wirbeltier, aber kein Säugetier, mit lediglich wohl zwölf Chromosomen, das vor rund 450 Millionen Jahren die Erde bevölkerte. Ein Zweig entwickelte sich zur Gattung Fisch: sein Erbgut multiplizierte sich auf einen Schlag. Stolz vermelden die Wissenschaftler: anhand von Tetraodon konnte zum ersten Mal eine komplette Verdoppelung der DNA nachgewiesen werden. Durch die Verdoppelung seiner Genome erwarb der Fischahne neue Fähigkeiten.

    Wenn man sich auf die Theorien aus den sechziger, siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts stützt, kann man sich vorstellen, dass diese komplette DNA-Verdoppelung ein unglaubliches Potential schuf für den Erwerb neuer biochemischer Funktionen. Das diente wohl als Basis dafür, dass es heute so viele verschiedene Fischarten, Fische in allen Formen und in allen Größen, gibt.

    Von der Genomverdoppelung sind beim grünen Kugelfisch heute nur noch Bruchstücke vorhanden. Im Verlauf der Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte der Fische veränderte sich wie bei jedem Lebewesen das Erbgut: Chromosomen zerbrachen, die Überreste fusionierten, manche Bruchstücke verschwanden. Doch die Chromosomen des Tetraodon nigroviridis wurden bei diesem Evolutionsprozess weitaus weniger umgemodelt als die jener Linie, die zum Menschen führte, wie die Wissenschaftler beim Vergleich herausfanden. Sie färbten die Erbgutstücke, die Mensch und Fisch gemeinsam von ihrem Urahn besitzen, auf den Chromosomensträngen in verschiedenen Farben ein. Plakativ wird damit sichtbar: beim Menschen siedeln die unterschiedlichen Gene heute teils auf ganz anderen Chromosomen als beim Fisch. Dies deutet darauf hin, dass die menschlichen Erbgutstränge in ihrer langen Entwicklungsgeschichte einschneidende, vielfältige Veränderungen und Umgruppierungen erlitten.

    Zum ersten Mal ist es nun gelungen, eine Verdoppelung des Genoms bei Wirbeltieren nachzuweisen. Die Fische leben damit sehr gut. Doch beim Menschen kann eine Genom-Vervielfachung zu einer Behinderung führen, beispielsweise zu Trisomien. Lebewesen zu untersuchen, deren Erbgut sich komplett verdoppelt hat, wird uns bei einem Ziel helfen: wir wollen im Modell darstellen, wie es sich auswirkt, wenn eine kleine Anzahl von Genen sich verdoppelt, wie im Falle einer Trisomie. Eine solche Untersuchung, auch bei den Wirbeltieren, liegt nunmehr im Bereich des Vorstellbaren.

    Weltweit stehen andere Sequenzierungsarbeiten des Erbgutes anderer Säugetieren kurz vor den abschließenden Veröffentlichungen. Diese werden helfen, die beim Vergleich mit dem grünen Kugelfisch erstmals gewonnenen Erkenntnisse über das Funktionieren des menschlichen Erbgutes zu vertiefen.